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Golf Post Premium Ryder Cup

Ryder Cup 2021: Whistling Straits und seine 1.012 Bunker: Das „Wunder von Wisconsin“

21. Sep. 2021 von Michael F. Basche - Dies ist ein Golf Post Premium Artikel

Whistling Straits-der Austragungsort für den Ryder Cup 2021 (Foto: Twitter-com/@PGATOUR)

Whistling Straits-der Austragungsort für den Ryder Cup 2021 (Foto: Twitter-com/@PGATOUR)

Die Experten waren sich lange uneins: Von 976 Bunkern spricht die European Tour, in Whistling Straits selbst vermuten sie „an die tausend, aber wir wissen es nicht genau“. Doch der „Golf-Digest“-Journalist Ron Whitten und sein Caddie Bob Palm haben in einem elfstündigen Marathon über zwei Tage persönlich nachgezählt und 1.012 Sandhindernisse ermittelt. 535 auf der Front Nine, 477 auf der zweiten Schleife, im Schnitt 56,2 pro Bahn, 109 allein auf der Par-vier-Acht, 96 auf dem Schlussloch. Da hat er vermutlich jedes noch so kleine Sandhäufchen eingerechnet.

Einer der spektakulärsten Plätze auf dem Globus

Wie auch immer: Whistling Straits ist der Kurs der tausend Bunker, eine Sandkasten-Orgie zwischen duschtrassengroßen Häufchen und epischen Wüsteneien von bis zu bis zu 270 Metern Länge. Und nach dreimaliger Ausrichtung der PGA Championship (2004, 2010, 2015) nunmehr Ryder-Cup-Bühne, Gastgeber des 43. Kontinentalduells der besten Golfern aus der Alten und aus der Neuen Welt.

So, wie Patron Herbert Vollrath Kohler es immer gewollt hatte, seit er ein eigentlich trostloses, weil pfannkuchenflaches Stück Land am Ufer des Lake Michigan in einen der spektakulärsten Golfwiesen auf dem Globus verwandeln ließ, mit phänomenalen Blickachsen auf die knapp 57.000 Quadratkilometer blauglitzernden Wassers des zweitgrößten der fünf „Great Lakes“, grandiosen Par-drei-Löchern, „drivebaren“ Par-vier-Bahnen und herausfordernd vertrackten Par-Fünfs.

Kaymer: „Kein einziges langweiliges Loch“

„Whistling Straits ist eine brillante Bühne für den Ryder Cup“, urteilt Phil Mickelson. Und Martin Kaymer wird regelrecht redselig, wenn er von der Stätte seines ersten Majorsiegs schwärmt. „Es gibt kein einziges langweiliges Loch. Jede Bahn regt dich zum Nachdenken an, hat individuelle Schwierigkeiten. Wenn man den Ball nicht gut trifft, packt man sich schnell eine 75 oder 76 auf die Score-Karte“, sagt der europäische Vize-Kapitän. „Ich mag solch aufregende und gleichzeitig faire Kurse. Es macht wirklich Spaß, hier unterwegs zu sein. Für mich ist Whistling Straits der beste Platz, den ich in Amerika bislang gespielt habe.“

Mit Bad-Keramik zum Golf-Imperium

Die „flüsternde Meerenge“ (6757,4 Meter und Par 71 für den Ryder Cup) gilt dabei als „primus inter pares“, als Erster unter Gleichen, in einem Golf-Resort von bestechender Qualität. „Destination Kohler“ besteht aus dem Straits-Kurs und seinem jüngeren Bruder „Irish“ sowie den beiden 18-Loch-Plätzen von Blackwolf Run. Dreh- und Angelpunkt der Anlage ist „The American Club“, ein Hotel-Ensemble samt Spa, dessen Ursprünge bis ins Jahr 1918 datieren. Hinter all dem steht die Familiendynastie der Kohlers, die es – salopp formuliert – mit Toilettenschüsseln und Wasserhähnen zu Reichtum und einem Golf-Imperium gebracht hat.

Besitzer des legendären „Old Course Hotel“

Seit 1873 machen die Kohlers in Sanitär-Hartware, Installationsmaterialien, Möbeln, Kleinmaschinen und Generatoren, 1900 begründeten sie mit einer neuen Fabrik und den Mitarbeiter-Wohnstätten in Wisconsin das Dorf Kohler; der amtierende Patron Herb Kohler, CEO seit 1972 und heute 82 Jahre alt, expandierte ins Hotel- und Tourismusgeschäft.

