Ambivalenz. Der Duden definiert den Begriff mit „Zwiespältigkeit, Spannungszustand, Zerrissenheit [der Gefühle und Bestrebungen]“. Das trifft‘s ziemlich gut. In diesen Pandemie-Tagen ist viel vom Flickenteppich die Rede, das gilt für Deutschland und seine Regelungen, Verordnungen, Ausnahmen, Beschränkungen und Lockerungen generell – und für Golf ebenso. Hier darf wieder gespielt werden. Da demnächst. Dort noch nicht. Es gibt Irritationen wie in Brandenburg, wo der Berliner Golfclub Stolper Heide noch mal eine Ausnahmegenehmigung des Landkreises einholen musste. Und es herrscht Frust, gar Unmut, weil der Föderalismus der Bundesrepublik zu Uneinheitlichkeiten und auch zu Wettbewerbsnachteilen führt. Über allem schwebt die Frage: Wie wirkt sich Corona auf die hiesige Golflandschaft aus?
Corona: „Fahrt ins Ungewisse ohne gültige Fahrpläne“
Eins direkt vorab: Wer genau zu wissen glaubt, wie es kommen wird, der sollte bei nächstgünstiger Gelegenheit Lotto spielen. Für diese Krise liegen keine Erfahrungswerte vor. Oder wie es Horst Schubert nennt, Vorstand der Golf- und Country Club Seddiner See AG: „Es ist eine Fahrt ins Ungewisse, die bisherigen Fahrpläne sind nicht mehr gültig.“
Golf Post versucht sich dennoch an einer Betrachtung. Die SWOT-Analyse, ein in den 1960er Jahren an der Harvard Business School entwickeltes Instrument für die strategischen Planung in Unternehmen, taugt vielleicht ganz gut, um die zahlreichen Facetten der Situation und der Perspektiven zu sortieren – Strengths (Stärken), Weaknesses (Schwächen), Opportunities (Chancen) und Threats (Risiken).
„Bisherigen Lockdown sollten alle Anlagen hinkriegen“
Stärken: Die Golfszene lebt. Mit dem Re-Start in einigen Bundesländern kamen die Mitglieder in Scharen, beflügelt von Entzug, schönem Wetter und Tagesfreizeit aka Home Office. Stefan Kirstein, Geschäftsführer des Mainzer Golfclub, durfte in den ARD-„Tagesthemen“ von 900 Teetime-Reservierungen binnen drei Stunden und einem Ansturm an Anfragen aus dem benachbarten, noch geschlossenen Hessen berichten; im Golf- und Country Club Seddiner See nahe Potsdam war die erste Woche umgehend ausgebucht, bevor Horst Schubert die Anlage wegen des Brandenburger Verwirrspiels für zwei Tage wieder dicht machen musste. So oder so hätten sich frühestens kommende Woche eventuell Greenfee-Spieler unterbringen lassen.
„Das größte Problem für die Clubs und Anlagen in den vergangenen Wochen war die Unsicherheit, keinen Termin für eine Wiedereröffnung zu haben“, sagt Dr. Reinhard Koss (Stuhr bei Bremen), der sich als vereidigter Sachverständiger mit der Wirtschaftlichkeitsbewertung von Golfanlagen beschäftigt. Salopp gesprochen gab‘s auch in anderen Jahren schon Schnee und Eis bis Ostern oder richtig mieses Wetter bis Ende April. „Der bisherige Lockdown von vier bis sechs Wochen dürfte kein Problem sein“, bestätigt Koss, der selbst Geschäftsführer zweier Anlagen ist. „Das sollten alle Anlagen hinkriegen, selbst wenn es schmerzhaft ist.“
Es fehlen dennoch „enorme Summen“
Viele haben die erzwungene Pause trotz der existenzgefährdenden Situation genutzt, um an ihrem Platz zu arbeiten. „Das ist ein gutes Signal“, meint Koss und ergänzt: „Dies wurde auch den Mitglieder kommuniziert und somit Kontakt zu halten. Die Krise hat sicherlich vielfach zu einer verstärkten Kommunikationsfähigkeit der Anlagen geführt.“
Schwächen: So wohltuend der Ansturm der Golfer empfunden wird: Für Greenfee-Spieler ist erst mal wenig Spielraum. Die Regelung von maximal Zweier-Flights lastet die Startzeiten-Listen per se weitgehend aus, erst recht an Wochenenden; und Mitglieder haben natürlich Vorrang. Die haben mit ihren vielfach im ersten Quartal fälligen Jahresbeiträgen den meisten Anlagen einigermaßen Liquidität in die Kassen gespült. Trotzdem fehlten und fehlen „enorme Summen“ (Koss) aus dem Greenfee-Bereich, addiert um Einnahmen durch Sponsoren-Turniere, Ballmaschinen, Pro-Shops und nicht zuletzt durch die Gastronomie.
