Widerlegt: Zweiter ist erster Verlierer, sagt der Volksmund – aber der kannte den Ausgang dieses 86. Masters auch nicht. Während der tatsächliche Verlierer Cameron Smith (Platz T3/-5) in den Nachbetrachtungen des Finaltags fast unterging, war Rory McIlroy trotz des erneut verpassten Karriere Grand-Slam „auf diesem Golfplatz so glücklich wie nie zuvor“. Das lag zum Einen an dem sensationell aus dem rechten Grünbunker der 18 gelochten Birdie – das Mitspieler Collin Morikawa wenige Minuten später wiederholte –, aber vor allem am besten Masters-Abschneiden des Nordiren, der heuer zum 14. Mal im Augusta National angetreten war.
Schon beim Par-3-Contest hatte der 32-Jährige, mit Töchterchen Poppy auf dem Arm, das Gelände an der Washington Road als „ Ort, den ich sehr liebe“ bezeichnet – trotz all der Enttäuschungen in den vergangenen Jahren. Nun hat „Rors“ mit seiner Bogey-freien 64 (-8/-7 fürs Turnier) den Finalrunden-Rekord eingestellt und musste dennoch erneut zusehen, wie sich ein anderer später ins Green Jacket helfen ließ. Würde er in Augusta doch immer so spielen wie an diesem Sonntag, mag man denken, dann wäre das mit dem Karriere-Grand-Slam längst erledigt. Aber „es war halt nicht genug“, bilanzierte McIlroy und dachte dabei vor allem an die beiden 73er-Runden vom Donnerstag und vom Freitag, bevor er am Samstag mit einer 71 wenigstens mal unter Par spielte: „Die Führung von Scottie [Scheffler] war einfach zu groß. Und es ist ja nicht so, als ob bloß ich allein an den ersten beiden Tagen Probleme gehabt hätte, sondern letztlich jeder im Feld – außer Scottie halt.“
Only in golf will you see a fellow competitor celebrate your great golf shot. @collin_morikawa and @McIlroyRory both raising their arms in celebration gives me goose bumps. What an honorable sport. Proud to be part of this industry. @TheMasters pic.twitter.com/LXjvCxxShO
— Agustín Pizá (@arqpiza) April 10, 2022
Schefflers finaler Vier-Putt macht Wetter glücklich
Grund zur Freude: Mit vier Putts zum Schluss hat wahrscheinlich auch noch niemand das Masters gewonnen, oder? Nach seinem anfänglichen Gestochere gestern auf dem 18. Grün – erst aus zwölf, dann aus anderthalb Metern sowie aus 60 Zentimetern beim dritten Versuch – musste Scottie Scheffler selbst übers seine Nervosität kichern. Glücklicherweise hatte er genug Vorsprung auf Rory McIlroy. Während Caddie Ted Scott ein paar beruhigende Worte sprach, befand Kommentator Jim Nantz im der „CBS“-Reporterkabine: „Hat man so was schon erlebt? Ihn haben wohl die Gefühle übermannt.“
Before becoming Masters Champion, the patrons on the 18th green gave Scottie Scheffler one final boost of encouragement. pic.twitter.com/IVRrT8etof
— GOLF on CBS ⛳ (@GOLFonCBS) April 10, 2022
Doch schließlich verwandelte Scheffler den nunmehr vierten Putt zum Doppel-Bogey, zur 71er-Finalrunde sowie zum endgültigen Masters-Sieg – und irgendwo in den USA hatte noch jemand gut lachen. Denn „SirSissyHands“ hat offenkundig exakt auf den nunmehrigen Drei-Schläge-Vorsprung gewettet und dank Schefflers zittriger Hände aus 60 Dollar Einsatz 330 Dollar Gewinn gemacht. Dass es auch andersherum gehen kann, zeigt ein Beispiel im Zusammenhang mit Cameron Smith (siehe unten):
Caddie Ted Scott: Der Mann hinter Schefflers Erfolg
Entscheidender Anteil: Bei aller Begeisterung für Scottie Scheffler darf Ted Scott nicht vergessen werden. Der allseits respektierte und renommierte Caddie, der zehn Jahre seit dem ersten Erfolg von Bubba Watson in Augusta National gestern sein drittes Masters gewann, nachdem er im vergangenen November an Schefflers Tasche gewechselt war, hat nicht nur am Green Jacket des 25-Jährigen entscheidenden Anteil. Seit Scott mit von der Partie ist, verbuchte Scheffler binnen weniger Wochen drei Siege, stürmte dank des Erfolgs beim WGC – Match Play an die Spitze der Weltrangliste und behielt gestern im Augusta National bis zum Schluss die Ruhe, selbst wenn bei den finalen Putts auf dem 18. Grün ganz offensichtlich die Hände ziemlich flatterten. Diese Auflistung des Golf-Statistikers Justin Ray belegt deutlich, was gemeint ist:
