Was ist ein Wort wert, ein Treuegelübde, eine Ehrenerklärung? Im Profi-Golf gibt’s dafür seit etwas mehr als einem halben Jahr ein Preisschild: 125 Millionen Dollar. Die sicherte sich der zweifache Majorsieger Dustin Johnson als Garantiegage für seine Teilnahme an der LIV Golf Invitational Series – nachdem er im Februar der PGA Tour versichert hatte: „Ich stehe ausdrücklich zu diesem Wettbewerb und bin dankbar für die Möglichkeit, auf der besten Tour der Welt zu spielen.“
Schockwelle durch Dustin Johnsons Wechsel
„D. J.“ war es, der dem anfänglichen Jungsenioren-Golfkränzchen von Saudi-Arabiens Gnaden zuerst sportliche Namhaftigkeit verliehen hat, bevor Golf-Großkopferte wie Bryson DeChambeau, Brooks Koepka und zuletzt Cameron Smith dem Sirenengesang des Geldes folgten. Sein Wechsel verursachte die Schockwelle im Establishment, von der Greg Norman als Kapellmeister des Konkurrenz-Circuits geträumt hatte. Zuvorderst Johnsons Zusage fürs Eröffnungs-Event im Juni in London war die Aufwertung, derer die Saudi-Sause so dringend bedurfte, um dem Ruch als Herrennachmittag mit fetter Vorruhestands-Dotierung für Tour-Veteranen zu entrinnen.
Hebel beim Regime in Riad gefunden
Damit löste der spätere Einzel- und Team-Gesamtsieger die LIV-Lawine aus, deren ersten Stein die Kollaboration des aktuell ins Weltranglisten-Jenseits von Platz 213 abgerutschten Phil Mickelson mit den „Scary Motherfuckers“ und ihrem Faktotum Norman ins Rollen gebracht hatte. Denn „Lefty“ suchte einen „Hebel gegen die Diktatur der PGA Tour“, von der er sich im Wortsinn verkauft fühlte. Und fand ihn beim Regime in Riad, wo Kronprinz Mohammed bin Salman das Haus Saud und dessen Königreich um jeden Preis als Taktgeber am Persischen Golf und ebenbürtigen Partner auf der Weltbühne etablieren will.
Gegenentwurf zum verkrusteten Tour-System
143 Tage lagen zwischen der Premiere der LIV-Liga im Centurion Golf Club und dem Finale ihrer ersten Saison in Miami – knapp fünf Monate, die das Kräfteverhältnis auf dem Golfglobus verschoben haben. Aus dem einstigen „Project Wedge“, dem die Berater von McKinsey & Company noch 2021 große Herausforderungen und wenig Aussicht auf Erfolg attestiert hatten, ist ein Gegenentwurf zum verkrusteten Tour-System geworden, der den professionellen Golfsport seine ureigene Zeitenwende erleben lässt. Prosaisch gesagt: Der Wind aus der Wüste brachte die Golfwelt ins Wanken.
Machtposition und seins De-Facto-Monopol
Allerdings war und ist es eigentlich ein Sturm, angefacht aus den Mitteln der schier unerschütterlichen Schatulle des saudischen Staatsfonds PIF (Public Investment Fund), den das Spiel in dieser Form bislang nie erlebt hat. Selbst in den späten 1960er-Jahren nicht, als sich die PGA Tour von der PGA of America abgespaltet hat. Seinerzeit erfolgte der Umsturz sozusagen von innen. Diesmal jedoch hämmern die Usurpatoren von außen ans Bollwerk des von der PGA Tour gesteuerten und bräsig dahin plätschernden Profibetriebs, der sich seiner Machtposition und seines De-Facto-Monopols allzu lange allzu sicher war und den Spuk liebend gern als Fata Morgana oder Scheinriesen abtun wollte.
Was nicht sein darf, kann nicht sein?
