Worauf soll man fokussieren zur Einstimmung auf den Finalsonntag dieser 121. US Open? Auf das Spitzentrio bei Fünf unter Par, von dem zwei noch nie in den Top-Ten eines Majors gelandet sind, Russell Henley und Mackenzie Hughes nämlich? Oder auf Louis Oosthuizen, der eigentlich im Green Jacket des Masters-Champions Wein aus seiner 2010 auf dem Old Course gewonnenen Claret Jug schlürfen würde – wenn da 2012 in Augusta nicht jener unfassbar krumme Wedge-Schlag von Bubba Watson gewesen wäre?
Vielleicht auf die Parallelen zu 2008, weil Mackenzie Hughes, der es übrigens als erster Kanadier in den finalen Flight einer US Open geschafft hat, gestern aus 19 Metern das Samstags-Eagle des späteren Siegers Tiger Woods vor 13 Jahren auf der 13 wiederholte?
Oder auf den Umstand, dass sich Oosthuizen gestern nach einer mühsamen Runde mit einem doppelten Schlaggewinn auf dem Schlussloch doch noch in die Führungsgruppe schoss – auch das analog zu Woods‘ dritter Runde 2008?
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So viele Fragezeichen, denen ausgerechnet Oosthuizen die entsprechend vage Antwort verpasst: „Torrey Pines ist ein Golfplatz, mit dem man umgehen muss und auf dem alles passieren kann!“ Keine weiteren Fragen …
Aber dafür noch eine Geschichte. Eine von Sportsgeist, Fairness und Integrität, eine über Russell Henley. Bei der Mayakoba Classic im November 2019 stellte der heute 32-Jährige beim Autogramme-Geben nach seiner zweiten Runde (69) fest, dass er statt seines herkömmlichen Titleist-Pro V1x-Balls auf den vier Schlusslöchern versehentlich einen irgendwie im Bag verbliebenen ProV1x-Prototypen gespielt und damit gegen die „Ein-Ball-Regel“ der Tour verstoßen hatte.
Obwohl niemand was gemerkt hatte und hätte, erstattete Henley Selbstanzeige und schrieb sich für jedes Loch mit dem Prototypen zwei Strafschläge auf, die sich zu einer 77 addierten. „Für mich ist es eine Selbstverständlichkeit, so was anzuzeigen und für meinen Fehler einzustehen“, sagte der in Georgia geborene Pro zu seiner Haltung. Und: „Der ernsthafte Umgang mit den Regeln ist die Grundlage eines seriösen Wettbewerbs. Wenn du dir für einen Regelverstoß keine Strafe anrechnest, musst du mit diesem Makel leben – und es wäre eine erbärmliche Art zu leben.“ Allein dafür ist Russell Henley heute der US-Open-Triumph zu gönnen.
DeChambeau nimmt Fans unter Beschuss
Baller-Spiel: Bryson DeChambeau zieht seine „Bomb-and-Gouge“-Strategie gnadenlos durch. Auch am Moving Day feuerte der Titelverteidiger seine Drives mit brachialer Gewalt in die Gegend, traf nur fünf von 14 Fairways und vergaß grundsätzlich das warnende „Fore“. Besonders für seinen Schuss in einer Zuschauergruppe am Rand von Loch vier erntete „BDC“ mächtig Kritik und auch Absichts-Vorwürfe sowie einen Anpfiff von „Sky-Sports“-Experte und Ex-Ryder-Cup-Teamchef Paul McGinley im TV-Studio. Hier eine Auswahl der Netz-Reaktionen:
@usopengolf @PGATOUR …in order to save lives on the golf course you must introduce a 2 shot penalty to any player / caddie who doesn’t shout ‘fore’ when their ball is travelling towards a crowd ..one again @b_dechambeau hits a bomb towards a crowd but ‘no shout’ ..unacceptable
— Jengolf8 ?⛳️ (@Jennife82206772) June 19, 2021
@b_dechambeau shout FORE, you douchebag.