Dabei wollte Scott, der selbst ein Handicap von +4 spielt, nach der Trennung von Watson – die beiden waren 15 Jahre ein „Paar“ – den Job als Looper eigentlich an den Nagel hängen und sich hauptberuflich als Golflehrer versuchen, was er seit seinem 27. Lebensjahr zwischendurch immer mal wieder im Amateurbereich getan hat. Doch dann rief Scheffler an und musste Scott versprechen, sein bis dato gelegentlich überschäumendes Temperament fürderhin zu zügeln. Als überdies noch Scotts Ehefrau und seine Kinder ihn ermunterten, war der Deal zwischen den beiden besiegelt, die überdies eine tiefe Gläubigkeit eint. „Ich kann ihn kaum genug loben“, sagt Scheffler über Scott: „Ted verkörpert alle Qualitäten, die du in einem Menschen suchst. Er ist ehrlich, bescheiden und fleißig; es tut einfach gut, ihn in der Nähe zu haben.“
Cam Smith: „Golden Bell“ als Schicksals-Glocke
Schräges Wortspiel: Sorry, aber „Golden Bell“ ist bei diesem 86. Masters einmal mehr zur „Begräbnis-Glocke“ für die Ambitionen eines Profis aufs Green Jacket geworden. Das Schicksal von Cameron Smith auf dem kurzen Par-3 mit den tückischen Scherwinden über den Baumwipfeln erinnerte fatal an den Kollaps von Jordan Spieth, der 2016 ebendort seine Ambitionen auf die Masters-Titelverteidigung in Rae’s Creek versenkte. Gestern zog der Mittelpunkt von Amen Corner auch Smith den Nerv; nach der Doppel-Par-6 war er erstmal komplett von der Rolle. Und als sich der 28-jährige Australier mit Birdies auf den Löchern 15 und 16 etwas zurück kämpfte, war es für einen neuerlichen Angriff auf Flightpartner und Spitzenreiter Scottie Scheffler längst zu spät. Sozusagen als Kolleralschaden ging damit auch ein Zocker leer aus, der tatsächlich 750 Dollar auf den Sieger Scheffler und Smith als Zweiten setzte und im Erfolgsfall 93.000 Dollar eingestrichen hätte.
Hatton: „Komme allenfalls als Caddie wieder“
Bittere Bilanz: „Vielleicht bin ich besser dran, wenn ich als Caddie hierher zurück komme und nicht versuche, Bälle zu schlagen“. So lautete Tyrrell Hattons Resümee dieses 86. Masters. Der gelegentlich wutnickelige Engländer hatte auch im August National mehrfach mit seinem hitzköpfigen Temperament zu kämpfen, bezeichnete Layout und Set-up des Platzes wahlweise als „total unfair“ oder „komplett übertrieben“, schlug die Ratschläge seines Caddie Mick Donaghy in den Wind (worauf er gestern an der Elf prompt zwei Bälle ins Wasser beförderte) und weiß auch sonst spätesten jetzt, wie man sich als Looper fühlt, weil er wegen Donaghys Knieproblemen einige Mal sein Bag selbst tragen musste. Nach Runde von 72, 74, 79 und schließlich 80 Schlägen wollte Hatton nur noch weg: „Ich bin froh, dass es vorbei ist.“ Wir schicken ihm eine kleine Auswahl seiner „besten“ Reaktionen hinterher:
⚾️ @TyrrellHatton getting in on the @MLB bat (or club) flip trend. pic.twitter.com/OMbBm9T6Oh
— PGA TOUR (@PGATOUR) October 17, 2020
Forgive me but I couldn’t resist seeing how Tyrrell Hatton reacted to his 8 at 13 yesterday. This was after shot 6. Have the anger management classes paid off? pic.twitter.com/Rw8JgENgWi
— Dave Tindall (@DaveTindallgolf) April 10, 2022
Hatton ?? Update pic.twitter.com/ml0TBWjkrP
— M@tier73 (@MMatier) April 10, 2022
Thomas sorgt für Aufsehen – auf der Range
From Hero to Zero: Justin Thomas ist als Mitfavorit in das 86. Masters gestartet und hat das Major als Kuriosum in den sozialen Netzwerken beendet. Nach einem Zwischenhoch am zweiten Tag brachte der PGA Champion von 2017 am Moving Day und am Finaltag jeweils nur eine Even-Par-Runde zustande, die ihn immerhin noch auf den geteilten achten Platz bugsierten. Für echtes Aufsehen am Wochenende indes sorgte „JT“ vor allem am Samstag Abend, als er auf der Driving Range aus Versehen zwei Bälle traf, sie aber glücklicherweise derart toppte, dass es nicht zu gefährlichen Querschlägern kam. Sehenswert ist auch die Reaktion von Caddie Jim „Bones“ Mackay.
