Sonntag, 27. September 2020. Kurz vor „High Noon“ betreten der Weltranglistenerste Rory McIlroy und Amerikas topgesetzter Brooks Koepka in Whistling Straits das erste Tee: Die Europäer haben aus den Vierern einen knappen Rückstand in die Singles des Auswärtsspiels gerettet, der Prestige-Pas-de-deux soll nun den Weg zur Titelverteidigung des Ryder Cup ebnen.
Whistling Straits in gespenstischer Stille?
Über dem Lake Michigan hängt eine etwas fahle Herbstsonne, auf dem Straits-Parcours mit seinen über 1.000 Bunkern lastet gespenstische Stille. Keine Schlachtgesänge von vieltausendsitzigen Tribünengebirgen, keine kreativ oder kurios verkleideten Fans, kein Trubel, kein Jubel, keine Heiterkeit. Selbst das leichte Knirschen zwischen Handschuh und Griff ist zu vernehmen, als die Kombattanten ihre Driver packen. Und das beim Ryder Cup? Bei dem Mannschaftswettbewerb des Golfsports? Beim ultimativen Kontinental-Duell um Ruhm und Ehre
Nicht. Vorstellbar!
Sagt selbst der blau-goldene Teamchef. „Niemand will einen Ryder Cup sehen, der ohne Zuschauer ausgetragen wird“, betonte Padraig Harrington im Gespräch mit „BBC Radio“. Der Ire: „Meiner Einschätzung nach herrscht allgemein Übereinstimmung, dass der Wettbewerb so lange nicht gespielt wird, bis wieder Fans zugelassen werden können.“
Ryder Cup: „Fans sind eine enorme Bereicherung“
Das vermaledeite Virus führt Regie in einem ziemlich deutlichen Szenario. Die PGA Tour gastiert nach dem Re-Start fürs Erste vor leeren Kulissen – wann immer das unter Maßgabe der angepeilten Million verfügbarer Corona-Tests und Einreisemöglichkeiten von Spielern und Caddies tatsächlich möglich sein wird. Medizinische Experten wie Dr. Anthony Fauci, Amerikas Professor Christian Drosten, sehen Geisterspiele“ als einzige Perspektive, um irgendwann im Lauf des Sommers überhaupt wieder sportliche Wettbewerbe auszutragen.
Das gilt umso mehr für große Turniere, wo sich nun mal die stimmungsfrohe Golfgemeinde dicht um Abschläge und Grün oder entlang der Fairways drängelt – „was nicht zuletzt den Ryder Cup enorm bereichert“, weiß Harrington: „Die halbe Welt, Golfer wie Nichtgolfer, schaut wegen der Spannung zu, die vom Publikum erzeugt wird.“
Stochern im Nebel bei Spieler-Auswahl
Ja, auf das „Mashed Potatoes“- und „Baba Booey“-Gebrülle überengagierter US-Anhänger könnte man getrost verzichten, es geriete für Harringtons Zwölf vielleicht gar zum Vorteil. Den Verlust der lebendigen, pittoresken und unvergleichlichen Fan-Szene beim Ryder Cup freilich wäre es nicht wert, sie ist ein essenzieller Teil seiner Anziehungskraft.
Noch läuft alles in Richtung September-Termin. Notfalls mit zwölf Picks für Europas Skipper und ebenso für US-Pendant Steve Stricker. Der Mann aus Wisconsin, für den Whistling Straits am Lake Michigan ein doppeltes Heimspiel ist, hat‘s da womöglich einfacher, wenn der Tour-Betrieb tatsächlich im Juni wieder Fahrt aufnehmen sollte. Die European Tour steht definitiv bis Ende August nahezu still, Harrington würde im Nebel stochern. Doch es wären vermutlich ohnehin weitgehend jene, die sich eh qualifiziert hätten.
„Moliwood“: „Es wäre nicht dasselbe Turnier“
Auch damit ließe sich leben. Mit einem publikumsfreien Ryder Cup allerdings nicht. Europas Dream-Couple „Moliwood“ äußerte sich gleichermaßen. Francesco Molinari und Tommy Fleetwood erklärten in einer „BBC-“Video-Schaltkonferenz unisono, einen Kontinentalwettbewerb ohne Fans abzuhalten sei schwierig. „Das wäre nicht dasselbe Turnier“, meinte Fleetwood, dessen Haarwuchs in friseurlosen Zeiten etwas aus dem Ruder zu laufen scheint.
Dabei geht‘s nicht mal um die Stimmung allein, es hängt ebenso ökonomisch zuviel am Publikum. In Sachen Merchandising-Verkauf vor Ort, Verpflegungsumsatz auf dem Platz, Hospitality-Vermarktung, wirtschaftlicher Niederschlag in der Region, in Hotellerie und Gastronomie und und und … Bei der European Tour werden sie diesbezüglich insgeheim ein Stoßgebet zum Himmel gesandt haben, dass der „Corona-Ryder-Cup“ turnusmäßig in den USA stattfinden soll.
Wirtschaftliche Verluste für European Tour?
Denn die Tour finanziert ihre Organisations- und Betriebskosten nahezu ausschließlich mit den Einnahmen, die alle vier Jahre durch das Heimspiel generiert werden. Ein direkter Ausfall hätte vermutlich dramatische Folgen. Paris 2018 erbrachte über 100 Millionen Euro, wird kolportiert; der Löwenanteil floss in die Kassen von Virginia Water. Beim Trip über den großen Teich ist der Anteil deutlich kleiner, die PGA of America kassiert zuvorderst; der Verlust wäre verschmerzbarer – zumal die TV-Sender auf jeden Fall für ihre Übertragungsrechte berappen.
Harrington berichtete, er sei in ständigem Kontakt mit den Verantwortlichen, auch auf amerikanischer Seite. „Die Planung läuft weiterhin mit der Zielsetzung einer regulären Austragung“, sagte der dreifache Majorsieger und ergänzte: „Ich möchte nicht den Eindruck erwecken, dass gar nicht über eine mögliche Verschiebung nachgedacht wird. Ganz sicher werden Alternativen erörtert.“
Auch McIlroy für Verschiebung auf 2021
Seth Waugh, Präsident der PGA of America, will den Termin beispielsweise mit einem „virtuellen Fan-Erlebnis“ retten, was auch immer das sein soll. Für Rory McIlroy keine Lösung. „Eine Ryder Cup ohne Fans ist kein Ryder Cup!“, konstatierte der Nordire in einem Instagram-Video für TaylorMade. „Und das sage ich als Europäer, der im Wissen nach Amerika geht, dass er dann dort beschimpft wird. Selbst wenn wir davon profitieren würden: Es hätte keine Atmosphäre, es wäre nicht das Spektakel – dann sollte es eher auf 2021 verschoben werden.“
Eine Verlegung hätte durchaus Vorteile, das soll nicht verschwiegen werden. Der Ryder Cup würde wieder in ungeraden Jahren stattfinden – wie seit seiner Begründung 1927, bis die Terroranschläge vom 11. September 2001 den Aufschub ins Folgejahr begründeten.
„Man muss das große Bild sehen. Alles hängt vom Virus ab“
Dadurch ginge man mittelfristig überdies weiteren Saison-Engpässen durch das Olympische Golfturnier aus dem Weg. Lediglich die Situation des Solheim Cup wäre zu klären. „Natürlich hoffen wir, dass wir in fünf Monaten unsere Chance bekommen. Aber es gibt wichtigeres als einen Ryder Cup“, resümierte Harrington für den Augenblick: „Man muss das große Bild sehen. Alles hängt vom Corona-Virus ab.“