— Matthew Hall (@MatthewHall2) June 19, 2021
Bryson DeChambeau out here intentionally hitting into the gallery on the 4th hole and not caring to yell "fore" like everyone else would pic.twitter.com/SdkqxTfxzj
— Baja Blast Downey (@WhatGoingDowney) June 19, 2021
@b_dechambeau had no intentions of hitting that fairway. Intended to blast it right, which he did… into the gallery. Watched it, picked up his tee before the ball landed. Never thought about yelling fore. Yeah, I don’t know why anyone doesn’t like him either.
— Joe (@TheDoob4) June 19, 2021
Es ist generell eine Unsitte auf der Tour, dass allenfalls angezeigt wird, wohin der Ball fliegt, aber kaum einer noch „Fore“ ruft. Doch DeChambeau, der abwegige Schüsse bewusst in Kauf nimmt oder gar forciert und rücksichtslos Richtung Rough (und Fans) zielt– Hauptsache nah genug am Grün für ein Wedge –, treibt die Problematik noch mal in eine andere Dimension. Ansonsten zeigt die Ergebniskurve des Texaners eindeutig Richtung Erfolg: 73, 69, 68 – wenn sich die Tendenz heute fortsetzt, ist die Titelverteidigung in greifbarer Nähe. Was DeChambeau selbst sonst so zu sagen hat, sieht und hört man hier:
Verfolger-Rudel braucht neuen Niedrig-Score
Womit wir bei der 67 sind: Vier unter Par war auch gestern wieder das Mindestmaß der Golf-Dinge auf dem Südkurs von Torrey Pines mit seinem fetten, ballfressenden Kikuyu-Gras – Rory McIlroy und Paul Casey schafften diese Marke, nachdem Russell Henley und Louis Oosthuizen zum Auftakt sowie Mackenzie Hughes und Collin Morikawa am Freitag vorgelegt hatten. Die Cracks im erweiterten Verfolgerfeld – Scottie Scheffler, Jon Rahm, Matt Wolff (alle -2), Dustin Johnson, Morikawa, Christiaan Bezuidenhout, Xander Schauffele und Kevin Streelman (alle -1) – werden nicht umhin können, einen neuen Niedrig-Score zu erzielen, um der Vorstellung des Führungsquintetts nicht völlig chancenlos zuschauen zu müssen. Bleibt zu hoffen, dass die USGA bei den Fahnenpositionen des finalen Set-up mutiges Spiel ermuntert …
McIlroy: Erst am Abgrund, dann Geflügel-Sandwich
Kulinarische Routine: Nachdem er an den ersten beiden Tagen zwischendurch immer mal versucht hat, sich vorzeitig aus dem Major-Rennen zu schießen, beförderte sich Rory McIlroy gestern mit jener bedeutsamen 67 („Mein bestes Golf der Woche“) in den erweiterten Kreis der Sieganwärter – zehn Jahre nach seinem ersten Major-Triumph bei der US Open im Congressional Club. Mit zwei Schlägen Rückstand ist der 32-Jährige nach 54 Loch eines Majors so nah an der Spitzen wie seit dem Masters 2018 nicht mehr. Aber auch am Moving Day war der Nordire vom Desaster nicht weit entfernt, als er seinen Abschlag auf der 15 linkerhand in einen der gefürchteten Canyons von Torrey Pines knallte.
Doch statt in die Tiefe zu klettern, vermied „Rors“ den Abgrund in doppelter Weise, nahm einen Drop und machte noch ein Bogey draus. Bei so viel Aufregung mochte er dann fürs Abendessen keine Experimente mehr und wählte wenigstens diesbezüglich den sicheren Weg, wie Dylan Dethier vom „Golf Magazine“ herausgefunden hat: McIlroy bestellte sich beim Room Service des Hotels Torrey Pines Lodge, wo er mit Ehefrau Erica und Töchterchen Poppy logiert, wieder ein Hähnchen-Sandwich zum Dinner – wie schon fünf Mal zuvor. Weil: „Die sind wirklich gut!“ So, wie sein Spiel gestern.
The glorious life of a pro golfer — what are Rory McIlroy's plans for the rest of the day?
"I've had the same chicken sandwich five nights in a row from room service, so I'll probably make it six nights in a row."
