Fragen sind manchmal völlig überwertet, selbst bei Interviewrunden: Da saß er nun im Licht von Kamerascheinwerfern und Foto-Blitzen, artig mit Schlips und Kragen unterm Green Jacket, wirkte etwas geblendet und musste vor allem bloß Danke sagen – Lächeln an, Lächeln wieder aus. Das golfverrückte Kaiserreich Japan liegt Hideki Matsuyama zu Füßen; und die Medien huldigen dem 29-Jährigen mehr, als dass sie ihn mit Nachhaken zu seinem Masters-Moment behelligen.
Der Autor kennt aus eigenem Erleben, welch groteske Züge die Heldenverehrung japanischer Journalisten haben kann. Unvergessen ist die Wortmeldung eines Kollegen aus Tokio während einer olympischen Pressekonferenz mit Basketball-Heros Michael Jordan vor vielen Jahren: „Wie fühlt man sich als Gott?“ Ganz soweit ist es bei Matsuyama noch nicht, aber seit der neue Champion mit seiner Entourage irgendwann am Dienstag morgen via Drehkreuz Chicago in der Heimat gelandet ist, schwappt Nippons nationale Gefühlslage eindeutig weit über den Rand des emotionalen Topfs, auf dem sonst so sorgsam der Deckel sitzt.
Sogar Premierminister Yoshihide Suga bekannte sich öffentlich zum Golfer, nannte den Sieg „wunderbar“ und eine „Quelle des Stolzes und der Beherztheit für das japanische Volk in diesen schwierigen Zeiten einer Pandemie“. Die rote Sonne in der Flagge Japans ist dieser Tage grün koloriert: in Pantone 342, der Farbe des Green Jacket.
Bereits 2011 eine Symbolfigur
Matsuyama wurde schon mal zur Symbolfigur – in Abwesenheit –, als er 2011 im Augusta National Golf Club der Leading Amateur war, während das Land unter den Folgen des verheerenden Tōhoku-Seebebens im Monat zuvor ächzte, dem größten bekannten Tsunami-Ereignis der japanischen Geschichte mit über 22.000 Opfern. „Sein Erfolg ermutigte die am Boden liegende Nation“, betont Isao Aoki, Chef der Japan Golf Tour, der „Washington Post“. „Jetzt wird die Welt vom Corona-Virus erschüttert, und ich glaube, dass dieser Sieg viel Hoffnung vermittelt.“
Auch Premier Suga („Matsuyama ist jung, ich erwarte künftig noch einiges von ihm.“) hofft auf „Inspiration für alle Japaner“. Ganz schön viel, was da auf Matsuyamas Schultern lastet, wenngleich sie keineswegs schmal sind.
Jeder „Hit“ von Hideki als Grafik in einer Zeitung
Knapp zehn Millionen Golfer hat das 125,5-Millionen-Volk, die auf rund 2.300 Plätzen und Hunderten von Driving Ranges der Faszination des Spiels folgen. Und falls irgendwer einen Schlag von Matsuyama beim 85. Masters verpasst haben sollte: eine Tageszeitung half aus und veröffentlichte Grafiken von sämtlichen 72 Löchern mit jedem von Hidekis „Hits“ während der vier Turniertage. Weitere Fragen zur Bedeutung seines Erfolgs?
From my dad’s friend in Japan: a Japanese newspaper published this graphic of all 72 (!!) holes of Hideki’s Masters win ? @GolfDigest pic.twitter.com/3hjioqKDay
— Gabby Herzig (@GabbyHerzig) April 13, 2021
Die japanische Golfbegeisterung kam im Kielwasser des wirtschaftlichen Aufschwungs nach dem Zweiten Weltkrieg, das Spiel avancierte zum Statussymbol und zur Unternehmenskultur. Nach einem Zwischentief in den krisenbehafteten 1990er-Jahren wurde Golf außerdem zum diplomatischen Faktor, siehe die gemeinsamen Runden von Ex-Premier Shinzo Abe mit Ex-US-Präsident Donald Trump.
Schub fürs Golfbusiness in einem wichtigen Markt
Japan gilt als enorm wichtiger Markt, und Matsuyama – ohnehin schon mit der Idolisierung eines Rockstars behaftet – dürfte dem Golfbusiness jetzt nochmals Schub verleihen. „Auf so etwas haben wir zehn, 30, ja 40 Jahre gewartet. Das wird jetzt ein richtig großes Ding“, glaubt Rex Kuramoto, ein Ex-Pro, der mittlerweile als Kommentator für „Golf Channel Japan“ tätig ist.
Und offenbar deutlich anders als durch die Major-Erfolge von Hisako Higuchi bei der LPGA Championship 1977 und Hinako Shibuno bei der Women’s British Open 2019 sowie Tsubasa Kajitanis Sieg beim Augusta National Women’s Amateur. „Wir haben natürlich auch andere international erfolgreiche Athleten“, so Kuramoto: „Aber Matsuyama gehört sicherlich zu den Top-Fünf.“
Finaler Fackelträger der Flammen-Staffel?
Die aktuelle Popularität des ersten männlichen japanischen Major-Gewinners ist derart hoch, dass der Masters-Matador überdies als finaler Fackelträger der Olympischen Flamme ins Gespräch gebracht wird. Wie vor ihm der am Tag des ersten Atombomben-Abwurfs (6. August 1945) in Hiroshima geborene Student Yoshinori Sakai bei der Eröffnungszeremonie 1964 soll nun im Juli Matsuyama das Feuer für die Sommerspiele von Tokio entzünden – falls sie tatsächlich stattfinden. „Wenn es in meinen Turnierplan passt, ich zu dieser Zeit in Japan bin und sie mich wirklich fragen, dann wäre das natürlich eine besondere Ehre“, sagt der Weltranglisten-14. in gewohnter Zurückhaltung.
„Alle mit Stolz erfüllen“: Mission erledigt!
Bei der kleinen Zeremonie in Butler Cabin unmittelbar nach dem siegbringenden Bogey-Putt hat Matsuyama davon gesprochen, ein Pionier sein zu wollen und „hoffentlich die Schleusen für viele Nachfolger zu öffnen“; später offenbarte er seinen inneren Antrieb von jeher: „Ich wollte eines Tages meine Familie, mein Land und mich mit Stolz erfüllen.“ Mission erledigt!
Als erster asiatischer Masterssieger übrigens für den gesamten Kontinent gleich mit, wie der gebürtige Koreaner Kevin Na am Sonntag in Augusta zur Protokoll gab, der extra vom Flughafen zurückgekommen war, um Matsuyama zu gratulieren: „Das beflügelt den Golfsport in ganz Asien.“
Sushi, Sashimi und Sake?
Und als sei‘s damit nicht genug, setzte Caddie Shota Hayafuji im positiven Sinn noch einen drauf, der selbst einen veritablen Golfschwung pflegt.
Seine Verbeugung auf Augusta Nationals 18. Grün vor dem Platz, dem Turnier und dem Augenblick ging um die Welt, eine grandiose Geste voller Würde, Haltung und Respekt, die man gar nicht oft genug zeigen kann. Womit zum Schluss lediglich eine Frage bleibt: Was wird nächstes Jahr beim Champions Dinner serviert? Sushi, Sashimi und Sake?