Es ist vermutlich das schwierigste Turnier im diesjährigen Kalender der European Tour. Nein, ganz sicher ist es das! Angeführt von klangvollen Namen gastiert der Golfzirkus diese Woche im Königreich Saudi-Arabien; Hochkaräter wie der Weltranglistenerste Justin Rose, sein Verfolger Brooks Koepka, Dustin Johnson, Bryson DeChambeau oder Patrick Reed sollen der Uraufführung des Saudi International zu internationalem Renommée verhelfen. Und natürlich ist die Frage allgegenwärtig, ob man ein Turnier ausgerechnet in dem Land abhalten sollte, das nach der Ermordung des regimekritischen „Washington-Post“-Journalisten Jamal Kashoggi vergangenen Oktober im Saudi-Konsulat in Istanbul zum Willkommensgruß sozusagen eine blutverschmierte Hand ausstreckt?
European Tour: „Partner im Nahen Osten sind für uns sehr wichtig“
Fast klammheimlich hatte die European Tour den Debütanten im vergangenen Herbst der Außenwelt untergeschoben; wenig Tamtam gab es bei der Veröffentlichung des Spielplans, während die begehrten Neuzugänge ansonsten gebührend gefeiert werden. In Virginia Water war man sich der Sensibilität des Themas Saudi-Arabien sehr wohl bewusst: „Wir beobachten das alles sehr sorgfältig, aber das Turnier ist im Kalender“, entgegnete Tour-Boss Keith Pelley allen Gesprächspartnern.
Vergangene Woche in Dubai wurde der Kanadier konkreter, schließlich waren in der Retortenstadt King Abdullah Economic City schon die Kopfkissen aufgeschüttelt. „Unser Hauptaugenmerk gilt nach wie vor der Sicherheit von Spielern und Personal“, erklärte Pelley dem TV-Sender „Golf Channel“. „Die diesbezüglichen Bewertungen sind jedoch abgeschlossen und wir freuen uns auf ein neues Kapitel im Rahmen unserer Strategie im Nahen Osten. Wir haben eine exzellente Beziehung zu diesen Partnern, die für uns sehr wichtig sind.“
Keith Pelley: „Können derzeit nirgendwo in Europa spielen“
Oder anders: Zahlungskräftige Turnierausrichter sind dünn gesät im Kernland der European Tour, mit der als Race to Dubai zudem namentlich manifestierten Hinwendung zu Schauplätzen am Persischen Golf und in Fernost hat sie ihre Claims längst neu abgesteckt. „Wir können um diese Jahreszeit nirgendwo in Europa spielen“, führte Pelley aus: „Der Nahe Osten ist enorm wichtig, in klimatischer Hinsicht, bezüglich des geringen Reise-Aufwands und nicht zuletzt durch die Qualität seiner Golfplätze.“
Tiger Woods schlug 3,25 Millionen Dollar aus
Saudi-Arabien bereitet Pelleys Profiparade die mittlerweile sechste Bühne im Orient, schüttet offiziell 3,5 Millionen Dollar Preisgeld aus und griff fürs Premierenpersonal zusätzlich tief in die Tasche. Bei Tiger Woods hat das nicht geklappt, der Superstar lehnte eine angebliche Offerte von 3,25 Millionen Dollar Antrittsgeld mit dem Hinweis auf die Vermeidung nur bedingt notwendiger Langstreckenflüge und Reisestrapazen geschickt ab. Aber Justin Rose und Co. sollen dem Vernehmen nach jeweils mindestens eine Million Dollar als Gage erhalten – „genug, um alle Gedanken an einen ermordeten Journalisten beiseite zu schieben“, notierte „Golfweek“.
Verträge vor Causa Kashoggi abgeschlossen
Der Vollständigkeit und guten Ordnung halber sei allerdings erwähnt, dass die Verträge zwischen Saudi-Arabien und der Tour sowie den meisten Spielern bereits weit vor der Causa Kashoggi in trockenen Tüchern waren. „D.J.“ und Masters-Champion Reed beispielsweise hatten bereits im April fix zugesagt. Also wird gespielt, statt sich komplizierten juristischen Unterlassungsvorwürfen auszusetzen.
Die Monarchie zwischen Persischem Golf und Rotem Meer wiederum wappnet sich mit Projekten wie der King Abdullah Economic City samt Hafen, Industriezone und Wohngebieten auf 181 Quadratkilometern Fläche für die Zeit nach dem Erdöl und pusht die Standort-Attraktivität mit Events wie dem Turnier im Royal Greens Golf & Country Club. Der Bau des 2017 eröffneten, 6.409 Meter langen Par-70-Platzes begann 2008 und ruhte sechs Jahre, bedingt durch die weltweite Rezession. Federführend war die Tour-Tochter European Golf Design – ein Schelm, wer sich dabei jetzt was denkt …
Golf ist wahrlich keine Insel der Seligen
Bei all den derzeitigen Debatten geht es, wie so oft, um die Verquickung von Politik und Sport. Staatlich verordnete Olympia-Boykotts wie München 1972, Montreal 1976, Moskau 1980 und Los Angeles 1984, die Vergabe einer Fußball-WM an Katar etc.: Das Lastenheft ist endlos, und die Golfszene ist wahrlich keine Insel der Seligen. Siehe den einstigen Rassismus auf der PGA Tour und im Augusta National, die Diversity-Diskussionen um die Clubs auf der British-Open-Rota sowie die Abkehr des R&A von Donald Trumps Turnberry, schließlich die Turniere in China und in Erdogans Türkei, wo es bekanntlich um die Wahrung demokratischer und humanistischer Grundwerte gleichsam nicht zum Besten bestellt ist.
