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Golf Post Premium Panorama

Wenn Golflöcher zum „Drive-in“ werden, verliert das Spiel seine Substanz

23. Nov. 2020 von Michael F. Basche in Köln, Deutschland - Dies ist ein Golf Post Premium Artikel

Die Abschläge der Profis fliegen zu weit, findet Kommentator Michael Basche. (Foto: Getty)

Die Abschläge der Profis fliegen zu weit, findet Kommentator Michael Basche. (Foto: Getty)

Es ist an der Zeit, sich bei „Mad Scientist“ DeChambeau mal zu bedanken nach all dem Bryson-„Bashing“. Danke zu sagen dafür, dass er beim Masters ein Praxis-Profil für die eher abstrakte, von Zahlen bestimmten Debatte um Schlaglängen geliefert hat, die vom Jedermann-Golfalltag so weit entfernt sind wie seine Hiebe mit dem Holz von den Abschlägen durchschnittlicher Amateure. An einem der berühmtesten Löcher der Welt auf dem nebst Old Course sicherlich berühmtesten Platz der Welt.

Augustas „Azalea“ zeigt die Auswirkungen perfekt

Augusta National als Institution im Majorreigen ist halt doch noch was anderes als die 2020er-US-Open-Bühne Winged Foot, die alle Jahre wieder mal zum Zuge kommt, entsprechend selten im Rampenlicht einer breiten Öffentlichkeit steht. Und wer „Azalea“, das legendäre Loch 13, nicht kennt, deren Abschlag den Ausgang des Amen Corner bildet, hat ohnehin eine Wissenslücke in Sachen golflandschaftlicher Ästhetik.

Und genau an diesem Beispiel lässt sich so perfekt belegen, was die modernen Schlaglängen anrichten. Sie berauben das Spiel eines Großteils seiner Reize. Weil sie wesentliche Elemente auf dem Weg vom Tee zum Grün aus dem Spiel nehmen, ignorieren, zur Bedeutungslosigkeit degradieren.

DeChambeau führte Gestaltung der 13 ad absurdum

Seine Schöpfer Dr. Alister MacKenzie und Bob Jones Jr. haben das heute 466 Meter lange Dog Leg als „Risk-and-Reward“-Arrangement konzipiert, das ein Eagle verheißt, je direkter die Spiellinie – idealerweise als Draw – am linksseitigen Saum der Bäume und an Rae‘s Creek entlangführt; dessen garstig verteidigtes Grün allerdings Vorlegen fast unumgänglich macht, wenn der sichere Weg über „rechtsaußen“ gewählt wird. „Azalea“ ist ein Wolf im Schafspelz. Oder „Beauty and the Biest“ in einem: ausnehmend hübsch anzuschauen, indes bei „Misshits“ bissig und böse.

Das Grün via Luftlinie anvisiert

DeChambeau ließ das gesamte Designkonzept – in diesem Fall – rechts liegen, als er nach dem donnerstäglich Doppel-Bogey-Debakel aus dem Pinienstreu zwischen 13. und 14. Fairway seine Taktik änderte und das Grün via Luftlinie anvisierte. Er hämmerte einfach links über die Bäume – die dafür mindestens erforderlichen 350 Yards (320 Meter) hat er locker drauf – und ließ den Ball ungefähr an der Stelle landen, wo andere ihren zweiten Schlag vorlegen. Dann hatte er bloß 100 Yards (91 Meter) oder etwas mehr bis zur Fahne und markierte am Sonntag während der Schlussrunde mit Bernhard Langer endlich den Eagle. Eine etwas andere Manier, das „Risk-and-Reward“-Prinzip zu interpretieren...

Wiewohl DeChambeau in Augusta wegen „zu vieler eigener Fehler“ weit unter den eigenen Ansprüchen blieb und sogar gegen Langer –Achtung, Wortspiel – den Kürzeren zog, zeigt das Beispiel augenfällig, was zuviel Länge aus einem Loch machen kann. Wenn man gelungenes Golfplatzdesign als „große Oper“ kennzeichnet, dann macht das extreme Longhitting wesentliche Elemente der Orchestrierung überflüssig; es ist, als überspränge man weite Teile der Partitur, um schnellstmöglich zur Schlussarie zu gelangen.

Design als tragende Säule des Spiels

Den Spielern mag das egal sein, es ist ihr Job und es geht um ein möglichst niedriges Ergebnis. Freilich, der Zweck darf nicht alle Mittel heiligen in einem Sport, zu dessen substanziellen Elementen, ja tragenden Säulen die individuelle und kreative Gestaltung der Spielfelder zählt.

Damit führt sich gleichsam die Argumentation ad absurdum, im Fußball oder Basketball hätten sich ebenfalls Spielerphysis, Skills, Taktik und Material weiter entwickelt, gleichwohl denke niemand an neue Maße für die Ausgrenzen. Stimmt, doch auf den nivellierten, gleichförmigen Flächen sind nun mal per se keine Konturen, Hindernisse oder irgendein ein spezifisches Set-up vorgesehen, die das Erreichen des Ziels erschweren.

