Tief und tropfend hängen die Wolken über der Halbinsel Kintyre, seit Loch elf ist das feine Nieseln zu einem steten Landregen geworden. Das allein wäre nicht allzu schlimm, wenn der böige Wind die Tropfen nicht waagerecht übers Land treiben würde. Der Wetterbericht sprach von moderaten Luftmassenbewegungen. Hier in Schottland gilt halt wie in Norddeutschland: Sturm ist erst, wenn die Schafe keine Locken mehr haben. Ein Schirm verbietet sich jedenfalls, es hätte ansonsten was von Mary Poppins. Dafür wiegt die durchnässte Pudelmütze mittlerweile gefühlt fünf Kilo. Und dass Regenhandschuhe erst in feuchtem Zustand den vollen Grip garantieren, ist bei windintensivierten sechs Grad Außentemperatur nur bedingt begrüßenswert.
Der Genius loci: Purer geht’s nicht
Kurz, die Situation ist surreal an diesem Sonntag Ende Oktober auf den Links von Machrihanish Dunes. Das Wetter ist wirklich lausig, der Spaß am Spiel dennoch ungetrübt. Das liegt ein bisschen am Enthusiasmus des Erzählers für „Golf as it was meant to be“ und ganz besonders am Genius loci. Purer geht’s nicht.
Alle Jahreszeiten binnen einer Stunde
Irgendwie, irgendwo ziehen sich 18 Golfbahnen – jede ebenso eigenwillig wie einzigartig – durch dieses wogende Meer aus welligem Sand, dem das Festuca-Gras Schaumkronen aufsetzt: Hier ein sattgrüner Fleck, dort ein monochromer Streifen in der gelbgrünbraunen Melange. Und dahinter Nordatlantik. Im Süden noch Irland, keine 50 Kilometer entfernt, aber heute verborgen im Dunst; im Norden die Isle of Islay, Königin der Hebriden, aber ebenfalls unsichtbar; Richtung Westen nur endloser Ozan, next stop Neufundland.
Die Einheimischen sagen über ihre Witterung, man könne binnen Stunden alle vier Jahreszeiten erleben. Das ist natürlich übertrieben: sämtliche Aggregatzustände des schottischen Wetters, so kommt es hin. Fürs Kaleidoskop der Jahreszeiten braucht’s doch schon fast einen Tag. Ironie wieder aus. Ist eh egal, wenn sich die Sonne dann mal einen Weg durchs Wolkendickicht bahnt und derartige Impressionen ermöglicht:
Wenn dir das Wetter nicht gefällt, bestell einen Whisky und warte …
Über das Golfglück bei miserablen äußeren Bedingungen lässt sich gewiss trefflich streiten. Am besten bei einem Wee Dram danach. Die Schotten halten es sowieso mit der Devise: Wenn dir das Wetter nicht gefällt, bestell einen Whisky und warte fünf Minuten. Freilich, gerade steht der Sinn weniger nach Uisge Beatha, obwohl das gälisch immerhin „Wasser des Lebens“ bedeutet, sondern eher nach einer Schale der reichhaltigen Gemüsesuppe, die Lorna Barr als guter Geist von Machrihanish Dunes im Clubhaus für durchfrorene und durchnässte Golfer bereithält.
Vergiss fancy Hafermilch-Latte oder Räucherlachs zum Frühstück
Wobei Clubhaus echt übertrieben ist, jedenfalls nach landläufiger Einschätzung. „Das Golf House ist bescheiden und erfrischend unprätentiös. Vergiss fancy Hafermilch-Latte oder Räucherlachs zum Frühstück. Schenk dir stattdessen einen guten Kaffee ein, der in der allzeit gefüllten Kanne auf der Wärmeplatte vor sich hin schwärzt, und dann ab auf die Runde“, hat Sam Lowes Raby im lesenswerten Storytelling-Magazin „The Links Diary“ geschrieben, das sich den „Geschichten über die Charaktere und Fairways in Schottland“ verschrieben hat.