„Markt war vor der Krise schon schwierig“
„Wir verlieren operativ 100.000 Euro im Monat“, verdeutlicht Seddiner-See-Vorstand Schubert. Und Dr. Koss ergänzt: „Das wird ein doofes Jahr für jede BWA. Anlagen, die schon vorher etwas schlecht aufgestellt waren, wird es aufgrund des fehlenden Vollbetriebs mit allen Profitcentern irgendwann doch umhauen.“
Die Prognosen sind durchwachsen. „Clubmitglieder werden ihre ,eigenen‘ Anlagen mehr nutzen, weil sie nicht wegfahren“, vermutet Schubert. „Das führt zu weniger Greenfee-Einnahmen.“ Der Markt sei vor der Krise schon schwierig und im Hinblick auf clubgebundenes Golf tendenziell rückläufig gewesen, „und ich sehe nicht, dass sich dies verbessern wird“, so Schubert. „Es gibt keine Gründe, die dafür sprechen.“
Risiken: Hier haben wir die originäre SWOT-Reihenfolge getauscht, denn wer will schon mit negativen Aussichten enden. Fakt ist, dass der wahre Stresstest nach Ansicht aller Experten erst noch kommt. Gesamtwirtschaftlich. „Der zweite Teil der Krise wird die Clubs stärker treffen als der erste Teil; einige sind ja jetzt schon auf Kante genäht“, prognostiziert Schubert, der als scharf- und weitsichtiger Beobachter des Golfgeschehens gilt, und zitiert eine Studie der Managementberatung „Boston Consulting“. Demnach erklärte ein Drittel der Befragten, das eigene Kaufverhalten werde sich ein paar Monate nach der Krise wieder so entwickeln wie vorher; zwei Drittel hingegen gaben an, ihr Geld deutlich mehr zusammenhalten zu wollen.
„Viele haben andere Prioritäten als Golf“
„Letztlich weiß niemand, wie sich das Verbraucher- und Freizeitverhalten entwickeln wird“, sagt Schubert: „Nicht jeder ist Hardcore-Golfer, nicht für jeden ist das Spiel eine Religion. Es wird eine Menge Leute geben, die andere Probleme und Prioritäten haben als Golf zu spielen. Ich denke vor allem an die große Klientel-Gruppe der Freiberufler, denen einfach die Zeit zum Golfen fehlt, weil sie zuvorderst beruflich wieder alles auf die Reihe kriegen und sich um ihre Kunden kümmern müssen.“
Nicht zuletzt schwebt über vielen Betrieben das Damoklesschwert der Beitragsrückforderung. „Eingetragene Vereine mit Gemeinnützigkeit müssen keine Sorge haben. Da fördern die Mitglieder den Vereinszweck“, erläutert Dr. Koss: „Bei Betreibern ist das anders, die verkaufen eine Leistung gegen Geld. Und die Rechtslage ist eindeutig: Keine Leistung gleich Geld zurück.“ Angesichts der vielfältigen Rechtsformen im deutschen Golfwesen ist das freilich nur eine pauschale, keineswegs allgemeingültige Einordnung.
Mit neuem Wind aus der Flaute?
Chancen: Wie hat es der Schweizer Schriftsteller Max Frisch so schön formuliert: „Eine Krise ist ein produktiver Zustand. Man muss ihr nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen.“ Gut aufgestellte Anlagen haben die Zeit womöglich genutzt, um mit neuem Wind aus der Flaute zu kommen. Um neue Wege zu beschreiten, Konzepte zu verfeinern, Angebote zu schnüren.
Michael Blesch und Ralf Lühmann, die Patrone der Green Eagle Golf Courses bei Hamburg, halten es für durchaus denkbar, dass auch bislang golfferne Zielgruppen durch das Coronavirus jetzt den Reiz des Individualsports an der frischen Luft entdecken. „So viele sind in den vergangenen Wochen mit den Fahrrädern hier vorbeigefahren und haben unsere Plätze gesehen“, sagt Blesch. „Wenn viele andere Sporteinrichtungen geschlossen bleiben, die Golfanlagen jedoch geöffnet sind, dann kann ich mir durchaus ein gesteigertes Interesse ausmalen.“
Keine Kündigungswellen, mehr Bindung an Club?
Dieser Tage scherzte jemand, dass es vor dem Hintergrund der aktuellen Startzeiten-Vergabepraxis womöglich eine Renaissance fürs clubgebundene Golfen geben mag; Mitglied zu sein, hat derzeit echte Vorteile. So weit wird es vermutlich kaum kommen. Immerhin glaubt Dr. Koss nicht, „dass es Kündigungswellen gibt, wenn es bei dem derzeit überschaubaren Zeitraum von vorübergehend Schließungen bleibt“. Horst Schubert kann sich sogar vorstellen, „dass durch die Krise die emotionale Bindung an den Club wieder zunimmt, dass man den Club wieder mehr schätzt als vorher“.