Morgen wird Poppy, die Mohnblume, zwei Jahre alt. Dann kommt Nachbar Shane Lowry mit seinen Kindern bei den McIlroys in Jupiter/Florida vorbei, um mit Rory und Erica den Geburtstag ihrer Tochter zu feiern. Und um mit seinem Kumpel auf den Gewinn der Tour Championship und des FedEx Cup anzustoßen. „Ich denke, wir finden in meinem Keller ein paar Flaschen ordentlichen Rotweins, die wir köpfen werden“, sagt der Hausherr. Das hat er sich verdient nach einem Golfjahr, das mit dem Terminus turbulent allenfalls ungenügend beschrieben ist.
„St. Andrews war wirklich schwierig für mich“
Rory McIlroy hat in der abgelaufenen Spielzeit sportlich eigentlich mehr verloren, als er mit den beiden vergleichsweise mageren Siegen beim CJ Cup und in Kanada gewonnen hat. Vor allem die Niederlage gegen Cameron Smith schmerzte – ausgerechnet bei der 150. Open Championship, ausgerechnet in St. Andrews, ausgerechnet gegen den potenziellen LIV-Überläufer, als Publikumsliebling und Favorit der Herzen. Dieses eine, dieses besondere Major hätte der 33-Jährige allzu gern gewonnen. Sein fünftes. „St. Andrews war wirklich schwierig für mich. Ich bin auch noch nicht darüber hinweg gekommen“, bekennt er: „Die Saison nun derart zu beenden, lindert den Schlag ein wenig.“
Historische Eckdaten in der Saisonbilanz
Zumal McIlroy in der Finalrunde dem freilich auch etwas schwächelnden Scottie Scheffler dank einer brillanten Vorstellung nach dem Auftakt-Bogey etliche Schläge abgenommen hat, um letztlich mit einem Schlag Vorsprung zu triumphieren. „Es war eine Ehre und ein Privileg, mich mit Scottie messen zu können. Ich bin gegen den besten Spieler der Welt angetreten und habe ihn besiegt, das muss etwas bedeuten.“
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Vor allem zeigte es einmal mehr, wozu „Rors“ auf dem Platz imstande ist. Er schlug im East Lake Golf Club mit Abstand die weitesten Drives, sein Putter war insbesondere am Sonntag „tödlich“. So wurde das Finalturnier der PGA Tour zum Sahnehäubchen für eine Bilanz, die trotz der „nur“ drei Titel historische Eckdaten hat. 28,3 Millionen Dollar hat noch nie jemand zwischen September und August gewonnen, damit übertrumpfte er den bisherigen, 2019 selbst aufgestellten Preisgeld-Rekord von 24,3 Millionen. Er war zehn Mal in den Top-10, bei allen Majors in den Top-Acht. Sein Runden-Durchschnitt betrug heuer 68,67 Schläge, niemand sonst unterspielte die 69; eh blieben bislang lediglich Tiger Woods in seinen Hoch-Zeiten (acht Mal zwischen 1999 und 2009) und Vijay Singh 2003 unter der Marge von 68,7. McIlroy geht als Weltranglisten-Dritter in die Off-Season und ist der einzige Ü30-Vertreter im ersten OWGR-Dutzend.
Das Wortspiel vom „Crowned Prince“
Soweit die sportliche Aspekte einer Saison, die im Showdown von Atlanta einen drehbuchartigen Höhepunkt fand. „The Crowned Prince“ haben die wortgewandten Macher des Portals „The Fried Egg“ ihren gestrigen Newsletter überschrieben, das ist eine feine Anspielung auf McIlroys Rolle als getreuer Paladin der PGA Tour auch abseits der Fairways. Und natürlich gleichermaßen sinnbildlich auf einen seiner dortigen Gegenspieler, Saudi-Arabiens Kronprinz Mohammed bin Salman, den mächtigen Mann hinter LIV Golf, der Greg Normans Attacke auf das Golf-Establishment aus dem Staatsfonds PIF finanziert. Nicht nur im Sinne des Sportswashing seiner Monarchie voller Missstände, sondern um der Welt einfach zu zeigen, dass er es kann. Dass er alles kriegt, was er will, wenn er es will, wie unlängst Brendan Quinn in einem lesenswerten Beitrag für „The Athletic“ analysiert hat.
„Ich hasse, was sie dem Spiel antun“
McIlroy war der erste – und in dieser unmissverständlichen Deutlichkeit bislang ebenso der einzige –, der sich klar positionierte hat, als Riad mit dem von der DP World Tour anfangs so willig goutierten Saudi International seine Golf-Ambitionen auf der Weltbühne präsentierte. „Mir gefällt nicht, wo das Geld herkommt“, sagt der Nordire damals.