„Folge der Natur so weit wie möglich“
Dem Autor kommt beim Marsch in Richtung des hutzeligen Natursteingebäudes Albert W. Tillinghast in den Sinn, einer aus dem Pantheon der Platzdesigner. „Tilly“ hat während des Golden Age of Golf Course Architecture in den 1920er- und 1930er-Jahren Preziosen wie Baltusrol, Winged Foot, San Francisco oder Bethpage Black geschaffen und mal provokant formuliert, dass man von der Größe des Clubhauses durchaus auf die Qualität des Platzes schließen könne: Je bombastischer das Vereinsheim, desto bescheidener der Parcours. Der nicht minder genialer Zeitgenosse und Kollege Donald Ross wiederum hat seiner Zunft ins Stammbuch geschrieben: „Folge der Natur so weit wie möglich.“
Beim Bau nur 2,8 der 105 Hektar Fläche „angefasst"
Diesbezüglich haben sie in Machrihanish Dunes alles richtig gemacht. Das Clubhaus ist tatsächlich kaum mehr als ein 19. Loch, selbstredend mit stattlichem Whisky-Angebot, und die 18 Bahnen „davor“ hat Designer David McLay Kidd in meisterlicher Manier angelegt und damit einen Jugendtraum aus einstigen Ferientagen auf Kintyre verwirklicht. Der gebürtige Schotte, dessen Vater Headgreenkeeper in Glasgow war, vollbrachte das Kunststück, bei der Gestaltung des Geländes lediglich 2,8 der insgesamt knapp 105 Hektar Fläche „anzufassen“ – für Teeboxen und Grüns. Bei allem anderen schöpfte McLay Kidd aus den natürlichen Vorgaben und ließ selbst die Bunker dort, wo der Wind den Sand ohnehin schon freigelegt hatte.
Intakte Ökologie des sensiblen Dünensystems
Das musste er auch. Machrihanish Dunes liegt in einer Site of Special Scientific Interest (SSSI), gleichbedeutend mit der höchsten schottischen Naturschutzstufe. Die entsprechenden Umweltauflagen beim Bau und für Superintendent James Parker gewährleisten ein intaktes Ökosystem für den sensiblen Dünenverbund. Ganz anderes als beispielsweise in Aberdeenshire an der Ostküste, wo Donald Trump rücksichtslos auf allen Umweltaspekten herumtrampelt, während die Obrigkeit wegguckt.
Orchideen im Rough, Wellen und Falten im Fairway
Im Rough von Machrihanish Dunes hingegen wachsen seltene Orchideen und Flora wie Fauna dürfen ohne menschlichen Einfluss existieren. Ein gelegentlich ins dichte Kraut geschlagener Ball schadet nicht, suchen ist bei der Höhe der Halme eh zwecklos.
Sogar auf eine Nachbehandlung der in weiten Teilen erstaunlich wenig ondulierten Bahn zwei hat McLay Kidd verzichtet, obwohl dort vor Jahrzehnten die Royal Air Force mit Planierraupen unterwegs gewesen sein muss, um die Ausläufer des Militärareals einzuebnen, das seit der Schließung des Fliegerstützpunkts für den Aufbau eines kleinen Gewerbegebiets und als Regionalflughafen genutzt wird. Wellen und Falten im Fairway und in den Grüns gibt es ansonsten genug. Der Schotte spielte bei der Konzeption ausschließlich mit dem Gelände und zeigt, was Golf einst in Reinform war – ein Geländespiel.
Zwei Par-3-Löcher hintereinander
McLay Kidd scheute gleichermaßen nicht davor zurück, zwei Par-3-Löcher hintereinander zu setzen – einfach, weil die Landschaft das Layout vorgab. Die Fünf und die Sechs sind mittlerweile echte Signature Holes und der beste Beweis, dass optische Täuschungen wie eine False Front oder geschickte kaschierte Bunker viel spannendere und gefälligere Schwierigkeitsgrade ergeben als schiere Distanz.
Wenn selbst die Schafe Schutz suchen
Mittlerweile ist das Wetter allerdings derart usselig geworden, dass selbst die hauseigenen Orkney-Schafe sich in den Schutz der Dünen verkrümelt haben, die normalerweise rund ums Clubhaus grasen und Mach Dunes mit ihren schwarzen Köpfen und dem grauen Fell zum Logo verholfen haben. Ein schwarzes Schaf muss also nicht zwingend negativ konnotiert sein. Im Fall von Mach Dunes steht es vielmehr für einen der naturbelassensten, ursprünglichsten Plätze der Welt und fungiert mithin als Symbol der Vorbildlichkeit.
Grünes Licht von Behörden und Bevölkerung für einen zweiten Platz
Das sehen auch Behörden und Bevölkerung so, die unlängst grünes Licht für die Erweiterung um einen zweiten Platz gegeben haben, der zwar weitgehend auf landwirtschaftlich genutzten Flächen entsteht, aber zu mindestens einem Drittel ebenfalls den SSSI-Bereich am Meer einbezieht. Machrihanish Dunes ist halt großes Golf mit gutem Gewissen.