Wir schreiben den Juni des Jahres 2014. Die Golfwelt befindet sich in Aufruhr. Tiger Woods, der das Spiel in den Jahren zuvor prägte wie kein Golfer vor ihm, schwand langsam von der Bildfläche - ein neuer König wurde gesucht. An der Spitze der Weltrangliste lag ein charmanter Sunnyboy aus Down Under: Adam Scott; das erste Majorturnier des Jahres gewann ein Autodidakt aus den Staaten: Bubba Watson; Experten priesen bereits Rory McIlroy als neuen Golf-Dominator, der zu diesem Zeitpunkt schon zweimal bei Majorturnieren gewonnen hatte und Traditionalisten glaubten an ein letztes Aufbäumen von Phil Mickelson.
Dann waren da noch zwei weitere Namen, die im Vorfeld des zweiten Majors des Jahres die Runde machten. Der eine, Jordan Spieth, wurde zum neuen Golden-Boy des amerikanischen Golfsports hochgejubelt, da er zwei Monate zuvor mit gerade einmal 20 Jahren die Zuschauer beim US Masters verzauberte und den Sieg nur knapp verpasste. Der andere, Martin Kaymer, triumphierte überraschend bei der einen Monat zuvor stattfinden Players Championship. Doch das dieser, unscheinbar wirkende deutsche Golfer - obwohl er bereits die Nummer eins der Welt gewesen war - seinen zweiten Majortitel gewinnen könnte, daran glaubte in der amerikanischen Golfsezene kaum jemand. Und schon gar nicht bei der US Open, dem Majorturnier, welches als das schwierigste gilt und im Jahr 2014 im traditionsreichen Pinehurst Resort stieg.
US Open: Pinehurst fordert alle - nur Martin Kaymer nicht
Pinehurst würde herausfordernd werden, das war allen Spielern bereits vor dem Turnier klar. Doch der Platz entpuppte sich bereits am ersten Tag als ein noch größeres Hindernis, als die Experten und Spieler im Vorfeld mutmaßten. Phil Mickelson startete ambitioniert und erspielte sich mit tollen Drives, noch besseren Annäherungen und in typischer Mickelson-Manier zahlreiche Birdiechancen. Doch an den brettharten Grüns in Pinehurst biss er sich die Zähne aus und musste nach seiner Even-Par-Runde konstatieren: "Ich spiele heute sehr gut, allerdings muss man hier jede Runde sehr gut spielen, um überhaupt rund um Par zu landen." Kein Satz beschrieb den weiteren Verlauf des Turniers besser als dieser.
Nur 15 Spieler gelang es in der Auftaktrunde unter Par zu bleiben. Unter ihnen: Jordan Spieth und neun weitere Spieler mit eins unter Par und eine Gruppe aus vier Spielern rund um Graeme McDowell bei zwei Schlägen unter Par. Doch fast alle Spieler klagten nach der Runde über teilweise arge Probleme auf den Grüns, nur einer nicht - und der lag bereits nach der ersten Runde souverän in Führung: Martin Kaymer. Er agierte mit seinem Wedge als wäre es ein Zauberstab. Legte seine Bälle mit beeindruckender Leichtigkeit butterweich neben den Löchern des gefürchteten Kurses ab und versenkte diese eiskalt und nahezu regungslos. Den Kommentatoren verschlug es die Sprache. Sobald Martin Kaymer im Bild war ertönte aus ihrem Mund nur noch ein einziges Wort: "Wow!". Denn tiefer als Martin Kaymer zum Auftakt schoss bei einer US Open in Pinehurst noch kein Spieler.
Martin Kaymer und Pinehurst - Eine Symbiose
Am zweiten Tag startete der damals 29-Jährige früh von Tee 10 und zeigte unter den gespannten Augen der Öffentlichkeit mit einem Birdie gleich zu Beginn: Martin Kaymer ist keine Eintagsfliege. Er ließ zwei weitere Birdies auf seiner Front Nine folgen und blieb auch bei zwei weiteren Schlaggewinnen auf seiner Back Nine fehlerfrei. Keiner seiner Konkurrenten konnte ihm nur annähernd das Wasser reichen. Nach zwei 65er Runden, gar zwei Tagesbestleistungen thronte Kaymer vor dem Wochenende einsam an der Spitze. In seiner für ihn typischerweise bescheidenden Manier spielte er seine Leistung herunter. "Wir werden sehen, wo ich am Ende des Tages stehe, hoffentlich liege ich weiterhin in Führung", sagte der Düsseldorfer.