Fast vier Jahre und zahllose solcher Aussagen später ist er nicht müde geworden, seinem Widerwillen Ausdruck zu verleihen. „Ich hasse, was sie dem Wesen des Spiels und dem Gedanken des sportlichen Wettbewerbs antun“, bekräftigte „Rors“ während seiner Sieger-Pressekonferenz in East Lake, Stichwort leistungsloser Lohn und garantierte Gagen. Und: „Es schlägt mir echt auf den Magen, wenn ich daran denke, dass ich 18 dieser Typen alsbald in Wentworth [bei der BMW PGA Championship] sehen werde.“
Fast eine Art „Schutzschild“ für Kollegen
Mit dieser Haltung avancierte McIlroy zur Stimme der tourtreuen Spieler und zum ersten Bannerträger von Ponte Vedra Beach, wo er ohnehin als Players Director im Vorstand sitzt. Wenn ein Scottie Scheffler oder Jon Rahm in Sachen LIV Golf allenfalls Binsen bemühen müssen, dann liegt das vor allem am univoken McIlroy, der permanent zum Wind aus der Wüste befragt wird und stets knackige, überdies durchdachte Antworten parat hat – inklusive Plädoyers, sich an einen Tisch zu setzen und ein schiedlich-friedliches Miteinander auszuhandeln.
Er ist Wort- und Meinungsführer, fast eine Art „Schutzschild“ („Golf Digest“) für seine Kollegen, überdies Mitinitiator des Schulterschlusses von Wilmington und neben Tiger Woods Impulsgeber für die Zeitenwende auf der PGA Tour, von der Rahm sagt: „Man hat uns millionenmal gesagt ,Ihr seid die PGA Tour’. Doch erst jetzt habe ich den Eindruck, dass sie tatsächlich etwas darauf geben, was wir Spieler denken.“
Handfeste eigene geschäftliche Interessen
Was McIlroy und Woods da ausgeknobelt haben – die stärkere Konzentration der Top-Spieler bei Turnieren, die Elite-Liga innerhalb der Tour, das Player Impact Program als Richtwert und und und, zudem ihre eigene Stadion-Event-Serie – ähneln durchaus vielem, was Greg Norman mit LIV Golf inszeniert. Zudem basiert nicht mehr alles rein auf dem sportlichen Wettbewerb. Und ja, James Hahn hat recht, wenn er als einziger im Spielerbeirat meckert, dass bloß die eh saturierten Spieler bedient würden, dass es beim Personal und bei den Events eine Zweiklassen-Gesellschaft geben werde. Alles richtig. Das mag man bedauern, aber so funktioniert das Business Profi-Sport nun mal.
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McIlroy und Woods haben die Zeichen erkannt und das Gewicht ihrer Person und Reputation bei Tour-Commissioner Jay Monahan in die Waagschale geworfen. Aus der Not heraus, angesichts der finanziell letztlich übermächtigen Konkurrenz noch mehr Spieler und damit Boden zu verlieren. Und gleichsam nicht aus purem Altruismus, da schwingen schon handfeste eigene geschäftliche Interessen mit. Man muss die Kuh halt füttern, wenn sie ordentlich Milch geben soll.
„Golf war mein Fluchtpunkt“
Während Woods freilich bis auf wenige Ausnahmen wie Wilmington komplett im Hintergrund agiert, war McIlroy nicht nur hinter den Kulissen ein „fleißiger Retter“ („Golfweek“). Er stand und steht an vorderster Front, zieht allen Fokus, alles Interesse, alle Fragen auf sich, hat seine Vision von der Zukunft des Golfsports weitgehend durchgesetzt.
Paul McGinley, sein Ryder-Cup-Kapitän von Gleneagles 2014, glaubt allerdings, dass diese Belastung, dieser Einsatz nicht spurlos am aktuell weltbesten Europäer vorbei gegangen sein dürfte: „Es war sicher nicht hilfreich für seine sportlichen Leistungen.“ Andererseits sagt McIlroy selbst: „Golf war in den vergangenen Wochen mein Fluchtpunkt. Auf dem Platz hatte ich meine Ruhe, weil ich für niemanden erreichbar war.“
„Ich versuche bei jeder Gelegenheit zu verteidigen, was ich für den besten Ort der Welt halte, um professionelles Elite-Golf zu spielen. Ich glaube das sehr stark. Und wenn Sie wirklich an etwas glauben, müssen Sie sich äußern, dafür einstehen und auch den Kopf dafür hinhalten.“
Rory McIlroy
Vor Jahren hat der Autor an dieser Stelle mal behauptet, der Golfsport habe viele Gesichter, aber kein Profil, ohne Woods fehle es der Szene an Symbolfiguren. Das war 2016; McIlroy hat seither den Beweis des Gegenteils angetreten. Er führt, geht mit eigenem, gutmeinendem Beispiel voran. In diesem Jahr sowieso. Oder wie „Golf Digest“ notierte: „Zu den unumstößlichen Wahrheiten 2022 gehört, dass McIlroy allgegenwärtig war. Er war die Konstante, der Leitstern, der ,Universal Soldier’ der Tour. Seine Omnipräsenz machte ihn beinahe überlebensgroß, jedenfalls weit über die sportliche Größe hinaus.“
Das wenigstens einmal gerechte Universum
So gesehen hat niemand im 29-köpfigen Final-Feld die Tour Championship und den FedEx Cup mehr verdient. Dass ausgerechnet McIlroy den 18-Millionen-Dollar-Scheck erhielt, wird in den tourtreuen US-Medien als glückliche Fügung bewertet. Wenigstens einmal sei das Universum gerecht gewesen. Stimmt: Der PGA Tour hätte kein passenderer, angemessenerer Champion beschert werden können.