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US Open

Regelpleiten und das Evangelium nach Par: USGA ringt ums rechte Maß

21. Jun. 2018 von Michael F. Basche in Köln, Deutschland

Mike Davis, Chef des amerikanischen Golf Verbandes USGA. (Foto: Getty)

Mike Davis, Chef des amerikanischen Golf Verbandes USGA. (Foto: Getty)

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Die Hamptons an einem Sonntag im Juni: Über der Seeseite von Long Island, einer Art Sylt des amerikanischen Ostküsten-Establishments, treiben vereinzelte Wölkchen in einer lauen Brise, die Sonne erwärmt den Inselstreifen auf angenehme 22 Grad. Keine drei Kilometer vom Atlantik entfernt spielen 67 der weltbesten Golfer im ehrwürdigen Shinnecock Hills Golf Club eines der bedeutendsten Turniere auf dem Globus aus.

Finale gut, alles gut? Leider nicht

Am Ende verteidigt Brooks Koepka aus Florida seinen Titel, was 29 Jahre lang niemandem gelang – auch, weil dem Engländer Tommy Fleetwood drei Stunden zuvor auf dem 72. Loch ein paar Millimeter zum Birdie und zum späteren Play-off fehlten. Die 73 ist trotzdem Platzrekord und egalisiert die Turnierbestmarke. Eine spannende Finalrunde also, ein würdiger Sieger, dazu historische Ergebnisse: Herz, was willst du mehr, alles gut!

Leider nicht. Hinter den schönen Bildern eines tollen Schlusstags dieser 118. US Open stehen der veranstaltende amerikanische Verband USGA und sein Boss Mike Davis erneut mit runtergelassenen Hosen da, wie schon 2015 beim Ballyhoo um die Brokkoli-Grüns von Chambers Bay, dem Regel-Fiasko mit Dustin Johnson 2016 in Oakmont und der Schlammschlacht auf Erin Hills vergangenes Jahr. Ein „Moving Day“ mit grenzwertigen Spielbedingungen und die Schlitzohrigkeit des Philip Alfred Mickelson hatten genügt, alle Versprechungen von Shinnecock Hills als Insel der neuen US-Open-Seligkeit ad absurdum zu führen und den Verband einmal mehr als inkompetent und führungsschwach zu brandmarken.

Mickelson bedauert seine Regeldeformation

Dabei geht es nicht um unfaire Fahnenpositionen oder ein paar unspielbar ausgehärtete Grüns. Das sind lediglich Mosaiksteine des Gesichtsverlusts. Es geht ums große Ganze, um die grundsätzliche Systematik der US Open. Die USGA betet ihr Mantra vom „ultimativen Test im Golf“ und schert ohne rechtes Maß alles pauschal über diesen Kamm. Par ist das Evangelium, Wasserentzug, Radikalrasur und Rough in garstiger Wuchshöhe wie -dichte sind die Altargeräte dieses Hochamts. Wundervoll klug gestaltete Plätze wie Shinnecock Hills werden damit zu Karikaturen ihrer selbst. Wenn dann nur das geringste schief geht, mäandert der Verband zwischen Sturheit und Einsicht, knickt schließlich doch ein, hängt sein Fähnchen in den Wind und entschuldigt sich mal wieder eilfertig für ein „Bogey“ (Davis).

Die Schelte freilich kommt ebenfalls so sicher wie das Amen in der Kirche. Diese „seltsamen Wandlungen“, notierte Randall Mell für den „Golf Channel“, „symbolisieren den Wirrwarr bei der Suche nach einer angemessenen Identität.“ Und bei „Golf Digest“ verfasste Shane Ryan fast einen Nachruf: „Die USGA, Gott hab‘ sie selig, ist zum Experten für die Überhöhung des Selbstverständnisses geworden, das der Golfsport für sich entwickelt hat, und gibt ihn der puren Lächerlichkeit preis.“

„Davis und Co. würden selbst Weihnachten“ versauen

Dazu passt die Causa Mickelson und der Bückling vor dem Publikumsliebling, den andere für seine brachiale Deformation der Regeln disqualifiziert hätten. Der Verband jedoch ließ den fünffachen Majorsieger an seinem 48. Geburtstag mit zwei Strafschlägen davon kommen, und wiewohl Mickelson mittlerweile für „meine enttäuschende und peinliche Vorgehensweise“ öffentlich um Verzeihung bat: Das G‘schmäckle einer „Lex Lefty“ bleibt.

