München im November 2022: Bayerns Landeshauptstadt ist im Football-Fieber. Der siebenfache Super-Bowl-Gewinner und GOAT Tom Brady tritt mit seinen Tampa Bay Buccaneers in der Allianz-Arena gegen die hierzulande enorm beliebten Seattle Seahawks an. Der Hype ist gigantisch. Tagelang regiert auf den Straßen und in den Wirtshäusern das Ei. Drei Millionen Tickets hätten verkauft werden können, am Ende sehen 69.811 Zuschauer das erste reguläre Saisonspiel der National Football League (NFL) auf deutschem Boden.
Vier NFL-Teams teilen sich Deutschland
In diesem Jahr soll sich das Spektakel gleich zwei Mal wiederholen: erneut in München sowie in Frankfurt. Mit den Kansas City Chiefs um Wunder-Spielmacher Patrick Mahomes kommt der amtierende Champion, dazu die New England Patriots. Ihre Gegner stehen noch nicht fest, aber diese beiden Namen sind schon mal gesetzt. Denn es sind „Designated Teams“, ihnen gehört Deutschland.
Wie jetzt? Das Stichwort lautet IHMA, es steht für International Home Marketing Area. Hintergrund ist das komplexe Franchise-System, nach dem die großen US-Mannschaftssportarten funktionieren. Die NFL hält die Rechte an der Liga, vergibt Lizenzen zum Betrieb und zur Vermarktung eines Teams. Bislang war alles Marketing auf einen Radius von 75 Meilen rund um den Standort des jeweiligen Teams begrenzt, das garantiert Alleinstellung vor der eigenen Haustür.
Kansas City, Patriots, Tampa Bay, Carolina
Zum 1. Januar 2022 wurde indes die bestehende Regel des Home Area Marketing (HMA) um eine internationale Komponente erweitert: Die 32 NFL-Teams durften sich darum bewerben, mit ihren Aktivitäten ins Vereinigte Königreich sowie nach Brasilien, Kanada, China, Mexiko und eben Deutschland zu expandieren. Kansas City, New England sowie Tampa Bay und die Carolina Panthers erarbeiteten entsprechende Konzepte und erhielten die exklusive Genehmigung, hierzulande Marketing zu betreiben.
„Wenn wir über internationale Märkte reden, hatte Deutschland immer die leidenschaftlichsten American-Football-Fans“, freute sich Patriots-Eigner Robert Kraft damals über den Zuschlag. „Die IHMA-Initiative schafft viele weitere Möglichkeiten, unsere internationale Fangemeinde anzusprechen und zu begeistern“, sagte wiederum „Bucs“-Besitzer Joel Glazer. „Jetzt können wir langfristige Beziehungen zu diesen internationalen Märkten aufbauen, die in den kommenden Jahren eine große Rolle für das weitere Wachstum und die Expansion unseres Sports spielen werden.“
.@NFL Announces International Home Marketing Area Teams and Markets
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— NFL345 (@NFL345) December 15, 2021
Und was hat das jetzt mit Golf zu tun? Viel. Denn bei der LIV Golf League haben die Verantwortlichen über den Tellerrand des Spiels geschaut und sich eine Menge vom Erfolgsmodell American Football abgekupfert. Kein Wunder, saßen doch mit den inzwischen ausgeschiedenen Atul Khosla und Matt Goodman zwei Top-Manager mit ausgewiesener NFL-DNA im Team von CEO Greg Norman.
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Beide dürften wichtige Figuren fürs LIV-Geschäftsmodell gewesen sein und maßgeblichen Anteil an der Entwicklung des angestrebten Franchise-Systems gehabt haben. Die Zentrale vergibt Lizenzen und sorgt fürs große Ganze, die Teams finden eigene Besitzer, Investoren, Sponsoren, vermarkten sich selbst, bauen sogar eigene Spielstätten und werden mittelfristig autark. Es fließt Geld für die Teilhabe am Produkt LIV Golf und für die Teilnahme am Spielbetrieb, den die Liga organisiert.
Damit kriegen die Saudis irgendwann ihren Return of Investment und eine Aussicht auf Gewinn, nachdem sie zwei Milliarden Dollar als Anschubfinanzierung bereit gestellt und zumindest 2022 laut der LIV-Anwälte „Null Einnahmen“ gehabt haben. Soweit der Plan, dem Golfsport mit diesem Konstrukt ein neues, nie da gewesenes Kapitel der Kommerzialisierung zu eröffnen.
