Vorhang auf für den großartigsten Platz, den die Welt nie gesehen hat. Jahrzehntelang lag der Los Angeles Country Club (LACC) im Dornröschenschlaf des Dünkels, einst inmitten von Ölfeldern und Ödnis, heute eingepfercht vom Gigantismus in der zweitbevölkerungsreichsten Stadt der USA. Die ehedem baumlose landwirtschaftliche Fläche ist Amerikas teuerstes Grundstück: Eine grüne Enklave der Ruhe zwischen dem Trubel auf dem Wilshire sowie dem Sunset Boulevard am Rand des mondänen Stadtteils Beverly Hills und nur ein paar Drive-Längen von der Traumfabrik Hollywood entfernt.
Enklave inmitten des Molochs Los Angeles
Es ist ungefähr so, als befände sich ein 18-Loch-Geläuf grandioser Güte mitten im New Yorker Central Park. Nur hügeliger, mit Bächen, hohen Gräsern, Eichen, Platanen, Kiefern, Mammutbäumen und Eukalyptus. Eine absurde Vorstellung angesichts des Molochs LA. Und im „Big Apple“ wäre die Anlage wahrscheinlich zugänglicher. Der 1897 gegründete Los Angeles Country Club hingegen erinnert in vielen Aspekten seiner Vergangenheit an die Historie von Augusta National: elitistisch, rassistisch, bigott, misogyn. Afroamerikaner dürfen sich erst seit 1991 um eine Mitgliedschaft bewerben, Juden werden immerhin seit den 1970er-Jahren geduldet.
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Playboy-Hefner, Bing Crosby und Groucho Marx
Überliefert ist die schräge Story des texanischen Ölmagnaten Frank Rosenberg, dem all sein Geld nicht die LACC-Türen zu öffnen vermochte. Weil sein Nachname zu jüdisch klang, obwohl er gar kein Jude war. Bekanntheit und Star-Appeal schaden ebenfalls mehr als sie nutzen. Beispielsweise ist Hugh Hefners Herrenhaus vom 13. Grün zu sehen. Beim Begründer des Männermagazins Playboy gingen zwar die Bikini-„Bunnies“ ein und aus; er selbst freilich war wohl genau deswegen im LACC lange Zeit Persona non grata. Bis er dem Club eine Voliere für exotische Vögel stiftete und darob endlich auf Birdie-Jagd gehen durfte. Der Entertainer und Golf-Nut Bing Crosby wiederum besaß ein Haus am 14. Fairway – und musste zeitlebens von der Terrasse aus den vorbei fliegenden Bällen zusehen. Oder der Komiker Groucho Marx: Dessen vergebliches Aufnahmebegehren begründete wohl den geflügelten Spruch „Warum sollte ich einem Club angehören wollen, bei dem einer wie ich Mitglied wäre?“
US-Open-Antrag fünfmal abgeblockt
Während Augusta National wenigstens seit 1934 zum Masters einlädt, grenzte sich der LACC seit der fünften und letzten dort ausgetragenen Los Angeles Open 1940 in Sachen Profigolf aus. Fünfmal wurde der Golfverband USGA mit dem Ansinnen abgewiesen, seine „Offene Amerikanische“ auf dem Juwel in Beverly Hills auszutragen. Letztmals ging es um die US Open 1986, die Club-Granden entschieden mit fünf zu vier Stimmen dagegen. „Es ist so schade“, hatte der damalige USGA-Präsident Sandy Tatum die neuerliche Niederlage kommentiert: „Einmal nur hätte ich mir die Erfahrung gewünscht, eine US Open auf diesem wunderbaren Test für Golf zu veranstalten.“
George C. Thomas, Genie der Golfarchitektur in LA
Panta rhei, alles fließt. Mittlerweile weht im Los Angeles Country Club ein anderer Wind, und damit ist es doch endlich so weit: Die Golfwelt darf sich auf einen phänomenalen Parcours freuen. Und auf den Spirit seines Schöpfers George C. Thomas. „The Captain“, wie Thomas wegen seiner Offizierslaufbahn im Air Corps der US-Army während des Ersten Weltkriegs genannt wurde, war das Genie der Golfarchitektur in Los Angeles. Der Autodidakt schuf zwischen 1919 und 1927 Preziosen wie Riviera, Bel-Air und eben den North Course seines Heimatclubs. Pro bono übrigens, er hat nie ein Honorar verlangt.
Schönheit des North Course liegt in der Unordnung
Thomas’ besondere Begabung bestand darin, strategisch komplexe Löcher an ganz unterschiedlichen Standorten zu entwerfen. Er war ein Meister in der Integration natürlicher Gelände- und Höhenunterschiede und in der Anlage aufwändiger Bunker-Arrangements und anderer Design-Elemente, wenn die natürlichen Voraussetzungen nicht gegeben waren. Als der LACC ihn 1927 beauftragte, den North Course umzugestalten, beseitigte Thomas fast alles, was sein Vorgänger W. Herbert Fowler entworfen hatte. Die Schönheit des Par-70-Ensembles liegt in der Unordnung, sein Reiz ist das rustikale, zerklüftete Design.