2004 erwarb Kohler nach nur 40-tägigem Vorlauf das legendäre „Old Course Hotel“ in St. Andrews, das mit dem Schuppen in der Spiellinie des „Road Hole“ (Bahn 17) – und ließ erst mal alle Rohrleitungen austauschen. Mittlerweile gehören ihm dort auch der „Duke‘s Course“ und andere Objekte.

Einstieg ins Golf-Business, weil die Gäste fragten

20 Jahre zuvor freilich verschwendete der Enkel des österreichischen Immigranten und Firmengründers John Michael Kohler, der mit einer Gießerei für landwirtschaftliche Geräte begonnen hatte und die erste Badewanne produzierte, indem er einen eisernen Trog emailliert und auf vier Füße stellte, noch keinen Gedanken ans Business rund um die kleine weiße Kugel. Da musste erst ein Mitarbeiter kommen und sich beim Chef über das fehlende Golfgeläuf wundern. Die Gäste hatten dem Personal ständig mit Fragen nach Spielmöglichkeiten in den Ohren gelegen, und den Kohlers gehörte doch eh alles Land im weiten Umfeld.

Fasziniert von der Design-Kritik am TPC Sawgrass

Also suchte Herb Kohler einen Architekten. Und fand Pete Dye. Der umstrittene Designer, ikonoklastisch, weil er liebend gern gestalterische Tabus über den Haufen wirft, hatte gerade den TPC Sawgrass fertig gestellt und sich mit seinem Werk den Unmut der Professionals zugezogen. „Ich fand es klasse, dass er die Pros mit seinem Parcours derart in Verlegenheit und darob in Rage bringen konnte“, sagt Kohler.

Der im Januar 2020 verstorbene Dye baute ihm 1988 erst Blackwolf Run und begann sieben Jahre später auf einer ehemaligen Fliegerabwehr-Trainingsbasis der US-Armee namens „Camp Haven“ mit der Erschaffung von Whistling Straits. Buchstäblich.

Ein komplett künstliches Kunstwerk

Denn das Kunstwerk ist tatsächlich komplett artifiziell, menschengemacht, „jeder Zentimeter“, so Pete Dye. „Als ich das Gelände erstmals betrat, war es ein flaches Plateau, 21 Meter über dem Wasserspiegel. Dennoch hatte ich in meinem ganzen Leben nichts vergleichbares an ,Lage’ gesehen. Niemals. Nirgendwo“, notierte er in seiner Autobiographie. „Und Mr. Kohler sagte: ,Wenn ich dieses Stück Land das nächste Mal sehe, möchte ich, dass es aussieht wie Ballybunion‘ [Legendärer Linkskurs an der irischen Westküste mit imposanten Dünen, Anm. der Redaktion]. Ich wollte ihn schon fragen, ob er verrückt geworden sei. Aber das habe ich mir verkniffen.“


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Das Gelände um 10 bis 15 Meter abgesenkt

Statt dessen machten sich der Star-Architekt und Ehefrau Alice, die ihm 2019 auf die himmlischen Fairways vorausgegangen war, ans Werk, und senkten erst mal das Gelände unmittelbar an der Küste mit Hilfe des US-Army-Corps sowie unter enormem Einsatz von Bulldozern und Baggern auf einer Länge von 3,2 Kilometern ab.

Selbst im Winter wurde gearbeitet, weil die Maschinen auf dem gefrorenen Lake Michigan manövrieren und vom „Wasser“ her am Hochufer nagen konnten. „Wir haben zehn bis 15 Meter zu einer Art Terrasse rausgeschnitten, so dass der Eindruck entsteht, man spielt direkt am See“, schrieb Pete Dye.

Acht Löcher unmittelbar am Lake Michigan

Den steinigen Abtrag nutzte das kongeniale Paar als Untergrund bei der Modellierung der Konturen und warf dann 80.000 Kubikmeter Sand darüber. Alles in allem wurde 13.126 Lkw-Ladungen an Boden durch die Gegend gekarrt um eine dramatische Dünenlandschaft in Dyes unverwechselbarem Design zu kreieren, die opulente amerikanische Version der Links-Klassiker auf den britischen Inseln.

Nahezu die Hälfte von Whistling Straits – die Löcher 3 und 4, 7 und 8, 12 und 13 sowie 16 und 17 – verläuft unmittelbar entlang des neu geschaffenen Strands, der zudem die erosiven Auswirkungen des Wellenschlags lindert. Genau diese Potenzial hatte Pete Dye schon bei der allerersten Besichtigung des Geländes „förmlich umgehauen“.