Vielleicht auch, weil man im Hauptquartier in Ponte Vedra Beach/Florida und bei der DP World Tour (ehemals European Tour) im englischen Virginia Water nicht mehr wusste, mit wem man es zu tun hatte – vor lauter Premiere Golf League, Super Golf League, Super League Golf und was da dergleichen mehr an Gerüchten kursierte. Oder es einfach gar nicht so genau wissen wollte. Getreu der Devise: Was nicht sein darf, kann nicht sein.
Fahneneid beim Genesis Invitational
Doch als die Blubbereien des LIV-Lautsprechers Norman immer konkreter wurden, der plötzlich als CEO einer Unternehmung namens LIV Golf Investments und als Commissioner eines zu formierenden Turnierreigens auftrat, blies das Establishment zum Appell: Während des Genesis Invitational legte die Beletage des sportlichen Personals den Fahneneid auf die Tour ab, ein paar Tage später per Statement gleichermaßen die im Riviera Country Club nicht anwesenden Johnson und DeChambeau.
Schon zuvor hatte Tiger Woods abgewinkt und seine Loyalität zur PGA Tour bekundet – ausschließlich dort sieht der 15-fache Majorsieger sein Vermächtnis. Und das trotz einer Offerte der Saudis von angeblich 700 bis 800 Millionen Dollar. „Ersatzweise“ war auch Jack Nicklaus als Galionsfigur nicht zu bekommen.
McIlroy und sein „Dead in the water“-Urteil
Damit schien der Fall erledigt. Die LIV-Liga sei „dead in the water“, am Ende, bevor sie überhaupt begonnen habe, befand Rory McIlroy und scherzte: „Vielleicht sollte sich Greg [Norman] selbst reaktivieren, wenn er nicht genug Spieler bekommt.“ Der Nordire hatte aus seiner Antipathie für Saudi-Arabiens Golf-Ambitionen wegen des Makels der Monarchie aus Mord, Menschenrechtsverletzungen und sonstigen Missständen ohnehin nie ein Hehl gemacht („Mir gefällt nicht, wo das Geld herkommt“), nun avancierte er im Lauf des Jahres neben Tiger Woods zum Leitwolf des Widerstands.
Woods und „Rors“ bringen PGA Tour auf Trab
Die beiden brachten die mittlerweile aufgeschreckte PGA Tour quasi im Alleingang auf Trab und drückten Commissioner Jay Monahan die Elite-Spieler sowie die Elevated Events aufs Auge. Der „Commish“ hatte sich bis dato aus eigenem Antrieb nicht anders zu helfen gewusst, als markige Worte zu formulieren, Sperren zu verhängen und weitere Dollar-Millionen aufzustapeln, um Preisgelder, Prämien und konstruierte Boni zu erhöhen. Obwohl er zuvor konstatiert hatte, dieser Krieg gegen die Saudis und ihre LIV-Liga sei nicht zu gewinnen, wenn der bloß mit Geld geführt werde.
Zuguterletzt holten sich Woods und McIlroy Monahans Segen und Unterstützung für ihre Tomorrow Golf League (TGL), mithin für die Gamification des Spiels auf höchstem Niveau, und sorgten mit alldem dafür, dass die PGA Tour nun perspektivisch besser dasteht als es über weite Strecken dieses turbulenten Jahrs den Anschein hatte.
Gezänk, Gewese, Gezeter
Was drumherum passierte ist Lametta: Das Gezänk um die Aufnahme ins System der Weltrangliste. Das Gewese um die Major-Zulassungen der Überläufer. Das Gewirr von Klagen und Gegenklagen. Das Gespinst eigener Grand-Slam-Turniere. Die Gastauftritte des Hetzers und Aufwieglers Donald Trump, dem LIV zwei Mal die Bühne zur Selbstdarstellung bot. Die Geschäftstüchtigkeit der mit einer Miete von jeweils fünf Millionen Dollar geköderten, hingegen vielfach selbst bei den eigenen Mitgliedern umstrittenen Austragungsorte. Das Gezeter von Leuten wie Lee Westwood und Sergio Garcia, die heute gegen ein System ätzen, von dem sie lange gut gelebt haben.
