Was weltweite Krisen für Golf mit sich bringen können, das hätte sich unlängst beim Oster-Eierlikörchen im TV bestens beschauen lassen – wenn nicht just eine Pandemie herrschen würde, die das Masters von seinem angestammten Platz in der ersten vollständigen April-Woche vertrieben hat. Augusta National entstand in den Nachwehen der Great Depression von 1929/30, als im Kielwasser der US- auch die Weltwirtschaft darniederlag, Beschäftigung rar und Arbeit daher billig war.
Das Major der Granden in Grün ist vielleicht kein sonderlich vorteilhaftes, aber ein treffliches Beispiel für Golf unter dem Einfluss oder im Kielwasser einer Rezession: Krisen treiben stets krude Blüten, eine Blaupause gibt es wegen aller Unterschiedlichkeit nicht, verlässlich vorhersagen lässt sich nur zweierlei: Ein paar wenigen geht es immer gut. Und der Mensch klammert sich zumeist an selbstverliebte Muster, solange es irgend geht, und reagiert mit aufatmender Vergesslichkeit, wenn‘s denn ausgestanden ist.
Die Krisenprofiteure von Augusta
Bobby Jones und sein Sozius Clifford Roberts waren Profiteure der Krise mit reichen Gönnern. Sie nutzten die Not, heuerten Hilfswillige zu Hungerlöhnen an, ließen sie schuften, „als wäre die Sklaverei wieder eingeführt“, so ein Zeitzeuge, stellten den Platz binnen 76 hektischen Tagen fertig, gaben bloß 85.000 Dollar an Baukosten aus und prellten den Architekten Dr. Alister MacKenzie schließlich noch um vier Fünftel seines Honorars, während die Herrenrunde selbst das neue Refugium mit Strömen von Maiswhisky und allerlei Entertainment feierte. Anfangs war Augusta National ein Groschengrab, heute ist es ein perfekt manikürter Mythos.
Spanische Grippe plus Great Depression?
Weltwirtschaftskrise freilich hat‘s noch nicht, wenngleich die Auguren sie schon im Kielwasser des Corona-Virus am Horizont heraufziehen sehen. Wie die „Neue Zürcher Zeitung“ kolportierte, geht das Bundesinnenministerium in einem Strategiepapier schlimmstenfalls von einem Einbruch des Brutto-Inlandsprodukts von 32 Prozent und der Industrie von 47 Prozent aus, addiert 1929 mit 1919 zu einem öffentlichkeitswirksamen „Worst-Case"-Schreckensszenario: Weltwirtschaftskrise plus Spanische Grippe als Analogie für das, was jetzt drohen könnte. Wer soll wissen, wie es sein wird, wenn diese beiden apokalyptischen Reiter tatsächlich gemeinsam durch die Gesellschaftsordnung galoppieren? Will man vermutlich auch gar nicht.
Golf als Gegenmittel
Immerhin gebührt der Spanischen Grippe die fragwürdige Ehre der ersten Seuche, die auch den strukturierten Golfsport heimsuchte. Kaum war der Kanonendonner des Ersten Weltkriegs verhallt, forderte die Epidemie von Januar 1918 bis Dezember 1920 geschätzt bis zu 50 Millionen Todesopfer bei rund 500 Millionen Infizierten, einem Viertel der damaligen Weltbevölkerung. Naturgemäß brachte sie Golf in der Breite erstmal zum Erliegen, aber irgendwie auch wieder nicht.
In Zeitungsanzeigen wurden Angeln und Golf gar Gegenmittel der Spanischen Grippe gepriesen – Wasser auf die Mühlen all derer, die jetzt Ausnahmegenehmigungen zur Wiederöffnung der Golfplätze herbeireden wollen. Und vom aufstrebenden American Idol Bobby Jones weiß man, dass er als 18-Jähriger durchs Land tingelte und Benefizturniere zugunsten des Roten Kreuz spielt.
„Goldenes Zeitalter“, Verdopplung des Betriebs
Währenddessen waren die Welt und besonders Amerika immer noch im „Goldenen Zeitalter der Golfplatz-Architektur“, Design-Genies vom Schlage eines Ross, Colt, Tillinghast, Thomas oder MacKenzie schufen ewige Parcours-Preziosen wie Oakland Hills (1918), Wentworth (1922), Winged Foot (1923), Riviera (1926) oder Cypress Point (1928). Parallel verdoppelte sich in den „Roaring Twenties“ weltweit der Golfbetrieb, die Handicap-Rechnung wurde standardisiert und der Ryder Cup hatte seine Geburtsstunde. Krise ist ein produktiver Zustand, man muss ihr nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen. So hat es der Schweizer Schriftsteller Max Frisch mal formuliert.