„Salvador Dalí trifft Pablo Picasso“

Was wunder, dass andere das Ergebnis nicht minder umwerfend fanden. „Salvador-Dalí-trifft-Pablo-Picasso“ befand „Golf Digest“ b ei der Eröffnung 1998, der „Milwaukee Journal Sentinel“ pries die „atemberaubende Schönheit“ und „Golf.com“ bejubelt gar das „Wunder von Wisconsin“. Beim Anblick des Platzes im Licht der über dem Lake Michigan aufgehenden Sonne erscheint das allerdings kaum übertrieben.


„Loch-Spiel“: Der Platz im Detail

Pete Dye ist einem auch posthum noch sympathisch. Das Genie aus Ohio hatte es schon in den 1990er-Jahren satt, den Cracks dabei zuzuschauen, wie sie mit immer längeren Abschlägen – bedingt durch Athletik und Material – die Finessen des Platzdesign aus dem Spiel nahmen. „Wenn die jedes Ziel in Sichtweite treffen können, warum dann nicht die idealen Landepunkte einfach verstecken?“, dachte sich Dye und schritt – gesagt, getan – zur Gegenoffensive. Die Fachsprache nennt das, es in die Köpfe der Professionals zu schaffen: Seine komplexe Layouts erschüttern ihre Komfortzone, verunsichern, zermürben das mentale Gefüge. Golf wird bekanntlich zuvorderst zwischen den Ohren gespielt.

Es braucht Mumm und Mentalität

Whistling Straits ist die fulminante Klimax der Dye’schen Design-Philosophie. Mit mindestens halbblinden Abschlägen, diagonal versetzten Fairways, Hügeln und Tälern, Buckeln und Mulden avancierte der Architekt zum Albtraum für die Aktiven. Wo die Fairways sichtbar sind, hat er sie förmlich zwischen Hindernisse geklemmt; die meist deutlich besseren Landepunkt hingegen verstecken sich hinter Bunkerlippen oder Festuca-Fächern – außer Sichtweite halt. Es braucht Mumm und Mentalität, um ins Ungewisse zu hauen. Schon 20 Meter mehr oder weniger, weiter rechts oder links offenbaren völlig unterschiedliche Ausgangspositionen für den Annäherungsschlag.

„Egal, wohin du schaust und spielst – nur Ärger“

Das Herzstück von Whistling Straits sind die langen Par-vier 4, 8, 15 und 18 sowie ob ihrer Unterschiedlichkeit die Par-drei-Löcher 3, 7, 12 und 17 – allesamt direkt über dem Lake Michigan gelegen und letzteres ein 204-Meter-Test mit dem beziehungsreichen Namen „Pinched Nerve“, dessen Grün viel kleiner aussieht als es ist, weil eine von Dyes aberwitzig vielen Sandkuhlen das vordere Drittel kaschiert.

Apropos: Zu seiner geradezu inflationären Bunker-Bauerei hat sich Dye nie wirklich geäußert. Hie und da wurde ihm dekorativer Wahn oder kosmetischer Übermut vorgeworfen, doch die beste Erklärung fand Frank Nobilo. „Es ist halt Pete Dyes Art, zu verhindern, dass die Spieler den einfachsten Weg wählen“, hat der Neuseeländer als „Golf Channel“-TV-Experte mal gesagt: „Egal, wohin du schaust und spielst – nur Ärger.“

Eisen-Experten schlagen „ungerade“ ab

Jedenfalls: In den Foursomes werden definitiv die besten Eisenspieler beider Ryder-Cup-Teams auf den ungeraden Löchern abschlagen und den Driver-Draufgängern die geraden Bahnen überlassen.

Auf der Vier und auf der Acht müssen die Kombattanten sowohl extreme Hanglagen als auch signifikante Höhenunterschiede einkalkulieren – als wären halbblinde Abschläge und Fairway-Ziele vom Format eines Dielenläufers nicht schon Schwierigkeit genug. Und die 15 sowie die 18 gehören ohnehin zu den schwierigsten „Two-Shootern“ der Golfwelt.

„Dyeabolical“ als finale Kraftprobe

Die Schlussbahn heißt übrigens „Dyeabolical“: Völlig zurecht, wenn man weiß, dass das bizarr geformte, 471 Meter lange Dogleg-links mit seinen Mienenfeld an Bunkern auf dem direkten Spiellinie und dem mäandernden Sevenmile Creek vor dem Grün bei der PGA Championship 2015 lediglich einen Durchschnittsscore von 4,54 Schlägen erlaubte. Was für eine finale Kraftprobe mit dem kolossalen Kraftprotz Whistling Straits!

Whistling Straits Golf Course...

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