Jede Golferin und jeder Golfer kennt vermutlich eine der folgenden Situationen: Wie kann es gelingen, das eigene Handicap weiter zu verbessern, obwohl die verfügbare Zeit aufgrund vieler privater und beruflicher Verpflichtungen sehr knapp ist? Wie kann der erfolgreiche Golfschwung auch bei einer Verletzung, die das aktive Golfen verhindert, erhalten werden? Wie kann die optimale Leistung auch auf einer wichtigen Golfrunde erzielt werden?
Visualisierung: Schon die Vorstellung trainiert die Koordination
In all diesen Situationen ist die Methode der Visualisierung empfehlenswert. Hierbei handelt es sich wie bei den Ihnen zuletzt vorgestellten Ritualen und Routinen um eine Methode, von der Sportlerinnen und Sportler im Golf stark profitieren können. Unter Visualisierung versteht man einen gedanklichen, wiederholten, absichtlichen Bewegungsvollzug ohne praktische Ausführung der Bewegung. Sie basiert auf dem „Carpentereffekt“, der besagt, dass eine intensive Bewegungsvorstellung bereits Nervenimpulse an die Muskulatur sendet. Allein durch die intensive Vorstellung einer Bewegung werden die an der Bewegung beteiligten Muskelgruppen aktiviert. Der Körper speichert diese visualisierte Bewegung im Gedächtnis ab, sodass diese Bewegung ohne praktische Ausführung weiter verfeinert und trainiert werden kann.
Gedankliche Wiederholungen ebnen den Weg
Es gibt zwei Hauptanwendungsfelder, in denen Ihr Golfspiel von der Visualisierung profitieren kann. Das erste Feld gibt eine Antwort auf die ersten beiden oben genannten Situationen: Zeitknappheit und Verletzungsunterbrechungen. Laut Schätzungen benötigt der menschliche Körper einige tausend Wiederholungen, um eine differenzierte motorische Bewegung automatisch und erfolgreich ausführen zu können. Wenn Sie gemeinsam mit Ihrem Trainer eine Nuance an Ihrer Schlagbewegung verändern, benötigen Sie somit einige Stunden auf der Driving Range, bis der neue Schlag perfekt sitzt.
Über eine zusätzliche Visualisierung des Golfschlages können Sie diesen Prozess des Erlernens und Automatisierens beschleunigen. Die Trainingsmethode der Schlag-Visualisierung ist ebenfalls bei Verletzungen, die das motorische Training des Golfschlages verhindern, sehr hilfreich. Über die gedankliche Vorstellung der motorischen Bewegung können sie quasi „im Schwung“ bleiben.
So geht´s: Bewegung immer wieder im Kopf durchgehen
Schreiben Sie dazu zunächst detailliert Ihre Schwungbewegung auf. Um mögliche Fehlbewegungen zu vermeiden, besprechen Sie diese mit Ihrem Golftrainer. Lesen Sie sich Ihren Schwung nun wiederholt durch, bis Sie sich diese Bewegung inklusive aller Einzelheiten gut vorstellen können. Betrachten Sie sich dabei nicht wie durch eine Kamera von außen, sondern erleben Sie Ihren Schlag von innen, d.h. stellen Sie sich vor, wie Sie den Schlag selber ausführen. Vergessen Sie nicht, auch Ihre Gedanken und Gefühle während des Schlages zu visualisieren. Im nächsten Schritt schreiben Sie Ihre Schwungbewegung kürzer auf, so dass Sie ihn sich leichter merken können. Gehen Sie die Bewegung immer wieder im Kopf durch.
Zum Schluss nehmen Sie aus Ihrer Schwungbewegung die drei wichtigsten Punkte raus. Das sind Ihre sogenannten „Knotenpunkte“. Gehen Sie diese bei jedem Schlag im Kopf durch. Zum Beispiel: „Ausholen zurück“, „Schlag“, „Ausschwung“.
Gedanklich die Runde durchspielen
Das zweite Anwendungsfeld ist die Visualisierung der Golfrunde im Vorfeld der eigentlichen Runde. Es ist hilfreich zur Optimierung der Leistung in entscheidenden Situationen. Auf die Frage, wie es sich anfühle, 100 Meter unter zehn Sekunden gelaufen zu sein, antwortete der Sprinter Carl Lewis, dass dies nicht das erste Mal gewesen sei. Lewis berichtete, dass er die zehn Sekunden bereits einige Male in seinem Geiste geknackt habe. Dasselbe können Sie auch erreichen.
Spielen Sie Ihre Golfrunde gedanklich vorab im Detail durch. Stellen Sie sich die Runde vom Betreten des Golfplatzes bis zu Ihren Gefühlen nach dem letzten Loch vor. Wie sieht der Golfplatz aus? Wie riecht die Umgebung? Was hören Sie während Ihres Schlages? Wie ist das Wetter? Antizipieren Sie auch mögliche Veränderungen der Bedingungen oder unerwartet auftretende Situationen. Sie werden merken, dass sie hierdurch auf mögliche Störfaktoren während der Runde besser vorbereitet sind und Ihre Konzentration vollkommen auf Ihre Schläge richten können.
Wichtig ist, dass Sie positive Situationen sowie Ihren richtigen Schwung visualisieren. Das menschliche Gehirn unterscheidet nicht zwischen erwünschten und negierten Bildern. Wenn Sie sich beispielsweise auffordern, einen fehlerhaften Schwung zukünftig zu vermeiden, speichert Ihr Gehirn nur die falsche vorgestellte Bewegung ab, und nicht, dass Sie diesen Fehler vermeiden wollen. Stellen Sie sich als Verdeutlichung dieses Phänomens bitte ein Tier vor, aber keinen pinken Elefanten. An welches Tier haben Sie gedacht? Visualisieren Sie daher immer die optimale Zielbewegung, die Sie erreichen möchten.
Beim Sport, bei der Arbeit, beim Lernen
Natürlich können Sie die Visualisierung auch im beruflichen Kontext einsetzen. Stellen Sie sich zum Beispiel im Vorfeld einer wichtigen Präsentation vor, wie Sie Ihre Argumente oder Ihr Produkt selbstsicher, rhetorisch geschickt und überzeugend präsentieren. Beachten Sie auch hier, dass Ihr Gehirn unerwünschte Bilder nicht als solche abspeichert. Visualisieren Sie also, wie es sich anfühlt, eine erfolgreiche Präsentation zu halten.
Der Einsatz der Visualisierung kennt keine Grenzen. Nach einigen Durchgängen des gedanklichen Durchspielens einer bevorstehenden Situation fühlt sich diese Situation in der Realität vertraut an. Das menschliche Gehirn kann seine Ressourcen somit optimal auf die wesentlichen Aspekte lenken und kennt vor allem auch die positiven Auswirkungen der Zielerreichung. Das motiviert zusätzlich und erleichtert es, in den entscheidenden Situationen die optimale Leistung erbringen zu können.