„Es ist noch nicht vorbei!“ Die Europäer klammern sich an dieses Statement ihres Kapitäns José María Olazábal, beschwören den Spirit von Seve Ballesteros und erinnern an das Comeback der USA, die in den Singles von Brookline 1999 auch einen 6:10-Rückstand aufgeholt haben. Ein bisschen freilich klingt‘s wie das Pfeifen im dunklen Wald, denn ausgerechnet Olazábal hat auf dem Logenplatz erlebt, was seiner Truppe heute bevorsteht. Damals zertrampelten ihm die siegestrunkenen Amerikaner den möglichen Ausgleichsputt; heute werden die Fans, vom US-Vorsprung beseelt, vor allem auf Europas Nerven herumtrampeln.
Die besten Spieler beider Seiten stehen ganz vorne
Über die Aufstellungen beider Seiten für die Einzel muss man nicht groß philosophieren: US-Teamchef Davis Love III hat seine Besten vorne platziert, um den Ryder Cup spätestens zum Kaffee eingesackt zu haben; Olazabal tat Gleiches, um genau das möglichst zu verhindern.
Wenn nicht – die Phrase sei gestattet – das Wunder von Medinah passiert, hat Europa diesen 39. Ryder Cup freilich beim Finale bloß endgültig abgegeben. Verloren wurde dann das goldene "Mitbringsel" schon in den zwei Tagen zuvor, als Olazábals Formation all jene eines Schlechteren belehrte, die ein enges Duell erwartet hatten.
Olazábals Spieler seltsam starr und unbeteiligt
Es muss ein gehöriger Schock für „Ollie“ gewesen sein, dass seine „Big Shots“ den Amerikanern und ihrem bekannt lauten Publikum zum Auftakt nicht schon etwas den Nerv ziehen konnten. Die Europäer wirkten stattdessen seltsam starr und unbeteiligt, einander auch nicht zugewandt. Symptomatisch war die herablassende Art von Justin Rose gegenüber Martin Kaymer im Interview nach dem versemmelten Fourball-Match.
Was Wunder, dass in den Medien längst die Frage kursiert, wieso es Olazábal nicht gelang, seine Top-Leute aufzuscheuchen und in Fahrt zu bringen? In der Tat war von der europäischen Teamleitung meist kaum mehr zu sehen, als des Kapitäns langes Gesicht und „Vize“ Jiménez‘ unvermeidliche Zigarre.
Die Amerikaner: Diesmal ein verschworener Haufen
In Medinah herrscht aus europäischer Sicht verkehrte Ryder-Cup-Welt. Die Amerikaner, diese ehedem so sperrigen und schwierig zu vereinenden Individualisten, zeigen sich mit einem Mal als verschworener Haufen und tun auf dem Platz das, was Davis Love III vom ersten Ball an als Maxime ausgegeben hat: "Wir gehen raus und haben Spaß!“ Für frischen Wind sorgen dabei ganz offensichtlich die vier Rookies, die der US-Kapitän geschickt und kongenial auf die Führungsspieler verteilt hat. Plötzlich entwickelt sogar eine Diva wie Phil Mickelson, der mit seiner 11-17-6-Bilanz als schlechtester US-Ryder-Cupper aller Zeiten in diese 39. Auflage gegangen war, väterliche Gefühle und avanciert mit Zögling Keegan Bradley zum "Dream Couple".
Man kann munter über Olazábals Spieler-Wechsel-Dich in den Vierern spekulieren, über sich ergänzende Spielanlagen und manches mehr: Ganz sicher wollte der Spanier damit zuvorderst den Korpsgeist wecken, der die Truppe früher stets verlässlich beflügelt hatte, der aber diesmal – gemeinsam mit Motivator Michael Jordan – offenbar im amerikanischen „Team Room“ eingecheckt hat.
Ian Poulter, „der Treibstoff, mit dem Europa läuft“
Die sehnlichst vermissten europäischen Emotionen kamen erst auf, als Donald/Garcia und Poulter/McIlroy zum Schluss der gestrigen Fourballs wie die Berserker um die so existenziell wichtigen Punkte rackerten – befeuert von einem Ian Poulter, der bei seinen fünf Birdies in Folge alles lochte, was ihm vor den Putter kam und vom britischen Blatt The Telegraph zurecht als "der Treibstoff“ bezeichnet wird, „mit dem Team Europe läuft“.
Solch hochprozentigen Sprit und Poulters Touch auf den Grüns werden sie heute vom ersten bis zum letzten Match brauchen.