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Barranca war das Herzstück der Restaurierung
2010 haben Gil Hanse und Geoff Shackelford die Handschrift des „Captain“ mit ihrer Restaurierung wiederbelebt, nachdem jahrzehntelang gemäß dem manikürten Ideal in Augusta zu viel Gras über den North Course gewachsen war. Vor allem legten sie die Barranca frei, ein trockenes, sandiges Bachbett, das im Lauf der Jahrzehnte zu einer leb- und trostlosen Grünfläche geworden war. Heute ist sie wieder das zerklüftete Rückgrat mit indigener Flora und Fauna, das sich durch den ganzen Platz zieht. „Die Barranca war das Herzstück der Restaurierung, nicht zuletzt wegen ihrer strategischen Bedeutung“, sagt Thomas-Experte Shackelford.
Der denkende Spieler ist gefordert
Außerdem ließ das Duo Hunderte von Bäumen entfernen, die zur Wasserersparnis anstelle von Rasen gepflanzt worden waren und den North Course zu einem Parklandplatz gemacht hatten, um den Platz zu öffnen und das strategische Design wieder ins Spiel zu bringen; um den denkenden Spieler zu fordern, nicht den Kraftmeier. Und sie stellten Thomas’ typische Sandhindernisse mit den zerzausten Rändern wieder her.
Breite Fairways sind unüblich für eine US Open
LA North ist nach US-Open-Maßstäben ein eher unüblicher Platz. Während sonst die Fairways wegen der modernen Drive-Distanzen nadelöhrschmal ausgemäht werden, gibt es diesmal viel Raum für den richtigen Approach. Einfacher wird’s dadurch freilich nicht. „Die Wellen und die Neigungen sind eine ideale Verteidigung“, erklärt Hanse. „Denn die Bälle können unkontrolliert springen und rollen. Das verändert die Anspielwinkel und die Annäherungen.“ Ungewöhnlich für einen US-Open-Platz sind überdies die drei Par-5-Bahnen und die fünf Par-3-Löcher. Wenigstens das Rough ist so sumpfig wie eh und je beim Major der USGA:
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Terra incognita für weite Teile des Felds
Und noch eine Besonderheit, die sich schon in der Einleitung angedeutet hat: Für die meisten der 156 Starter ist die 6.749 Meter lange Bühne dieser 123. US Open Terra incognita, unbekanntes Land. Das macht Max Homa zu einem logischen Favoriten, der seit seiner Zeit an der University of California, Berkeley mit dem North Course vertraut ist und sogar den Platzrekord von 61 Schlägen hält. Ansonsten kannten den North Course vor der Anreise diese Woche bloß Patrick Cantlay als ehemaliger Student der University of California, Los Angeles sowie Scottie Scheffler und Collin Morikawa, die 2017 beim Walker Cup im LACC mit von der Partie waren. „Es ist aufregend, irgendwohin zu gehen, wo man nicht weiß, was einen erwartet“, fasst Geoff Shackelford die Ausgangslage für weite Teile des Felds zusammen.
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„Coolste Loch, das ich je gespielt habe“
Der North Course ist gespickt mit aufregenden und erwähnenswerte Bahnen, aber im Fokus der Furcht liegen eindeutig die Par-3-Löcher. Sogar der „Winzling“ 15, der am Samstag wahrscheinlich gerade mal 71 Meter misst, kommt als Kraftpaket daher. Will Zalatoris, der diesmal fehlt, war vor sechs Jahren beim Walker Cup ebenfalls dabei und sprach vom „coolsten Loch, das ich je gespielt habe“. Das sichelförmige Grün ist gerahmt von Bunkern, doch Hingucker ist der Hügel mitten in der Puttfläche, der an Thomas’ Topfbunker im sechsten Grün von Riviera erinnert.
Der Platz wird auf jeden Fall gewinnen
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Das Gegenstück ist die Elf mit einer Distanz von sage und schreibe 265 Metern – Thomas hatte es ursprünglich als Par 4 geplant. Die beiden riesigen Bunker sind täuschend weit vom Grün entfernt, dahinter erhebt sich die Skyline der „Stadt der Engel“ – was für ein Foto- und Kamera-Motiv. Und dann ist da doch noch ein Par 4, das sich herauszustellen lohnt. Weil es irgendwie zum Wesen dieser ersten US Open im Los Angeles Country Club passt: Die Sechs ist lediglich 325 Meter lang und damit drivebar, ihr Grün ist indes vom Abschlag nicht einsehbar. Man kann natürlich versuchen, an die Fahne zu hauen. Doch keiner weiß, wie das ausgeht. Vermutlich wird der Platz gewinnen. Denn LA North wird auch im Rampenlicht nicht alle seine Geheimnisse offenbaren.
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