„Kummer sei lahm, Sorge sei blind, es lebe das Geburtstagskind!“ Ob besagter Jubilar sich mit Theodor Fontane auskennt, sei dahin gestellt. Zweifelsohne aber ist Eldrick Tont Woods, der an diesem 30. Dezember 40 Jahre alt wird, in sportlicher Hinsicht mit Kummer und Sorge bestens vertraut. Und es ist bezeichnend, dass die Laudatio auf den Megastar des Golfsports mit Wermutstropfen beginnt. Was wurde nicht alles geunkt über Woods und seine fragliche Zukunft am Schläger, manches las sich eher wie ein Nachruf, vieles mindestens wie der Schwanengesang einer Karriere, die ihresgleichen kaum oder gar nicht hat.
Einsame Lichtgestalt
Elf Jahre lang beherrschte der Ausnahmegolfer – von Vater Earl, dem Ex-Green Beret, gedrillt, von der thailändischen Mutter Kultida an asiatische Disziplin gewöhnt – das Geschehen. Er gewann in diesem Zeitraum 14 Majors, über 70 Turniere auf der PGA Tour, war 683 Wochen lang die Nummer eins der Welt, wurde zum Milliardär. Konkurrenz gab es keine. Nicht wirklich. 2008 humpelte Woods mit einem Beinbruch über Torrey Pines und gewann trotzdem zum dritten Mal die US Open, sein bislang letztes Major. Es war symptomatisch für das, was kommen sollte. Der Bruch in seiner Biographie, sportlich wie privat.
Der Tiger war eine Lichtgestalt, aber auch ein einsames Licht. Unnahbar, misstrauisch, verbissen, hochmütig. „Nur auf den Fairways, im Inneren der Absperrungen, wenn ich den Ball geschlagen habe, hatte ich meinen Frieden“, bekannte er jüngst in einem Interview mit dem New Yorker Nachrichtenmagazin „Time“. 2009 flogen die außerehelichen Affären auf, immer wieder rebellierte der Körper, die Erosion des Denkmals begann. Daran ändert auch das Zwischenhoch 2013 nichts, als ein ausnahmsweise verletzungsfreier Woods mit den Turniersiegen 75 bis 79 nah zu Rekordhalter Sam Snead (82) aufschloss.
Physischer Raubbau
„Ich lebe in Hundejahren, seitdem ich 1996 Profi geworden bin, es sind also 140 Jahre“, ließ Woods jetzt in seiner „Weihnachtsansprache“ wissen. Er meint die Zeit auf der PGA Tour, jedoch auch den physischen Raubbau, nicht zuletzt durch den modernen Golfschwung. Drei Rücken-Operationen binnen 18 Monaten sprechen für sich.
Auf der Suche nach neuer Effizienz des überstrapazierten Körpers experimentierte Woods mit Golfschwung und Trainern, versaute sich damit das lange Spiel und übertrug die Unsicherheit zu allem Überfluss auf seine einst überragenden Qualitäten rund ums und auf dem Grün.
„Ich habe kein Ziel, nichts, auf das ich hinarbeiten kann. Wo ist das Licht am Ende des Tunnels? Ich weiß es nicht“, klagte ein demoralisierter Gastgeber Woods bei seiner Hero World Challenge. Es klang wie die eigene Grabrede. Gegenüber „Time“ sagte er kurz darauf: „Ich möchte keinen weiteren Eingriff. Selbst, wenn ich nicht zurückkommen und wieder spielen kann, möchte ich immer noch ein gutes Leben mit meinen Kindern haben.“
Gesicht des Golfsports
Das ist der andere, der neue Tiger. Der sein Familienleben öffentlich macht, auf dem Turnierplatz Freunde umarmt, mit Fans scherzt, Kollegen veralbert und sich selbst auf die Schippe nimmt. Das Phänomen Woods freilich hat sich nicht geändert. Auf dem Höhepunkt seines golferischen Schaffens war er pures Spektakel, elektrisierte die Massen wie wohl zuvor bloß Arnold Palmer.
„TW“ brachte den Golfsport auf die Titelseiten der Zeitungen, befeuerte das öffentlich Interesse, ließ TV-Quoten sowie Sponsoren- und Preisgelder explodieren. Er war übergroß. Verlieh Golf ein neues Profil. Wurde das Gesicht des Sports. Machte das Spiel jung, in dem er heute ein Veteran ist. Rory McIlroy hatte ein Tiger-Poster an der Wand, Jason Day ließ sich von einem Woods-Lehrbuch inspirieren.
Und selbst als Weltranglisten-Hinterbänkler ist die Strahlkraft ungebrochen. Beim diesjährigen Masters notierte der Sender ESPN die höchste Quote eines Auftakttags seit 2010 und dem damaligen Comeback des reuigen Fremdgängers. Die dritte Runde, als sich der vierfache Augusta-Champion auf Seite eins des Leaderboards spielte, erreichte gar himmelhohe 6,5 Punkte im TV-Ranking, 48 Prozent mehr gegenüber 2014, wo er wegen seiner ersten Rücken-OP fehlte.
Nach Woods‘ spontaner Meldung für die eigentlich unbedeutende Wyndham Championship 2015 saßen am Samstag mehr Leute vor der Glotze als bei mancher dritten Runde einer US Open und PGA Championship. Zum Turnier selbst kamen 143.000 Zuschauer. „Tigermania!“
„Größer Golfer aller Zeiten!“
„Er ist nicht im Entferntesten an einem Rücktritt interessiert“, sagt Lorne Rubinstein, der das „Time“-Interview führte. Der Tiger selbst schwärmte auf seiner Webseite ganz aufgekratzt: „Wo sehe ich mich in den nächsten zehn Jahren? Ich spiele weiter Golf auf dem höchsten Level, gewinne Turniere und Majors!“ Für TV-Analyst Brandel Chamblee, wahrlich kein Verehrer des gebürtigen Kaliforniers, ist Woods schon jetzt „der größte Golfer aller Zeiten“, ungeachtet eines Jack Nicklaus und dessen Rekord von 18 Majors.
„Tiger Woods war auf dem Golfplatz zu derart unglaublichen, fast magischen Dingen in der Lage, dass alle hoffen, es kann wieder passieren“, schrieb US-Journalist Ryan Lavner für den „Golf Channel“. Eine Katze hat bekanntlich neun Leben, und man sollte diese Katze auch in ihren 40ern nicht abschreiben. Happy Birthday, Tiger!