Millimeter fehlten: beim verpassten Birdie-Putt auf dem 72. Grün zum neuen US-Open-Rekord, und irgendwo auf den 71 Löchern von Shinnecock Hills zuvor wahrscheinlich ebenfalls mal. So blieb Brooks Koepka auch gestern ein unüberwindliches Bollwerk für Tommy Fleetwood, wie schon 2017, als der Engländer mit der Mähne in Erin Hills an der Seite des späteren Champions und nur einen Schlag hinter ihm zur Finalrunde aufbrach, dann von Koepka fünf Schläge aufgebrummt bekam und Vierter wurde. Diesmal startete Fleetwood vom 23. Platz, mit sechs Schlägen Rückstand auf das Führungsquartett, und legte eine 63er Runde aufs grüne Parkett, die nicht nur den US-Open-Rekordscore egalisierte, sondern ihn endgültig zum Aspiranten auf einen Majortitel machte. Es war im Übrigen die sechste 63 in den Annalen der „Offenen Amerikanischen“, aber erst die zweite in einem Finale nach Johnny Miller 1973. Der freilich gewann damals.
Fleetwood hatte seinen Husarenritt prognostiziert. „Gestern Abend habe ich zu meinem Caddie Ian Finnis gesagt: Lass uns morgen rausgehen und den großartigsten Score bei einer US Open schießen, dann werden wir eine Chance auf den Sieg haben“, verriet der 27-Jährige nach den acht Birdies bei einem Bogey. Und gut, dass Koepka zum Schluss zwar etwas wackelte, aber nicht stolperte, sonst wäre der haarscharf verpasste Bergauf-Putt über 2,7 Meter auf dem Schlussloch vielleicht mehr als nur zum Symbol eines verpassten Play-off geworden. „Der Ball lief genau, wie ich wollte“, beschrieb es Fleetwood. „Aber das Grün war dort ziemlich ,steil‘ und daher etwas langsamer, als ich kalkuliert habe.“ Nach drei Stunden Wartezeit stand fest, dass die Fabelrunde nicht zum Sieg gereicht hatte. Dafür fährt Fleetwood nun um rund 1,11 Millionen Euro reicher vom amerikanischen Southampton nach Hause ins englische Southport und demnächst erneut als Mitfavorit zur British Open in Carnoustie.
Perfekte Sonntagsbühne, dennoch Kritik an USGA
Rehabilitation: Die USGA hat es nach dem grenzwertigen Samstag geschafft, ihrer 118. US Open eine würdige Bühne fürs Finale zu bieten. Die Grüns waren genug gewässert, um Bälle zu halten statt gute Schläge zu bestrafen; die Fahnen waren dank kluger Positionen auf vielerlei Weise anspielbar – es geht doch! Shinnecock Hills hat genug Qualität, um auch unter moderaten Set-up-Bedingungen ein „ultimativer Test“ zu sein, wie es die USGA für ihr Major gern reklamiert. Der Durchschnittsscore lag mit 72,2 Schlägen weiterhin deutlich über Par, aber immerhin 15 der 67 Akteure unterspielten den Platzstandard. Und wer hat trotzdem wieder gemeckert? Genau, Brandel Chamblee. Der Verband lasse es deutlich an Führungsqualität fehlen, sich auf der Nase herumtanzen und von den Umständen jagen, kritisierte der Ex-Pro in seiner Eigenschaft als TV-Analyst für den „Golf Channel“: „Sie haben nichts richtig hingekriegt!“ Erst sei Shinnecock Hills zu schwierig bis unspielbar gewesen, gestern dann „zu einfach“. Und erst die Strafen: „Es ergibt keinen Sinn, Phil Mickelson nicht disqualifiziert zu haben.“
Champion und Zweitplatzierter im Statistik-Duell
Der Finalsonntag in Zahlen: Die Statistik belegt, wo Brooks Koepka letztlich diese 118. US Open gewonnen hat – auf den erhöhten Grüns von Shinnecock Hills. Der alte und neue Champion benötigte 28 Putts, das sind im Schnitt 1,56 Schläge, während das restliche Feld auf 1,74 kam. Dies sowie die durchschnittliche Drive-Länge von rund 292 gegenüber 272 Metern machte gestern den Unterschied, nachdem die USGA den Platz mit reichlich Wasser entschleunigt hatte. Ansonsten stach Koepka bei seiner 68 statistisch nicht besonders heraus, traf neun von 14 und damit 64 Prozent der Fairways, hier war das Feld mit 73 Prozent deutlich besser. Bei den Grüns „in regulation“ (12 von 18) lag er mit 67 gegenüber 65 Prozent leicht vor dem Durchschnitt, aber als 28. auch im Mittelfeld. Zum Vergleich: Tommy Fleetwood traf während seiner famosen 63er Runde 13 von 14 Fairways (93 Prozent, Platz 2 im Feld), 16 von 16 Grüns auf Anhieb (89 Prozent, Platz 1) und brillierte mit 27 Putts (1,5 im Schnitt).
Koepka singt Loblied auf seinen „Physio“
„Doctor Doctor“: Nein, es wird jetzt nicht der legendäre Rocksong von UFO angestimmt, stattdessen sang Brooks Koepka gestern nach der offiziellen Siegerrede ein Loblied auf seinen Physiotherapeuten Marc Wahl, der zwei Mal die komplizierte Verletzung im linken Handgelenk kurierte, die sich der Doppel-Champion im Januar beim Tournament of Champions zugezogen hatte und die bei der Players Championship wieder aufgebrochen war. Auch kurz vor der US Open musste Wahl Hand anlegen, weil sich der 28-Jährige eine Rippe ausgerenkt hatte. „Marc macht einfach einen unglaublich guten Job“, sagte Koepka gestern. Der „Physio“ gilt bei den Golfstars seit vielen Jahren als absolute Koryphäe, bringt es mittlerweile auf 250 PGA-Tour-Turniere und 42 Patienten aus dem Spielerkreis, betreut aktuell neben Koepka sechs weitere Professionals.