Freilich, McIlroy macht es gleichermaßen nicht besser, wenn er einerseits für Verhandlungen und ein Miteinander oder mindestens Nebeneinander plädiert, andererseits beispielsweise gegen LIV’ler im Feld der BMW PGA Championship oder im Ryder-Cup-Team giftet.
Co-Existenz mit DP World Tour?
Dazu kommen Petitessen wie die Nachwehen des Malta-Meetings, über dessen Ausgang die unterschiedlichsten Versionen kursieren. Beispielsweise Eddie Pepperells Erkenntnis aus einem Gespräch mit European-Tour-Group-Chef Keith Pelley, der den Unterhändlern der Gegenseite sogar die Co-Existenz mit acht Veranstaltungen im Herbst – nach dem Saisonfinale der PGA Tour – angeboten haben soll. Wiewohl das gleichermaßen die wichtige Finalstrecke der DP World Tour ist. Laut Pepperell sei die Offerte am geplanten Ausbau des LIV-Kalenders von acht auf 14 Pflichtveranstaltungen und der daraus resultierenden Unvereinbarkeit mit dem etatmäßigen Programm der Protagonisten gescheitert – Stichwort Überbelastung.
Blankoscheck über zwei Milliarden Dollar
Wie auch immer: Die Schimäre LIV ist zum Machtfaktor erwachsen und bleibt, solange es den Saudis beliebt. Der golfverrückte PIF-Direktor Yasir Al-Rumayyan hat zur Anschubfinanzierung einen Blankoscheck über zwei Milliarden Dollar ausgestellt und sein Projekt mit einem hastigen „Go“ durchgedrückt, wenngleich es schon nach Mickelsons verheerenden Aussagen zu scheitern drohte. Damals wollten etliche fast sicher geglaubte Spieler offenbar plötzlich nichts mehr mit den als „Scary Motherfuckers“ angeprangerten Hintermännern des finanziellen Füllhorns zu tun haben; ein entsprechender Brandbrief per WhatsApp von Garcia an Norman ist überliefert: „Sharky, da machen sich gerade ein paar Jungs echt in die Hosen“, textete der Spanier am 11. Februar. Doch auf eins ist in dieser Welt immer Verlass: auf Eitelkeit und Gier.
Nie da gewesenes Kapitel der Kommerzialisierung
Es war die „Beta-Version“ von LIV Golf, die damals in London nach der Devise „Jetzt erst recht“ uraufgeführt wurde, eine laut Definition „frühe, noch unfertige Version des Spiels“. Demnach – zum Rückblick gehört immer auch ein Ausblick –ist für 2023 einiges zu erwarten. 14 Events auf jeden Fall, wahrscheinlich mit genau so viel Klamauk wie heuer, womöglich mit weiteren Verpflichtungen, auf jeden Fall mit viel mehr Preisgeld (von 255 auf 405 Millionen Dollar) und noch breiterer Brust. Gespannt darf man zudem auf die wirtschaftliche Wirkmacht sein, die dem Golfsport ein neues, nie da gewesenes Kapitel der Kommerzialisierung eröffnen soll: die Umwandlung in eine Liga der Teams, die Adaption des Franchise-Systems, das in den USA bei den großen Mannschaftssportarten gang und gäbe ist.
Herber Verlust fürs Franchise-Business
Hier schließt sich dann der Zirkel der Jahreszeiten: Im Frühjahr 2022 hing das Damoklesschwert des PR-GAU über der Serie und ihrer Feldstärke, im Winter ist den Saudis und ihrem Golf-Geschäft gerade Chief Operating Officer Atul Khosla abhanden gekommen. Ein herber Verlust, denn niemand bei LIV kennt das Franchise-Business so gut wie Khosla, der immerhin Top-Manager bei den Tampa Bay Buccaneers in der National Football League NFL gewesen ist. Aber: Wetten, dass Al-Rumayyans Headhunter schon unterwegs sind?