Kritik von Amnesty International
Am Persischen Golf und in Fernost macht die European Tour nunmehr über Jahrzehnte Station, der vielerorts zweifelhafte Umgang mit den Menschenrechten, dem Frauenbild oder der Pressefreiheit, generell die mangelnde kulturelle Toleranz sind seither ständiger Begleiter des Turnierkalenders. Gerade fanden zwei Turniere in den Vereinigten Arabischen Emiraten statt, die äußerlich eine liberale Haltung einnehmen, während Amnesty International (AI) unter anderem die Unterdrückung von Meinungs- und Versammlungsfreiheit und den Einsatz von Anti-Terrorismus-Gesetzen gegen Regierungskritiker moniert. Im März steht dann Katar mit seiner nicht nur von AI angeprangerten„Sklaven-Wirtschaft“ auf dem Tour-Programm.
Der Sport als moralische Instanz?
Reflexhafte Rufe nach Integrität, Vorbildfunktion und ideologischem Ethos erscheinen ohnehin realitätsferner denn je. Der Sport ist keine moralische Instanz – zumal, wenn die vorrangig zuständigen „Stellen“ diesbezüglich weitgehend bedeutungslos geworden sind. Er ist vielmehr Business, war er immer, mehr oder weniger verbrämt. Das muss man nicht gut finden, darf andererseits indes das Entertainment dann ebenso wenig goutieren. Schon die altvorderen Olympioniken wetteiferten im Pankration, einer Mischung aus Faust- und Ringkampf, nicht nur um Ruhm, Ehre und tragende Rollen in den Heldenliedern, ihnen winkte im Erfolgsfall überdies existenzielle Sorgenfreiheit.
Dustin Johnson: „Ich unterstütze nichts, spiele nur Golf“
Im kritischen Zweifelsfall zieht sich der um Positionierung gebetene Athlet dann gern auf die ureigenen Prioritäten zurück. „Ich bin Golf-Professional, kein Politiker“, servierte Justin Rose eine über die Maßen strapazierte Formel, als er auf seinen Start beim Saudi International angesprochen wurde. „Es ist ein gutes Teilnehmerfeld auf einem angeblich sehr guten Platz, es gibt eine Menge Weltranglistenpunkte und es ist eine neue Erfahrung, Saudi-Arabien zu erleben.“ Johnson äußerte sich ähnlich. „Ich gehe dahin, um einen Sport auszuüben, für den ich bezahlt werde. Das ist mein Job. Ich unterstütze nicht, was dort sonst passiert, ich spiele lediglich Golf.“
Brooks Koepka: „Wenn man genau hinschaut, findet man überall was“
Bryson DeChambeau bemühte gar den ideellen Mehrwert. „Wenn sie uns dort haben wollen, dann sollten wir hingehen und die Möglichkeit nutzen, Golf positiv darzustellen und zur Entwicklung des Spiels beizutragen. Das ist es jedenfalls, was ich versuche zu tun“, gab der frisch gebackene Dubai-Sieger zu Protokoll. Brooks Koepka schließlich brachte es endgültig auf den Punkt. „Egal, wo du hingehst, die Leute haben immer unterschiedliche Sichtweisen auf politische Vorgänge. Und wenn man genau hinschaut, dann findet man überall etwas. Ich will mich da nicht einmischen. Wir haben ein ausnehmend gutes Teilnehmerfeld, hoffentlich lässt sich daraus etwas grundsätzliches ,Goodwill‘ erzeugen.“
Klar distanziert hat sich nur einer. Paul Casey machte via Instagram deutlich, dass an den Gerüchten um seine Zusage von Beginn an nichts dran gewesen sei. Als UNICEF-Botschafter sieht sich der Engländer eh in einer besonderen Verpflichtung.
Balance auf schmalem Grat
Letztlich balanciert die European Tour – und nicht allein dien – auf einem schmalen Grat; sie navigiert zwischen den sprichwörtlichen Seemonstern der antiken Mythologie, dem Felsen Scylla und dem Strudel Charybdis. Einerseits grassiert die Furcht vor der wachsenden Bedeutungslosigkeit des europäischen Circuits gegenüber der PGA Tour und dem weiteren Verlust von Stars an die USA, beim Fan auf der Couch nicht minder. Andererseits ist das Geschrei groß, wenn Keith Pelley, dieser Makler des Machbaren, sich mangels Alternativen mit eben solchen, nicht ganz zweifelsfreien Turnierstandorten über Wasser hält.
Scheinheilige Kritik?
Und was die Verantwortung der Professionals betrifft, so ist die Kritik vielleicht auch ein klein wenig scheinheilig. Wenn‘s um den eigenen Golfurlaub geht, dann rümpft kaum jemand über solche Destinationen die Nase, sondern kaschiert seine „preisbewusste“ All-Inklusive-Attitüde mit dem Alibi, dass dort die Menschen unterstützt gehören, weil sie immerhin vom Tourismus leben und nichts für die Allüren ihrer politischen Lenker können. Freilich, Menschen, die vom Tourismus leben müssen, gibt es andernorts ebenfalls. Bloß ist es da womöglich zwar politisch korrekt, aber nicht so günstig.