Dustin Johnson scheitert am Putter
Kontrollverlust: Er sah vor Beginn der dritten Runde am Samstag noch aus wie der sichere Sieger, selbst die Buchmacher wollten nicht mehr gegen Dustin Johnson wetten, zu dominant war der Longhitter an den ersten beiden Tagen ausgerechnet mit seinem kurzen Spiel. Doch am Wochenende kam „D. J.“ die Präzision vor allem mit dem Putter abhanden, allein auf der Finalrunde leistete er sich trotz moderater Platzbedingungen mit vier Bogeys so viele Schlagverluste wie am Donnerstag und Freitag zusammen und benötigte 35 Putts, nachdem es am Samstag 38 waren. Beide Male rangierte Johnson damit im Schlussbereich des Felds. Dessen Schnitt lag am Samstag bei 1,76 und am Sonntag bei 1,74 Schlägen, der Weltranglistenerste kam auf durchschnittlich 2,11 bzw. 1,94 Putts und verließ kommentarlos den Schauplatz. Das Statement übernahm später „Best Buddy“ Brooks Koepka: „Meiner Ansicht nach ist Dustin einer der talentiertesten Burschen, den dieses Spiel je gesehen hat“, sagte der alte und neue US-Open-Champion: „Er wird weitere Majors gewinnen, das dürfte klar sein. Offen ist nur, wie viele.“
Mickelson und die Triumphgeste auf der 13
Comeback: Das konnte er sich nicht verkneifen! Als Phil Mickelson gestern an die Stätte seines eklatanten Regelmissbrauchs vom Samstag zurückkehrte und die 13 von Shinnecock Hills mit regelgerechten vier Schlägen zum Par abschloss, da reckte der fünffache Majorsieger mehrfach die Arme im gespielten Triumph nach oben. Natürlich wollte er damit seiner Freude Ausdruck verleihen, diesmal unbeschadet vom Grün zu kommen – aber etwas seltsam mutet so eine Geste schon an, angesichts der hohen Wogen, die „Mickelgate“ ausgelöst hat.
Phil's return to 13 today pic.twitter.com/vxNNEcUxpx
— No Laying Up (@NoLayingUp) 17. Juni 2018
Noch immer werden Für und Wider seiner Aktion heftig debattiert, der britische Golfjournalist John Hopkins von „Global Golf Post“ bezeichnete „Lefty“ gestern in einem Interview bei Fox Sports vor laufenden Kameras gar als „Idioten“. Und: „In Grossbritannien würden wir so jemanden ein dummes A... nennen.“ Selbst Mickelson-Gattin Amy wurde um ein Statement gebeten und wies zur Ehrenrettung ihres Mannes darauf hin, dass niemand von außerhalb wirklich die mentale Belastung bei so einem Turnier nachfühlen und beurteilen könne: „Er ist ein guter Mensch, der einen schlechten Augenblick hatte.“
Oh hell yeah pic.twitter.com/WUQxwYAf43
— Brendan Porath (@BrendanPorath) 17. Juni 2018
Finaus teures finales Doppelbogey
Geldwerter Nachteil: Als Mitglied des Führungsquartetts hatte Tony Finau die Finger an der US-Open-Trophäe, konnte dem furiosen Marsch von Brooks Koepka über Shinnecock Hills allerdings ebenso wenig etwas entgegensetzen wie die Mitstreiter aus der Spitzengruppe. Am Ende leistete sich der 28-Jährige auf dem 72. Loch zu allem Überdruss noch ein teures Doppelbogey, das ihn 217.746 Dollar kostete. Finau betrat den Abschlag als Drittplatzierter, doch die 6 auf dem Par-4 nach einem verzogenen Abschlag warf ihn vom möglichen geteilten dritten auf den fünften Platz hinter Dustin Johnson und Patrick Reed zurück. Immerhin war es die erste Top-5-Platzierung Finaus bei einem Major, und 474.659 Dollar Preisgeld sind auch nicht von Pappe…
R&A ernennt Tom Watson zum globalen Open-Botschafter
Nach dem Major ist vor dem Major: In fünf Wochen steht die Open Championship in Carnoustie an, und der R&A als Open-Veranstalter hat mit Tom Watson (68) ausgerechnet einen Amerikaner zum ersten weltweiten Botschafter seines Grand-Slam-Turniers ernannt. Freilich, der achtfache Majorsieger genießt in Großbritannien dank seiner fünf Open-Siege Heldenstatus, und die Ernennung passt gut, sicherte sich Watson doch 1975 in Carnoustie gleich auf Anhieb den Claret Jug, ließ dann Triumphe in Turnberry (1977), Muirfield (1980), Royal Troon (1982) und Royal Birkdale (1983) folgen.
Eiserne Ehrenplätze
Zum Schluss: Wir wissen nicht, wohin diese Golfversionen des berühmten eisernen Stuhls aus der Erfolgsserie „Game of Thrones“ unterwegs sind, aber es passt ganz gut als Schlusspunkt hinter die 118. US Open – zwei Ehrenplätze für die Geschichtsschreiber Brooks Koepka und Tommy Fleetwood.