Sie grölen und pöbeln, bejubeln missglückte Schläge der Gäste und brüllen Schimpfworte in Richtung Europa: Selbst die US-Medien konstatieren den Fans in Hazeltine ein schlechtes Benehmen, wie es bislang in dieser Form beim Ryder Cup nicht vorgekommen sei. Unschöner Höhepunkt war gestern Nachmittag eine Schimpfattacke gegen Rory McIlroy. „Irgendwer machte ein paar abfällige Bemerkungen, die deutlich unter der Gürtellinie waren“, sagte ein empörter „Rors“, der stehen blieb, dem Mann scheinbar sogar an den Kragen wollte, dann aber die Ordner auf ihn aufmerksam machte und um seinen Rauswurf bat: „Die Fans hier sind generell nicht zimperlich, aber was ich da zu hören bekam, ging doch zu weit.“ Schon am Freitag hatte der Weltranglistendritte von einer „feindlichen Atmosphäre“ gesprochen, zudem war ein Zuschauer nach einer Tirade gegen Sergio Garcia bereits des Platzes verwiesen worden.
Obwohl Ryder-Cup-Offizielle das Publikum am ersten Abschlag um „Respekt gegenüber den Spielern beider Teams“ gebeten haben, erwarten die Europäer heute erst recht einen Hexenkessel. Kapitän Darren Clarke war dennoch um Deeskalation bemüht: „Es gibt immer ein, zwei Idioten. 99,99 Prozent aber sind bei allem Patriotismus sehr respektvoll.“ Und: „Rory wird von solchen Zwischenrufen eher inspiriert!“
„Bookies“ sehen nur sechs europäische Siege
Klare Sache: Dass die USA nach drei Pleiten in Folge wieder mal den Ryder Cup holt, ist für die Buchmacher in Las Vegas beschlossene Sache. Die Negativ-Quote für einen „roten Sieg“ steht bei 2:9, während ein erneutes europäisches Wunder mit 6:1 notiert wird. Bei den Einzeln sehen die „Bookies“ Rory McIlroy, Henrik Stenson, Thomas Pieters, Justin Rose und Sergio Garcia als klare Gewinner sowie Rafa Cabrera-Bello mit leichten Vorteilen, die restlichen Singles gehen klar an das US-Team. Damit stünde es am Ende 15,5:12,5 für die Gastgeber.
Darren Clarke: „Schon größere Rückstände aufgeholt“
Optimist: Darren Clarke ist davon überzeugt, „dass die Jungs das Ding heute drehen werden“. Es habe schon Teams gegeben, die größere Rückstände aufgeholt haben, sagte Europas Kapitän vor den Einzeln: „Auch wenn wir wirklich hart arbeiten und sehr, sehr gut spielen müssen.“ Deswegen bietet er seine Besten zu Beginn auf, um mit vier Siegen das vielzitierte Momentum wieder blau einzufärben. Ein zweites Medinah, als Europa 2012 die Amerikaner in den Einzeln noch überrollte, fürchtet US-Skipper Davis Love III, damals ebenfalls Teamchef, trotzdem nicht: „Wir nutzen diese Erfahrung zu unserem Vorteil.“ Er hat Clarkes Taktik erahnt und hält mit seinen Top-Leuten dagegen. Die Amerikaner brauchen fünf Siege, um den Ryder Cup zu gewinnen; Europa muss 7,5 Punkte einspielen, um die Trophäe zu behalten.
Lee Westwood und Martin Kaymer bei Ryder Cup 2016 in der Kritik
Medienschelte: Die Golf-Journaille hat sich auf Lee Westwood als europäische Schwachstelle eingeschossen. Vor allem die vergebenen kurzen Putts auf der 17 und auf der 18 werden angeprangert, womit der Engländer dem US-Duo J .B. Holmes/Ryan Moore den Sieg förmlich schenkte. Hinter Westwood steht auch Martin Kaymer nach seiner dritten Niederlage in der Kritik: „Kaymer und Westwood, zusammen bei fünf Niederlagen, hätten nicht für dieses Team ,gepickt‘ werden dürfen“, schreibt „Golf Digest“.
Rory McIlroy: „Pieters hat eine große Zukunft“
Erfolgsduo: Sie sind das neue Traumpaar des europäischen Ryder-Cup-Teams, Rory McIlroy und Thomas Pieters. Während „Rors“ mit seinen Leistungen und Emotionen genau die Rolle des Teamleaders erfüllt, die er sich selbst aufgegeben hat, verblüfft der 24-jährige Belgier mit einem Debüt, wie es selten eines gab. Als erster europäischer Rookie seit 1999 bestreitet Pieters alle fünf Partien. Abgeklärt und nervenstark spielt er sein Spiel und hat an der Seite von McIlroy drei Vierersiege eingefahren. Gemeinsam liegen die beiden in Hazeltine 22 unter Par. Dabei kommt das größte Lob vom Partner selbst: Kapitän Darren Clarke habe am Freitag Abend gefragt, ob er am Samstag erneut mit Pieters spielen wolle, erzählte McIlroy: „Natürlich wollte ich das, wer will nicht mit ihm spielen. Er ist jung, aber unglaublich talentiert und hat eine große Zukunft.“ Nicht mal trainiert haben die beiden für den klassischen Vierer, einigten sich am ersten Tee auf den gemeinsamen Ball, warfen eine Münze, wer zuerst abschlägt – und besiegten Mickelson/Fowler 4&2.
Brooks Koepka trifft Pieters‘ Vater
Selbst beim Ryder Cup gibt‘s noch Schläge, die man nicht erwartet: Beispielsweise den Drive von Brooks Koepka gestern Nachmittag auf Bahn 5, der ausgerechnet den Vater von Vierball-Gegner Thomas Pieters trifft. Jaak Pieters ist „inside the ropes“ und auf dem Weg zum Grün, als er vor dem heranfliegenden Ball von Koepka gewarnt wird und sich schützend abwendet. Die Kugel prallt vom Boden ab, springt in seinen Rücken und kommt am Tragegriff des Rucksacks zum Liegen. Koepka durfte natürlich droppen.
Patrick Reed ist „Captain America“
Er ist das US-Pendant von McIlroy/Pieters in einer Person: Patrick Reed. Der 26-jährige Texaner locht die unmöglichsten Bälle (siehe Video von seinem Eagle auf der Sechs), heizt das Publikum an und reißt auch den etwas schwächelnden Jordan Spieth mit. Der sagt über seinen Partner: „Pat ist unser ,Captain America‘.“ Dabei wollte Kapitän Davis Love III die beiden gestern im Vierball gar nicht einsetzen, nach dem vergebenen Sieg vom Vormittag. Doch Reed hatte gegenüber Vize-Teamchef Tiger Woods schon zuvor klar gestellt: „Ihr lasst mich bei keinem einzigen Match auf der Bank sitzen!“ Also plädierte Woods für den vierten Einsatz des Duos, Reed und Spieth dankten es mit dem Erfolg über Stenson/Rose.
Sangesfrohe Unterstützung für „Blau“
Zum Schluss: Sie nennen sich „The Guardians of the Cup“, sind stets sehr farbenfroh gekleidet und beweisen, dass Fans nicht unbedingt grölen müssen, um sich bemerkbar zu machen. Diese europäischen Fans tun das vielmehr musikalisch. Sie haben für jeden Spieler des blauen Teams einen bekannten Song ausgewählt und textlich auf ihn zugeschnitten: