Die PGA Tour hat dieser Tage via Facebook ein Video mit den besten Schlägen aus der Geschichte des Tournament of Champions gezeigt, und das Kaleidoskop beginnt sinnigerweise mit einem „Driver off the Deck“ von Tiger Woods aus dem Jahr 2005. Spätestens da ploppt erneut ein Thema auf, das ohnehin seit dem gehypten Auftritt mit Filius Charlie bei der PNC Championship herumspukt: Die Tour eröffnet auf Hawaii die Spielzeit 2022, aber wann kommt auch der Tiger wieder?
Gewagte Ausblicke und eine große Frage
Das Gipfeltreffen der Saisonsieger im Kapalua Resort läutet ein Jahr ein, in dem die Auguren der Szene Großes erwarten: der wiedererstarkte Jordan Spieth wird beispielsweise als Gewinner der 150. Open Championship im Home of Golf zu St. Andrews prophezeit, Brooks Koepka soll sich bei der PGA Championship in Southern Hills das fünfte Major einverleiben – und dergleichen gewagte Ausblicke mehr. Über allem indes schwebt die Frage nach dem Wettkampf-Wiedereinstieg von Woods, fernab von „Hit and Giggle“-Events wie dem Eltern-Kind-Spaß in Orlando.
#TigerTuesdays
Flexing on Butch on the range at Kapalua, 2000. pic.twitter.com/1MkMlvS2bm— Skratch (@Skratch) January 5, 2022
„Wenn einer das schafft, dann er“, hat Best-Buddy Justin Thomas schon vor Wochen gesagt, als Woods bei der Hero World Challenge trotz vielversprechender Trainingsvideos davon sprach, meilenweit von Turniergolf entfernt zu sein und sowieso keine komplette Saison mehr spielen zu können. Wie sagte Thomas damals zur Tiger’schen Eigen-Anamnese: „Wer’s glaubt …“
Gute und belastbare Konstitution
Doch der reguläre Tour-Betrieb ist was anderes als ein Spaßturnier im Scramble-Format. 72 Loch zu laufen – die Nutzung eines Carts per „Medical Exemption“ hat Woods bekanntlich ausgeschlossen –, aus allen Lagen und auch mal aus misslichem Stand zu schlagen, zumal womöglich mit einem weiterhin nicht zu 100 Prozent „fitten“ rechten Bein, ist freilich eine andere Hausnummer. Ganz zu schweigen vom Trainingsaufwand, den der Nach-wie-vor-Rehabilitant dafür zu leisten imstande sein muss. Zu prospektivem Golf gehört halt mehr als bloß gutes Spiel über vier Tage, es bedarf einer grundsätzlich guten und belastbaren Konstitution.
Unmatched beauty. ?
Scenes from high above Kapalua. ? pic.twitter.com/Yjlu2ZcFqf
— PGA TOUR (@PGATOUR) January 5, 2022
Woods hat sich im Lauf seiner beispiellosen Karriere zahllose Superlative erspielt und erarbeitet. Dank des „Tiger Slam“ in den Jahren 2000 und 2001 – den seriellen Siegen bei der US Open, der British Open und der PGA Championship 2000 sowie beim Masters 2001 – ist er dem Grand Slam näher gekommen als jeder andere im modernen Golf. Mit dem Tour-Championship- und vor allem mit dem Masters-Erfolg 2018 bzw. 2019 feierte er schon einmal eine Rückkehr, die damals kaum jemand für möglich gehalten hätte. Ein weiterer Erfolg fehlt seither, um Sam Snead als Top-Tour-Gewinner (82 Titel) zu überflügeln. Wer, wenn nicht er.
Daly glaubt, dass Woods den Majorrekord knackt
John Daly glaubt immerhin felsenfest daran, dass Woods auch Jack Nicklaus’ eigentlich einsamen Majorrekord knacken werde. Dafür allerdings müsste der neuerdings 46-Jährige alsbald loslegen. Zur Erinnerung: Der goldene Bär gewann sein sechstes Masters und 18. Major im Alter von 46 Jahren. Und Phil Mickelson hat angesichts von Woods’ wundersamer Wiederauferstehung zum Ende des abgelaufenen Jahres ja bereits geflachst, dass der Tiger ihm offenbar nicht mal die Bestmarke des ältesten Majorchampions aller Zeiten gönne.
Verblüffender Vergleich mit Ben Hogan
Apropos: „Das größte Comeback aller Zeiten“ ist zwar keine offizielle Bestmarke, indes schickt sich Woods an, selbst hier zum Maß aller Dinge zu werden. Bislang gebührte der diesbezügliche Ruhm allein Ben Hogan, der nach einem beinahe tödlichen Autounfall im Februar 1949 ebenfalls zurückkam – was für frappierende Parallelen, wenngleich der Texaner zum Zeitpunkt des Crashs erst 36 Jahre alt war – und hernach sechs seiner insgesamt neun Majors gewann. Übrigens: Wegen seiner „kaputten“ Beine und der Anstrengung langen Laufens ebenfalls mit einem reduzierten Programm. „The Hawk“ spielte im November 1949 erstmals wieder aktiv Golf, bestritt beim Tour-Comeback 1950 neun Turniere, im Jahr seiner „Triple Crown“ mit Masters-, US- und British Open-Triumph 1953 nur deren acht, in den beiden Folgejahren lediglich jeweils vier.
„Ich kenne das Rezept für Comebacks“
Nach seiner Rücken-Rekonvaleszenz hatte Woods noch alle Vergleiche mit dem „Hawk“ abgewiegelt, bei der „Hero“ hingegen sagte er: „Für die paar Turnier im Jahr hat Mr. Hogan einen ziemlich guten Job gemacht; es gibt keinen Grund, warum ich das nicht auch tun kann.“ Er kenne das Rezept für Comebacks, so der Tiger weiter, habe das immerhin längst bewiesen: „Ich muss nur an einen Punkt kommen, an dem ich mich dafür wohl genug fühle.“
Jedenfalls wäre es ihm ein Einfaches, den passenden Saisonkalender zusammenzustellen: Die Majors, dazu ein paar Veranstaltungen, bei denen er sich wohl fühlt und die er schon zigfach gewonnen hat – die Farmers Insurance Open, sein eigenes Genesis Invitational, das Arnold Palmer Invitational, das Memorial von Jack Nicklaus. Viel mehr hat Woods eh in jüngster Vergangenheit auch nicht gespielt. Sowieso wären es acht Turniere mehr, als man ihm noch vor nicht allzulanger Zeit überhaupt zugetraut hätte.
Im Gegensatz zu Godot?
Die nächsten Monate werden weitere Antworten bringen. In Samuel Becketts ikonischem Meisterwerk des absurden Theaters warten die Protagonisten endlos und letztlich vergeblich auf einen gewissen ominösen Godot. Die Golfwelt hingegen hofft auf Erlösung und ein Happy End beim – Warten auf Woods.