Und wie er in Führung lag. Niemand kam auch nur ansatzweise so gut mit dem Kurs zurecht wie Kaymer. Brendon Todd drängte auf den zweiten Platz, lag aber mit vier Schlägen unter Par noch sechs Schläge hinter Kaymer. Einen solchen Vorsprung hatten zum selben Zeitpunkt einer US Open vor ihm nur zwei Spieler: Tiger Woods und Rory McIlroy.
Kaymer menschelt - doch seine Konkurrenz bleibt fern
Nur zwei Spielern gelang es am Moving Day unter Par zu bleiben: Rickie Fowler und Erik Compton. Und diese beiden Spieler waren es auch, die den Rückstand auf Kaymer verringerten. Mit Even Par gingen die beiden Amerikaner in die dritte Runde und verbesserten sich mit 67er Runden auf den geteilten zweiten Rang.
Und auch Kaymer offenbarte erstmals Schwächen. Er kämpfte sich durch die nadeligen Roughs in Pinehurst und musste erstmals signifikante Schlagverluste notierten. Doch seine fünf Bogeys und sein Birdie zum Abschluss versüßte er mit einem Kunststück auf Bahn 5. Wieder säbelte er seinen Abschlag in das trockene und mit Kiefernnadeln bedeckte Rough. Von dort aus nahm er Maß und nutzte seinen soliden Winkel aufs Grün, um den Ball sauber neben dem Loch abzulegen und den folgenden Putt zum Eagle zu versenken. Trotz seiner 72er Runde lag Kaymer am Ende des Tages fünf Schläge vor dem Rest - und ging als haushoher Favorit in das Finale der US Open 2014.
Kaymers Krönung am US-Vatertag
Wie es die Tradition will, fand auch dieses große Finale der US Open am amerikanischen Vatertag statt. Zahlreiche Golffans spannten ihre Kinder ein und strömten nach Pinehurst, um zu sehen, ob Martin Kaymer seinem dominanten Turnier die Krone aufsetzt oder seinen Namen in die lange Liste der Final-Kollapse bei Majorturnieren einreiht. Denn Major-Finaltage haben ihre ganz eigene Aura, die schon einige Spieler vor ihm in die Knie zwang. Doch Kaymer entschied sich dazu, von Anfang an keinen Zweifel daran aufkommen zu lassen, wer die US Open 2014 gewinnen würde. Voll fokussiert notierte er sein erstes Birdie bereits nach drei Bahnen. Eine kleine Unsicherheit auf Bahn 7, die in einem Bogey mündete, machte er mit einem schwierigen Birdie-Putt zwei Bahnen später wieder wett.
Sein Vorsprung war riesig - und seine Back Nine wurde zum Schaulauf. Denn keinem seiner Konkurrenten gelang eine ernsthafte Attacke auf den Deutschen. Pinehurst sorgte für Kaymer und wies das gesamte restliche Feld in die Schranken. Die 271 Schläge, die Martin Kaymer für die 72 Loch der US Open 2014 benötigte, waren der zweitniedrigste Score in der Geschichte des Turniers. Acht Schläge Vorsprung hatte er am Ende vor Erik Compton und Rickie Fowler, die auf dem geteilten zweiten Rang liegend die einzigen beiden Spieler außer Martin Kaymer waren, die das Turnier unter Par beendeten.
„Ich habe es bisher noch nicht erlebt, wie es sich anfühlt, wenn Tiger Woods mit sechs, sieben oder acht Schlägen Vorsprung gewinnt, aber ich stelle mir vor, dass es sich so anfühlt, wie Martin Kaymer in dieser Woche gespielt hat", verglich Jordan Spieth die Leistung des Siegers mit den Großtaten des einzigartigen Tiger Woods. Die gesamte Golf-Öffentlichkeit staunte. Kaymer schrieb mit seinem Erdrutschsieg Geschichte. Er selbst fand nichtsdestotrotz bodenständige Worte: "Es war ein großartiger Tag, eine großartige Woche. Ich möchte vor allem den Fans danken, sie waren sehr fair mir gegenüber", sprach Kaymer demütig nach seinem Triumph und fügte an: "Ich hoffe, ich konnte Bernhard Langer und ganz Deutschland mit diesem Sieg stolz machen."