Marktfixierung statt muttersprachlicher Zufall
Und wenn dieser Tage häppchenweise die zwölf Teams für die kommende Woche im mexikanischen Mayakoba beginnende zweite Saison der LIV-Liga sowie deren Protagonisten vorgestellt werden, dann zeigen sich auffällige Konstellationen, die nur vordergründig was mit Freundschaften oder Landsmannschaften und sonstigen ethnischen Gemeinsamkeiten zu tun haben.
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Teams wie Fireballs, Crushers, Ripper, Stinger oder Torque ließen sich auf der Weltkarte ähnlich anordnen wie die Football-Franchises auf dem zuvor gezeigten NFL-Schaubild. Das ist mitnichten muttersprachlicher Zufall, sondern klare Marktfixierung. Sie fokussieren in ihrer Zusammensetzung nämlich ganz eindeutig auf eine bestimmte geographische Wirkweise; die Kapitäne stellen die personelle Konstellation im Team gezielt auf den eigenen Herkunftskontinent oder einen gewünschten Zielmarkt ab.
LIV Golf: DeChambeau hat das Potenzial als Erster erkannt
Bryson DeChambeau, bei all seiner Spleenigkeit ja fraglos ein heller Kopf, hat das als Erster erkannt und schon 2022 den Inder Anirban Lahiri zu Paul Casey und Charles Howell III in seine Crushers-Crew geholt. Denn BDC schielt auf das Golfpotenzial des Subkontinents: „Man holt Spieler nicht nur als sportliche Verstärkung, sondern auch, um ihre Bekanntheit für wirtschaftliche Zwecke zu nutzen“, dozierte der „Mad Scentist“ schon vor Monaten. „Anirban ist in Indien eine echte Größe. Mit ihm wollen wir dazu beitragen, dort den Golfsport zu fördern, indem wir Driving Ranges und vielleicht sogar Plätze bauen.“ Bei DeChambeau bekommt das Alibi-Narrativ von „Growing the Game“ wenigstens Substanz.
Südafrika, Südamerika, Australien, Lateinamerika
Das Personal-Portfolio lässt sich nach Belieben mit diesem Faktor deklinieren. Louis Oosthuizen hat sich aktuell der Dienste des Landsmanns und PGA-Tour-Rookies Dean Burmester versichert und mit seinem rein südafrikanischen Stinger GC natürlich die Heimat im Visier. Der Chilene Joaquín Niemann zielt mit Torque und den LIV-Neuzugängen Mito Pereira (Chile) und Sebastián Muñoz (Kolumbien) ebenso eindeutig auf Südamerika, Vierter im Bunde ist wieder der Spanier David Puig. Cam Smith und seine Aussie-Ripper-Combo mit Marc Leishman, Matt Jones und Jediah Morgan wollen Down Under aufmischen. Die Fireballs um Sergio Garcia, Abraham Ancer und Carlos Ortiz (beide Mexiko) sowie Garcias iberischer Landsmann Eugenio Chacarra, sprechen – sogar im Wortsinn – Lateinamerika an.
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Wiesberger bei Kaymers Cleeks
Wohin Martin Kaymer mit den Cleeks und Graeme McDowell, Richard Bland sowie neuerdings Bernd Wiesberger und das Drei-Kapitäne-Team Majesticks von Henrik Stenson, Ian Poulter und Lee Westwood (mit Sam Horsfield) tendieren, muss nicht ausdrücklich erwähnt werden. Der Rest teilt vor allem den US-Markt unter sich auf, allen voran Titelverteidiger 4Aces GC mit Einzeldominator Dustin Johnson, Patrick Reed, Pat Perez und Peter Uihlein, der den aussortierten Talor Gooch ersetzt. Wenn heute als Letzte Phil Mickelson, Kevin Na und Bubba Watson ihr Tableau für HyFlyers, Iron Heads und die umgetauften RangeGoats bekannt geben, dürfte sich das Muster fortsetzen.
Gerüchte um LIV-müden Brooks Koepka
Bleiben nur noch der Smash GC, bei dem Matthew Wolff den abgewanderten Uihlein ersetzt, und die Gerüchte um Teamchef Brooks Koepka. Der vierfache Majorsieger hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er lediglich wegen verletzungsbedingter sportlicher Unsicherheit das Geld der LIV-Liga den Meriten der PGA Tour vorzieht, erfreut sich aber mittlerweile wieder bester Gesundheit und hat entsprechenden Spaß am Spiel.
Koepka galt ohnehin als Parteigänger von PGA-Tour-Paladin Rory McIlroy, nachdem der Nordire ihn auf Anfrage über das moralische Geschmäckle des Konkurrenz-Circuits aufgeklärt hatte – jetzt liebäugelt er angeblich damit, wieder in den Schoß des Establishments zurückzukehren, wo man ihn eigentlich lebenslang in Acht und Bann geschlagen hat. Das könnte interessant werden.