1,4 Prozent Plus gegen 2019, ein Wachstum von 8.740 Golferinnen und Golfern auf insgesamt 651.417 Menschen, die sich hierzulande offiziell und organisiert dem „perfekt geregelten Wahnsinn“ angeschlossen haben, wie der legendäre Journalist Erich Helmensdorfer mal ein Buch über das Spiel betitelt hat; dazu 1,533 Millionen sogenannte Graugolfer, die vereinsfrei dem großen Sport mit dem kleinen Ball frönen: Das sind die Kernzahlen der Golf-Inventur für das Jahr 2020. Und was sagt uns das jetzt?
Auf den ersten Blick ernüchternd
Ehrlich gesagt – wenig. Natürlich ist Wachstum per se schön, egal in welcher Größenordnung. Dennoch sind die Quoten ein bisschen ernüchternd. Jedenfalls auf den ersten Blick.
Angesichts all der Spekulationen über die Chancen dieser Corona-Krise für eine Freiluft-Sportart mit problemloser physischer Distanz und hohem Gesundheitsfaktor hätte man schon etwas mehr als die Eins vor dem Komma erwartet.
Golfclub als „Panic Room“ in einer Pandemie
Waren nicht nach dem ersten Shutdown landauf landab die Leute in Scharen auf die Anlagen geströmt, Schnupperkurse überbucht, Anmeldebögen gar nicht schnell genug nachgedruckt? Von der anfänglichen Startzeiten-Stampede ganz zu schweigen...
War nicht die Rede von einer Renaissance des Auslaufmodells Golfclub bzw. Clubmitgliedschaft? Als „Panic Room“ für eine Pandemie, in der eher die Außenwelt eingesperrt, mindestens lahmgelegt ist; als leidlicher Garant fürs Ergattern verknappter und reinen Greenfee-Spielern zudem vielerorts verwehrter Teetimes?
Nicht erfasste Eintrittswelle im Spätherbst
Gab‘s nicht Nachrichten von mehrhundertfachem Zulauf bei einzelnen Anlagen, von Beispielen mit mehr als 200 bis zu über 400 Eintritten, die allein dem Autor zu Ohren kamen? Trotzdem sind‘s dann netto nur ein Dutzend neue Mitglieder im Schnitt, wenn man 8.740 durch die 720 deutschen Golfanlagen teilt?
Stop! Das alles hat wenig Aussagekraft, siehe oben. Wie nie zuvor ist diese aktuelle Erfassung des organisierten Golfsports kaum mehr als eine Momentaufnahme. Allein schon, weil der Erhebungszeitraum am 30. September 2020 endete, sowohl Oktober als auch November aber offenbar nochmals eine Eintrittswelle beschert haben. Weil das vergangene Jahr wegen des grassierenden Virus und der wirtschaftlichen wie sozialen Begleitumstände ohnehin im Ausnahmezustand ablief.
Verlässlich sind vor allem die Silver Ager
Gut, eine verlässliche Größe sind einmal mehr die Best und Silver Ager. Die Altersklassen ab 56 sorgen jahraus jahrein verlässlich für Zuwachs. Darunter sieht‘s nach wie vor mau aus. Einerseits wird Golf-Deutschland immer älter – mittlerweile sind 42,2 Prozent über 60 –, andererseits erodiert die Club-Szene weiterhin bei den Kohorten der 36- bis 55-Jährigen.
Doch wenngleich sich hier ebenfalls auf den ersten Blick die Tendenz der vergangenen Jahre fortzusetzen scheint, ist die Frage berechtigt, welche verantwortungsvollen Familienoberhäupter „m/w/d“ sich in derart unsicheren Zeiten mit stillgelegten Betrieben, drohendem Arbeitsplatzverlust oder mindestens Kurzarbeit die finanzielle Belastung einer Golfclubmitgliedschaft ans Bein hängen?
Fürs Erste ist alles relativ
Umso erfreulicher, dass sie offenkundig den Nachwuchs aufs Grün schicken. Freilich, selbst bei den Zuwachsraten in den Gruppen von 6 bis 26 Jahren und besonders bei den 15- bis 18-Jährigen bleibt abzuwarten, ob die wirklich zuvorderst Angeboten wie „Abschlag Schule“ etc. zu verdanken sind, wie der Deutsche Golf Verband gern annehmen möchte, oder ob sie womöglich doch bloß der Flucht auf die Fairways geschuldet war, weil sonst in Sachen Sport kaum was ging.
Will heißen: Fürs Erste ist alles relativ. Nächstes Jahr um diese Zeit sind wir vermutlich schlauer. Wenn die Bilanz für 2021 vorliegt und vorher hoffentlich wieder etwas Normalität eingekehrt ist.
Die wirkliche Arbeit beginnt jetzt
Dann wird sich erweisen, ob der kleine Boom lediglich ein kurzlebiger Trend war oder der Beginn einer neuen positiven Entwicklung. Ob die Clubs das Interesse in Bindung umsetzen konnten. Ob wirklich alle Anlagen die wirtschaftlichen Verwerfungen durch das Virus überleben. Über den notwendigen Spagat zwischen den tradierten Bedürfnissen der „Altgolfer“ und zeitgemäßen Angeboten für die Neuzugänge wird separat zu reden sein, über die anderthalb Millionen Gelegenheitsgolfer sowieso.
Die wirkliche Arbeit an der Chance durch Corona beginnt jetzt. Auf dieses Jahr kommt‘s an. Der organisierte Golfsport muss den Vertrauensvorschusses bestätigen, was draus machen. Die Zahlen für 2020 vermitteln vor allem eins – erwartungsvolle Spannung.