Kein Wunder, dass Schelme vermuten, Tiger Woods’ jüngstes Lebenszeichen sei zuvorderst als Beitrag fürs künftig mit 40 Millionen Dollar dotierte Player Impact Program der PGA Tour zu werten. Bis zur Stunde wurde sein jüngstes Twitter-Video 7,2 Millionen Mal aufgerufen, jener Zwei-Sekunden-Clip, mit dem der 15-fache Majorsieger der Golfwelt mitteilt: „Making progress, ich mache Fortschritte“. Damit hat Woods am Sonntag nahezu jedem die Show gestohlen; selbst Collin Morikawa, der Doppelsieger von Dubai, musste im Lauf des Abends etwas in den Hintergrund treten.
Einmal mehr ruft das kurze Outing des Superstars den alten Spruch von den neun Leben einer Katze ins Gedächtnis: Wie viele Comebacks hat der Tiger eigentlich mittlerweile geschafft? Der Skandal um die außerehelichen Abschläge, die Rücken-Operationen, die Schmerzmittel-Abhängigkeit, man kommt beim Zählen kaum noch nach. Dann im Februar der Horror-Unfall in Rancho Palos Verdes in Kalifornien am Dienstag nach dem Genesis Invitational, ausgelöst durch deutlich überhöhte Geschwindigkeit während einer eiligen Fahrt zu Dreharbeiten für Instruktions-Filmchen mit Promis wie Schauspielerin und Will-Smith-Gattin Jada Pinkett Smith.
Ein einziger Ball per Eisen
Viel später ein selbst inszeniertes Foto auf Krücken und mit Hund, einige Info-Brocken für die Öffentlichkeit von Freunden wie Justin Thomas sowie ein paar Paparazzi-Schüsse, zuletzt aus Los Angeles, wo sich Woods angeblich das Go seiner Ärzte im Cedars-Sinai Medical Center fürs Training geholt haben soll. Und jetzt steht er vor einem halb leeren Eimer auf der Range seines Heimatclubs The Medalist in Hobe Sound/Florida, schlägt per Eisen einen einzigen Ball – und jeder erwartet prompt das nächste Woods-Wunder.
Clip in jede Nano-Sekunde zerlegt
Natürlich wurde die winzige Video-Sequenz längst in jede Nano-Sekunde zerlegt, begutachtet, analysiert und interpretiert. An allem wird rumgedeutelt, alles wird thematisiert: die Länge der Hose und das Alter des Huts; die Diskretion der Medalist-Mitglieder, die Stillschweigen über die Fortschritte ihres berühmten Vereinskameraden bewahren, und der Marketing-Effekt für das im Vordergrund sichtbare Schlaganalyse-Gerät der Firma Full Swing, in die Woods investiert hat. Irgendjemandem bei „Golf.com“ ist sogar aufgefallen, dass 2017 schon mal ein „Making-Progress“-Video erschienen ist, damals freilich mit großen „P“ und mit Woods am Driver.
Making Progress pic.twitter.com/I3MZhJ74kI
— Tiger Woods (@TigerWoods) October 15, 2017
Aber was zeigt der neue Clip wirklich? Tiger Woods kloppt wieder Bälle. So weit, so großartig. Er ist offenbar in der Lage, anstrengungs- und beschwerdelos einen Schläger zu führen. Klar, der Schwung ist vorsichtig und wirkt etwas flacher, aber die Fläche der Divots und das Mess-Instrument zeugen von Übungsintensität und -ernsthaftigkeit; es sieht nicht so aus, als sei da was für die informationshungrige Galerie oder aus Promotionzwecken gestellt worden. Der 45-Jährige scheint vielmehr zu testen, wo er mit seinem Spiel steht. Na gut, Spekulation, die Bemerkung wird zurückgezogen.
"Täglich-grüßt-das-Murmeltier“-Zeit ist vorbei
Auf jeden Fall stimmen Rhythmus und Kraftfluss: Woods kriegt einen „großartigen Backswing“ hin und „lädt ordentlich Energie“ über die Seite des so schwer verletzten rechten Beins, schwärmen renommierte US-Golflehrer, die von „Golf Digest“ um einen Befund gebeten wurden.
Vor kurzem gab’s bereits Gerüchte, dass Woods in The Medalist angeblich an seinem kurzen Spiel arbeitet. Das hat sich bestätigt. Der Golfstar zeigt sich fit und gut in Form, wenngleich er auf den Aufnahmen von Los Angeles noch ganz leicht hinkte. Vor allem ist ganz sicher die „Täglich-grüßt-das-Murmeltier“-Zeit vorbei, die sich ständig wiederholten Eintönigkeit der Tagesroutine eines Rekonvaleszenten, von dem Krankenbesucher Thomas berichtet hatte. Woods darf wieder das tun, was er am besten kann: Golf spielen.
Woods und der Vergleich mit Ben Hogan
Das wirft selbstredend die nächste, die ganz große Frage auf. Nicht die, ob er wieder kommt. Das hat Kumpel Justin neulich vorweg genommen. Sondern wann? Ok, Kaffeesatzleserei, pure Fantasien, lassen wir das. Irgendwann werden vielleicht mal Vergleiche gezogen zu Ben Hogan und dessen schwerem Unfall mit Ehefrau Valerie 1949, als ein Überland-Bus in das Auto des Golfers krachte. Tiger Woods hat immer gesagt – auch nach dem Masters-Triumph 2019 –, Hogans Rückkehr auf die Turnierbühne und seine anschließenden Major-Gewinne seien das größte Comeback der Golfgeschichte. Ihm freilich traut man ähnliches zu. Wem, wenn nicht ihm!
Davis Love III: „Er darf sich den Job aussuchen“
Der rote Teppich wird ihm bereits jetzt ausgerollt. Davis Love III, Amerikas Teamchef für den Presidents Cup 2022 hat wissen lassen, dass Woods für das Duell mit dem Rest der Welt im kommenden September in Quail Hollow/North Carolina jede gewünschte Rolle und Aufgabe übernehmen könne. „Selbst wenn er mich anruft und sagt ,Du bist raus, ich übernehme Deinen Job’ wäre das für mich ok“, sagte Love III am Rand der RSM Classic. „Es würde mich allerdings enorm für ihn freuen, wenn er als Spieler zurückkommt und als Ziel verfolgt, sich auf dem Platz fürs Team zu qualifizieren.“
Weitere Antworten bei der Hero World Challenge?
Zuerst mal steht freilich die Hero World Challenge auf den Bahamas an, wo Woods mit seiner Stiftung Anfang Dezember wieder Gastgeber ist. Das hochklassige Starterfeld mit 15 Spielern aus den Top-20 der Welt wurde bereits verkündet. Sollte der Tiger indes höchstselbst in Albany auftauchen, würde das sämtliche Stars in den Schatten stellen. Und vielleicht gibt’s dann ja auch ein paar weitere Antworten.