Lieferketten für Bälle dicht
Waren die Weltkriege Krisenjahre für Golf? Zäsuren auf jeden Fall. Aber Sport und auch Golf waren damals systemrelevant, dienten zur Zerstreuung der in Sachen Nachschub schuftenden Werktätigen. Nicht von ungefähr gab es während beider Kriege in den USA laufenden Golf-Touren, wurde der Turnierbetrieb durch die 1916 gegründete PGA of America bewusst aufrecht erhalten. Präsident Woodrow Wilson (1913 bis 1921), ohnehin ein Golf-Nerd und ständig am Schläger, hielt Golf für einen Teil der Lösung und seine Soldaten expressis verbis zum Spielen während ihrer Ausbildung an. Nur 1920 gab es keine „PGA Tour“, ansonsten bis zu 22 Turniere im Jahr, Events wie der von 1899 bis 2006 ausgetragene Klassiker Western Open.
1942 wiederum fand eines der spannendsten Masters aller Zeiten statt, bei dem Byron Nelson im Play-off über Ben Hogan triumphierte – fünf Monate nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbour und als Höhepunkt eines 24 Turniere umfassenden Profi-Circuits. In Deutschland fehlte es Golf derweil schlicht an Bällen, die Nachschubwege – heute nennt man das Lieferketten – waren dicht.
Nach den Kriegen blühte Golf jeweils auf
Bloß die Majors setzten während der Weltkriege jeweils ein paar Jahre aus. Schiffsreisen über den Atlantik – Abstecher der US-Pros nach Großbritannien oder Trips von Europas Elite in die USA – waren damals wegen der „eisenhaltigen Atmosphäre“ über und unter den Wellenkämmen nicht sonderlich en vogue. Im Frieden freilich blühte auch das Golfspiel jedes Mal auf. Der Mensch hatte wieder Muße und Sinn für Vergnügungen, suchte nach Freizeitgestaltung. Und fand sie auch auf den Fairways. In den 1950er Jahren kam zudem die förderliche Wirkung des Fernsehens hinzu, das Golf und sein telegenes Testimonial Arnold Palmer in nahezu jeden US-Haushalt brachte.
Verkauf von Bällen als Indikator
In der Banken- und Finanzkrise 2008 fehlten solche Katalysatoren. Sowieso mangelte es schlicht am Geld. Für Mitgliedschaften, Greenfees, neue Schläger und sonstiges Equipment. Die Angst um den Arbeitsplatz rangierte deutlich vor dem Hype ums Handicap. Die Wirtschaftsprüfer der KPMG stellten beispielsweise Umsatzeinbußen bei fast 50 Prozent aller Golfanlagen in Europa fest, zwei Drittel der Befragten gaben an, erheblich unter dem Einfluss der Krise zu leiden. Als verlässlicher Indikator wird gemeinhin der Verkauf von Bällen angesehen, und Callaway beispielsweise verzeichnete von 2008 auf 2009 ein Minus von 15 Prozent.
„Von oberen Einkommensklassen getragen“
Dennoch befand die amerikanische National Golf Foundation 2008 in einer Erhebung über die Wechselwirkung von Wirtschaftsdellen und Golf, das Spiel sei zwar nicht gänzlich krisenfest, aber die Golfbranche werde eher als eine der Letzen von einer Rezession beeinträchtigt und erhole sich als eine der ersten Wirtschaftszweige. Weil: „Sie wird ganz offenkundig von Verbrauchern am oberen Ende der Einkommensklassen getragen.“
Die „Selbstheilungskräfte“ bestätigten sich 2016. Da wiederum attestierte die World Golf Foundation einen Anstieg der Wirtschaftsleistung des Golfsports in den USA um 22 Prozent gegenüber 2011, von 68,8 Milliarden auf 84,1 Milliarden Dollar.
Globalisierung als zerstörerischer Malus
Die jetzt drohende Krise freilich droht alles in den Schatten zu stellen, siehe „1919 + 1929“. Deutschland für sich scheint noch halbwegs gut gewappnet. Gesundheitlich und wirtschaftlich. Andere Nationen eher nicht. Und die ach so besungene, vermutlich unvermeidliche Globalisierung wird womöglich zum allzerstörerischen Malus (für manche war sie das vorher schon).
Alles hängt davon ab, wie lange es tatsächlich dauert, wie tief die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wunden ausfallen, die das grassierende Corona-Virus schlägt. Was bleibt, ist die Hoffnung auf die Resilienz des Spiels. Und ansonsten die alte, wenngleich bestens bewährte Empfehlung: Play the ball as it lies.