Verlängerungen sind ein absurdes Mittel

Deshalb mag Schlaglänge zwar spektakulär sein und gehört ja auch dazu, sie ist jedoch nicht alles und muss Grenzen haben. Weil der verfügbare Platz endlich ist, zudem wirtschaftlich wie gestalterisch Grenzen hat. Es ist restlos absurd, das Heil in der stetigen Verlängerung von Plätzen zu suchen, in einer immer neuen Verlagerung von Tee Boxen in den Rückraum.

„Wir müssen jetzt schon über 7.000 Meter lange Kurse bauen, wenn es Meisterschaftsplätze sein sollen“, meinte Tiger Woods vor einiger Zeit. „Es ist erschreckend, wo das hinführt, wenn die technische Entwicklung so weitergeht. Wir haben nicht genug Gelände für solche Plätze. Es macht sowieso alles nur teurer und komplizierter.“

Beim Golf ist auch der Weg das Ziel

Wenn schon andere Sportarten zum Vergleich angeführt werden: Die Formel 1 lebt auch nicht vom High Speed auf den Geraden allen, dafür gibt es Salzseen, sondern von Auseinandersetzungen mit der Streckengeometrie, mit Kurven und deren Radien.

Beim Golf ist ebenso der Weg das Ziel. Wenn‘s nur noch darum geht, möglichst schnell und ungehindert aufs Grün zu kommen, wenn sich „Skills“ auf „grip it and rip it“ oder „hit and hope“ reduzieren, so weit wie möglich, ohne Rücksicht auf Akkuratesse, weil ein kurzes Wedge schon aus nahezu jeder prekären Lage helfen wird – dann braucht es die Gestaltung der Zwischenräume nicht mehr. Doch nicht zuletzt daraus nährt sich die Faszination des Spiels. Aus ziselierter, fast feinchirurgischer Handhabung der Schläger, aus breitem Schlagrepertoire, Shot Making und Course Management.

Wilco Nienaber und die 401 Meter

Damit es keine Missverständnisse gibt: Bryson DeChambeau ist lediglich der Repräsentant der zahlreichen „Raketenwerfer“ auf den Touren – siehe den 401-Meter-Drive des 20-jährigen Südafrikaners Wilco Nienaber, ohnehin Längen-Primus auf der European Tour, gerade bei der Joburg Open. Es geht eben so wenig darum, irgendjemanden um die Früchte seiner Arbeit zu „betrügen“. Bei den reflexhaften Statements zur Problematik der immer weiter fliegenden Bälle wird gern vergessen, dass kein Einzelner eingebremst werden soll; vielmehr gehört das Gesamtpaket Tour-Abschläge zurückgedrängt, das Rad der Schlagweiten-Entwicklung etwas zurückgedreht.

Wenn alle zehn Prozent kürzer schlagen – durch welchen Eingriff auch immer – sind DeChambeau und Co. immer noch ganz weit vorn. Allerdings sind der Platz und sein Design wieder im Spiel. Zuguterletzt: „BDC“ gebührt auch nicht der „Schwarze Peter“, eher den Verbänden, die der Entwicklung tatenlos zugeschaut haben, wo sie frühzeitig hätten behutsam auf die Bremse treten können.

„Verbände hätte sich früher kümmern müssen“

Ganz gleich, wer zuerst war, die Henne oder das Ei. Sprich: die von den Herstellern per Materialentwicklung befeuerte Weitenjagd, der das Layout der Plätze hinterher hecheln muss. Oder der Bau immer längerer Parcours, um den „Wohnen-am-Golfplatz“-Immobilienmarkt zu bedienen, dem nach Ansicht mancher Diskutanten wiederum Spieler und Ausrüster halt zu folgen gezwungen waren.

Wie auch immer, R&A und USGA müssen nun sehen, wie sie die Geister wieder loswerden, die in den vergangenen Jahren beschworen wurden. „Sie hätten sich früher kümmern müssen, jetzt ist der Zug abgefahren“, monierte Woods neulich. „Die Diskussion gibt es seit mehr als 20 Jahren und ich denke, sie wird weitergehen.“

45 Meter mehr vom Tee seit 1980

Damals war er der Auslöser. Nach seinem Rekordsieg beim Masters 1997 setzte das „Tiger-Proofing“ der Plätze ein. Seither sind die durchschnittlichen Drive-Distanzen auf der PGA Tour von 244 auf 269 und bei den 20 Top-Longhittern auf 283 Meter gestiegen. In den vergangenen 40 Jahren hat die Durchschnittslänge vom Abschlag um 45 Meter zugelegt.Woods: „Ich sehe einfach nicht, dass man das Ganze auf Anfang stellt.“

Aber irgendwas muss passieren, wird passieren. Am Ball, bei Kompression und Dimples. Am Holz 1, bei Länge und Loft. Andernfalls verkommen eigentlich grandiose Geläufe zum „Drive-in“. Und das facettenreiche Strategie- und Skills-Spiel Golf zu Junkfood, bombastisch, aber innen hohl.

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