Justin Thomas is one of us? pic.twitter.com/S9ABMsXfoN
— Mike Darnay (@MikeDarnay) April 10, 2022
5,15 Millionen Dollar für Tiger-Slam-Eisensatz
Preistreiber? Das Comeback von Tiger Woods beim Masters dürfte sich nicht nachteilig auf die Gebote ausgewirkt haben: Bei „Golden Age Auctions“ in den USA ist am Samstag der Hammer für einen Eisensatz gefallen, mit dem Woods Anfang des Jahrtausends den sogenannten Tiger-Slam gewonnen hat – US Open, Open Championship und Players Championship im Jahr 2000 sowie das Masters 2001, also alle vier Majors in Serie. Obwohl es leise Zweifel an dieser Legende gibt, gingen die Titleist-Schläger der Modellserie für sage und schreibe 5,15 Millionen Dollar an einen unbekannten Bieter. Der Verkäufer, ein Finanzmanager namens Todd Brock, hatte sie 2010 für etwas mehr als 57.000 Dollar erworben und darf sich nun über ein gelungenes Investment freuen.
Erste Spielerverpflichtungen für Saudi-Liga
Chronistenpflicht: Es gilt zu vermelden, dass Impresario Greg Norman für seine als LIV Golf Invitational Series verbrämte Saudi-Liga angeblich zwei ehemalige Weltranglisten-Erste und Ryder-Cup-Stars unter Vertrag genommen hat. Einer dürfte feststehen, nachdem der englische Veteran Lee Westwood (48) nie ein Hehl aus seiner Sympathie für ein großen Zahltag im Herbst seiner Golfkarriere gemacht hat – egal, wo das Geld herkommt. „Westy“, der beim Masters immerhin geteilter 14. wurde, zählt also zum „Kreis der Verdächtigen“. Und wer erfüllt die beiden Kriterien sonst noch? Justin Rose und der als Ryder-Cup-Kapitän für Rom 2023 gerade übergangene Luke Donald beispielsweise, sogar Martin Kaymer; aber auch die US-Stars Dustin Johnson und Brooks Koepka, die sich allerdings expressis verbis von den Saudis distanziert haben. Wir tippen an dieser Stelle mal auf den 41-jährigen Rose, für den es seit Jahren auf der PGA Tour nichts mehr zu gewinnen gibt, und der sich angesichts der vielköpfigen Konkurrenz auch nicht allzu viele Hoffnungen auf ein Amt als europäischer Teamchef für den Kontinentalwettbewerb mit den USA machen dürfte. Phil Mickelson war übrigens nie Branchenprimus …
Einfach nur herzerfrischend …
Zum Schluss: Wie könnte man ein Masters besser beschließen, als mit diesem in buchstäblicher wie in übertragener Hinsicht herzerfrischenden Satz von Nachwuchsgolferin Autumn Solesbee. Nach dem „Drive, Chip & Putt“ am vorvergangenen Sonntag gab die junge Dame mit dem schon zauberhaften Namen, die bei den sieben- bis neunjährige Mädchen gewonnen hat, in frühkindlicher Weisheit und mit genießerischem finalen Seufzer zu Protokoll, was eigentlich in Stein gemeißelt gehört und definitiv nicht übersetzt werden muss: