Als heute morgen die beiden frühesten Flights ihre Bälle aufs erste und zehnte Fairway des Royal Green Golf & Country Club droschen, da eröffneten unter anderem Victor Dubuisson und Raphael Jacquelin ein Event, das seit seiner Premiere im vergangenen Jahr vielen ein Dorn im Auge und bei den meisten ziemlich umstritten ist.
Sehr unangenehmes Grundrauschen
Das Saudi International polarisiert wie wohl kein anderes Golfturnier; die Verwicklung des saudi-arabischen Königshauses in den Mord am unbequemen Washington-Post-Journalisten Jamal Khashoggi, der Stellvertreterkrieg der Monarchie im Jemen und nicht zuletzt der Umgang des von der Scharia geprägten Gottesstaats mit Menschen- und Frauenrechten in Saudi-Arabien selbst verleihen dem sportlichen Geschehen in der King Abdullah Economic City in der Tat ein äußerst unangenehmes Grundrauschen.
Ausgesuchten Stars wie Dustin Johnson, Brooks Koepka, Patrick Reed oder Phil Mickelson haben die Veranstalter mit millionenschweren Antrittsgeldern die Ohren verstopft; die wiederum rechtfertigen ihr Gastspiel auf der European Tour im Gegenzug mit dem längst überstrapazierten Argument des wichtigen Beitrags zur Golf-Entwicklung in der Wüstenmonarchie. Das freilich ist nach Ansicht vieler Experten schlichtweg Unsinn und damit heuchlerisch.
Angeblich 34 neue Plätze
Weil Golfentwicklung immer auch mit Diversity, Inklusion und Zugänglichkeit einhergeht. Derzeit hat Saudi-Arabien 13 Golfanlagen mit 225 Bahnen, davon etliche Sand-Löcher, die sogenannten „Browns“, und 5.000 Spieler. Angeblich sollen in naher Zukunft 34 neue Plätze gebaut werden, im offiziellen Programm „Vision 2030“ ist das allerdings mit keiner Silbe erwähnt. Aber wohl, dass die Zahl der Fremdarbeiter, die derzeit – auf deutsch gesagt – die Drecksarbeit leisten, reduziert und durch einheimische Kräfte ersetzt werden. Ob die dann alle demnächst Golf spielen (können)? Ob Frauen in den derzeit elitären, von Saudi-Arabiens Hautevolee und zahlungskräftiger Touristenklientel frequentierten Clubs alsbald gern gesehen werden, ist ebenfalls zweifelhaft.
Toll soll totalitär kaschieren
Nein, Golf in Saudi-Arabien bleibt auf weite Sicht ein exklusives Vergnügen – wetten, dass ..? Und der Auftritt der Golfgrößen erfüllt den Tatbestand des „Sportswashing“, sie machen sich zu Handlangern des Systems, das mit rauschenden und namhaft besetzten Sportfesten in der Weltöffentlichkeit glänzen und zuvorderst toll statt totalitär dastehen, gleichzeitig seine Fehltritte kaschieren und die Aufmerksamkeit von herrschenden Missständen ablenken will. Eine beliebte Strategie, siehe Olympische Spiele in China oder Handball- und Fussball-WM in Katar.
Medaillen sind wichtiger als Missstände
Der Sport taugte dazu von jeher bestens, kommen seine Fans doch aus allen gesellschaftlichen Schichten und Lagern, was größtmögliche Streuung der Image fördernden Botschaft garantiert. Und – Hand aufs Herz – bei sehr vielen Sportenthusiasten im globalen Auditorium funktioniert‘s ja bestens: Medaillen sind wichtiger als Missstände. Man könnte jetzt noch ein wenig aufs Reiseverhalten des Freizeitgolfers abschweifen und über die Ambivalenz von Hauptsache-All-Inclusive räsonieren, doch lassen wir das hier und heute.
Der Athlet zwischen Herausforderung und Haltung
Am anderen Ende steht der Athlet, hin und her gerissen zwischen Herausforderung und Haltung. Das ist, zugegeben, ein ziemliches Spannungsverhältnis. Und so einfach darf man es sich nicht machen, in Bausch und Bogen Abstinenz zu fordern.
Wenn jemand vier Jahre auf Olympische Spiele hintrainiert und dieser Perspektive alles untergeordnet hat, wenn alle anderen Events vergleichsweise absolut nachrangig sind und die Spiele womöglich hilfreich für das Leben nach der aktiven Karriere sein können – dann sind Tunnelblick und Ausblenden aller begleitenden politischen oder gesellschaftlichen Misstöne vielleicht sogar verständlich.
Die Brötchen der Stars und Riads Millionen
Nur: D. J., „Lefty“, Koepka und Co. sind von derlei Zwiespalten meilen-, nein millionenweit entfernt. Und zwar Millionen von Dollar weit. Die betreffenden Herren haben nicht die Qual der Wahl zwischen Moral und Mammon, ihre Brötchen sind ohnehin reichlich belegt, da braucht es keine fetten Schecks aus Riad mehr. Sie müssten nicht in Saudi-Arabien spielen, könnten sich Haltung leisten und ein Zeichen setzen – wenn sie denn wollten. Tun‘s indes nicht, lassen sich stattdessen willig korrumpieren. Da bleibt nur ein Schluss: Geldgier. Und Ignoranz.
Dieselben Spieler haben übrigens unlängst erklärt, dass Olympische Spiele für sie auch ohne brasilianischen Zika-Virus keine Priorität haben. Weil‘s da nichts zu gewinnen gibt? Ein Schelm, wer Böses dabei denkt …
McIlroys Absage: „Das hat was mit Moral zu tun“
Immerhin erhöht das die Chance von Tiger Woods, unter dem Sternenbanner der USA im Kasumigaseki Country Club aufzulaufen. Wir gönnen es dem neuen Tiger. Nicht nur, weil er das „unmoralische Angebot“ aus Saudi-Arabien mit einer diplomatischen Absage in den Wind geschlagen hat. Rory McIlroy und Paul Casey haben dem Wüstenstaat ebenfalls einen Korb gegeben. Und die beiden sind nun absolut unverdächtig, die Golfentwicklung nicht im Blick zu haben. „Das hat was mit Moral zu tun“, sagte McIlroy mit der ihm eigenen Offenheit. Dem ist nichts hinzuzufügen.
Die rosarote Brille der European Tour
Doch, eins noch: 80 Prozent der Kombattanten, die bis Sonntag dort um die 3,5 Millionen Dollar spielen, haben kaum eine Wahl bzw. den einen oder anderen triftigen Existenzgrund, das zu tun. Darüber könnte man ebenfalls trefflich disputieren. Vielmehr noch rückt hier gleichermaßen die European Tour ins Blickfeld, die das Dilemma ursprünglich angerichtet hat, als sie dem Lockruf des Geldes aus Saudi-Arabien folgte – verführt vom Bestreben, gegenüber der PGA Tour nicht noch mehr an wirtschaftlicher Attraktivität zu verlieren,
Keith Pelley gilt als Makler des Machbaren, das beweist er mit dem Saudi International einmal mehr. Allerdings muss sich der Fan farbenfroher, meist blauer Brillengestelle die Frage gefallen lassen, ob er in diesem Fall nicht zu sehr die rosarote Brille strapaziert?
Der Artikel trifft meine vollste Zustimmung. Die einen „müssen“ mitmachen um finanziell zu überleben, die anderen haben es nicht nötig. Ist aber in anderen Sportarten dank der Geldgier der Veranstalter, Sponsoren und Verbänden (an der Spitze FIFA, FIA und IOC) auch so. Geld regiert die Welt….leider.
Danke für den Kommentar!
Dieser Artikel strahlt mal wieder die typisch deutsche moralische Überheblichkeit aus ! Wie mein Mitkommentator sehr richtig anmerkte sind demzufolge Turniere in China Marrokko etc .genauso fragwürdig. Die passen aber in unseren politischen Mainstream ! Das ist die Doppelmoral unserer etablierten Parteien Medien usw ! Was hat ein Profiturnier mit Moral zu tun ? Nichts es geht einfach nur um viel Geld das Berufsspieler dort verdienen können! Aber wer weiß vielleicht gibt es bald einen Gesetzentwurf der Grünen der deutschen Staatsbürgern die Einreise nach Saudi-Arabien verbietet!
Ich frage mich nur: wenn es so absolut unmoralisch ist, bei den Saudi zu spielen, wieso ist es dann bspw. so absolut okay, in China aufzuteen (Geschäfte zu machen, Hua…-Handys zu kaufen etc.)? Mit welchem Maß soll gemessen werden?
Je mehr Millionen sie scheffeln, umso mehr leidet ihre Moral: Erst kommt das FRESSEN und dann die Moral. Da ziehe ich doch mein Käppi vor McIlroy, Casey und Co. Ich verstehe die schlechtverdienenden Golfer, aber auch einem Martin Kaymer würde es gut zu Gesicht stehen, wenn er derartige Turniere auslassen würde, zumal er sowieso keine Siegchance hätte.
Gut dargestellter Zwiespalt zwischen Moral und Geld, auch die Rolle der European Tour. Ganz nebenbei: Ist nicht auch eine Prinzessin aus Dubai auf der Flucht aufgrund mangelnder Menschen- und Frauenrechte? Seltsamerweise noch nicht thematisiert…