Richard Bland und sein „Tag für Haue“
Fatalismus: Er war der älteste 36-Loch-Spitzenreiter der US-Open-Historie, spielte auf den Klippen von Torrey Pines zwei blendende Runden. Doch gestern ließ das Momentum Richard Bland im Stich – der 48-jährige Engländer überstand die Front Nine zwar mit einem Bogey auf der Fünf relativ schadlos, doch dann kam es knüppeldick: Schlagverluste auf den Löchern 11 und 12 und dann auf der Schlussstrecke drei Bogeys in Serie ergaben eine 77er-Runde und warfen ihn auf den geteilte 21. Platz zurück. „So ist das bei einer US Open“, trug Bland es hernach mit Fassung: „An manchen Tagen kriegst du richtig Haue, und heute war mein Tag.“
Sergio Garcia: Wenn der Flaggenstock dein Feind ist …
Ganz bitter: Wenn du für einen grandiosen Schlag regelrecht bestraft wirst… So gestern dem neuerdings bärtigen Sergio Garcia widerfahren – die Bilder vom 13. Grün muss man nicht mehr kommentieren:
USGA-Boss Davis als Caddie im Bhatia-Flight
Besondere Konstellation: Über Akshay Bhatia haben wir gestern schon geschrieben, der als Jüngster im Feld seine Wochenendteilnahme mit einem Birdie auf der 18 sichergestellt hatte. Gestern dann war der Kalifornier nicht nur wegen seines letzten Platzes als Erster dran, sondern wegen der ungeraden Zahl von Cut-„Überlebenden“ auch allein unterwegs. Also sprang Jason Gore als Marker ein, das passte gut zum aktuellen Job des einstigen Pros, der als „Player Relations Director“ ein Bindeglied zwischen Tour und Spielern ist. Damit nicht genug, war überdies ein prominenter Caddie im Flight. USGA-Boss Mike Davis ließ es sich bei seiner letzten US Open als Verbands-CEO nicht nehmen, Gore die Tasche zu tragen:
Cool to see @JasonGore59 get out on Saturday at Torrey with his boss Mike Davis on the bag. Story here: https://t.co/cnzVltgifb
— Adam Schupak (@AdamSchupak) June 19, 2021
„Er hat das großartig gemacht“, attestierte Gore nach der Runde: „Man bekommt so eine Gelegenheit nicht jeden Tag und wir hatten eine Menge Spaß. Ansonsten habe wir vor allem versucht, Akshay Bhatia nicht im Weg zu sein.“ Der spielte in so prominenter Begleitung prompt seine dritte 73 (+2/+6 fürs Turnier) und muss deswegen heute als geteilter 54. nicht mehr die rote Laterne des Felds tragen.
Ein ganz besondere Duft liegt in der Luft
Benebelt: Als Ian Poulter dieser Tage an der 16 zum Abschlag schritt, da umwehte den Engländer mit einem Mal ein unverwechselbar süßlicher Duft aus der Kulisse, der ihn mit anerkennendem „Wow“ zurücktreten ließ. Irgendjemand hatten ganz offensichtlich eine mehr als ordentliche Hasch-„Tüte“ zum Glimmen gebracht, und die Umgebung durfte großzügig teilhaben; in Kalifornien ist der Genuss von Cannabis für den Freizeitgebrauch legal – da darf man sich dann nicht wundern.
Apropos wundern: Poulter hatte schon am Mittwoch eine besondere „Begegnung“ als er auf der Vier mit seinem Handy einen Rundumblick startete, um die landschaftliche Schönheit von Torrey Pines per Film festzuhalten. Dabei geriet auch einer der Strände unterhalb der Klippen in den Fokus, genauer gesagt: Black‘s Beach, ein FKK-Strand, der von den Bahnen 3, 4, 12 und 13 in Teilen einsehbar ist.
??? pic.twitter.com/nFiEEFPdHe
— Oma Golf (@oma_golf) June 17, 2021
Bubba und Co.: Tänzchen auf dem Hotelflur
Zum Schluss: Darf ich bitten, werter Kollege! Bubba Watson und Co. bieten die passende Gute-Laune-Einstimmung für den Finalsonntag, wenngleich der zweifache Masters-Champion in Sachen Dresscode nicht ganz parkettsicher auftaucht. Dennoch: Die Leichtigkeit ist ansteckend – also: Mögen die Spiele beginnen!