Der am sportlichen Geschehen unbeteiligte Professional William McGirt fasste sich via Twitter ganz kurz: „Ich weigere mich, das weiter anzuschauen. Mike Davis und sein Team würden sogar Weihnachten versauen.“

Shinnecock Hills war, so paradox das klingen mag, die perfekte Richtstätte fürs neuerliche USGA-Versagen. Das majestätische Ensemble vor den Toren von New York ist ein Kronjuwel in Amerikas Schatzkammer der Golfplätze. Unterhalb der Architektur-Ikone des Clubhauses erstrecken sich die 18 Bahnen in alle Himmelsrichtungen, nur zwei verlaufen parallel, und an jedem Ende lauern ebenso brillante wie tückische Grüns auf Bälle, die aus ungünstigen Winkeln oder unpräzise angespielt werden.

Shinnecock Hills belohnt schlaue Spieler

„Shinny“ verkörpert strategisches Design pur: voller „risk & reward“, natürlich und minimalistisch wie die großen Linkskurse auf den britischen Insel. William Flynns Meisterwerk belohnt schlaues Spiel, honoriert maßvolles Vorgehen und bestraft die so in Mode gekommene Kraftmeierei am Schläger. „Auf diesem Platz musst du an jedem Loch arbeiten und den Ballflug dauernd variieren, um die Bälle auf den Grüns zu halten“, gab Jordan Spieth im Vorfeld der US Open zu Protokoll. „Du kannst nicht einfach immer den gleichen Stiefel spielen, allein schon, weil man ständig aus anderer Richtung in den Wind schlägt. Shinnecock verlangt Nachdenken, man muss den Platz eher kunstvoll angehen.“

Bei derartigen Tugenden braucht es keine Besserwisser aus New Jersey, die dem Genius Loci rücksichtslos und unbelehrbar ihr Credo aufzwingen. Zumal die USGA vom eigenen Wetterbericht vor Temperaturen um 26 Grad und Windstärken von bis zu 32 km/h gewarnt worden war. Es kam wie es kommen musste, der Samstag geriet zum Sündenfall. Dass bei solcher Witterung der Zustand eines Platzes im Lauf von wenigen Stunden kippt, erst recht bei einem offenen Gelände wie Shinnecock Hills, liegt buchstäblich in der Natur der Sache. Darüber hat sich zurecht niemand beschwert. Wind ist unaufhaltsam, Golf ist nun mal ein Outdoor-Spiel.

Allerdings erschließt sich jedem Narren, der halbwegs mit den vorherrschenden Gegebenheiten vertraut ist, dass horrende Stimpmeter-Werte auf Kuppel- oder Plateaugrüns à la Shinnecock Hills schierer Unfug sind. Aus brutal geschorenen Grüns wurden Tanzböden, über viel zu kurz gemähte Ränder und Umgebungen rollten die serienweise abgeworfenen Bälle nicht selten ins Nirgendwo.

„Sie haben den Platz verloren“

Die US Open erlebte an diesem Samstag eigentlich zwei Turniere. Morgens gab‘s moderate 73,6 Schläge im Schnitt, immer noch klar über Par und damit einer US Open durchaus angemessen, während sich der nachmittägliche golferische Überlebenskampf an einem Durchschnittsscore von 77 ablesen lässt. „Ich habe noch nie erlebt, dass sich ein Platz so schnell verändert“, staunte Justin Rose. Genau diese Wettbewerbsverzerrung hatte die USGA mit ihrem Set-up, mit der „Manipulation von Shinnecock Hills“ („Golf Channel“) begünstigt. Zach Johnson monierte: „Sie haben den Platz verloren!“

Ja, das Rough darf ruhig etwas höher wachsen, das Gras etwas kürzer geschnitten sein, doch die USGA mit ihrer Hybris vom ultimativen Test rasiert hier und lässt dort wuchern, mag sich nicht auf die selektive Wirkweise eines guten Platzdesigns verlassen. In Wahrheit ist das die Wurzel allen US-Open-Übels. Mike Davis und Co. huldigen dem Evangelium nach Par und haben Albträume, weil Brooks Koepka 2017 mit -16 gewann. Obwohl der Platzstandard – eh eine willkürliche Grundlage – als Maß aller (Ergebnis-)Dinge im Profi-Zirkus längst obsolet geworden ist.

US-Open-Anspruch vs. Material-Entwicklung

Unsereiner hat gelernt, dass ein Par 4 bei 229 Metern beginnt und bei 450 Metern endet. Bei der US Open 2016 hatte Oakmonts Par-3-Acht eine Länge von 273 Metern. Und das längste Par 4 auf der PGA Tour ist Bahn drei im texanischen TPC Four Seasons Resort mit 483 Metern. Derartige Distanzen sind natürlich der Entwicklung von Mensch und Material geschuldet. „Golf-Channel“-Kollege Mell merkte an, dass die traditionelle Kriterien für eine US Open mittlerweile „möglicherweise zu hoch sind und Par angesichts heutiger Athletik, hochwissenschaftlichem Training und Weltraumtechnik bei Drivern, Schäften und Bällen nur noch mit Trickserei zu schützen ist“.

Ohnehin scheint es, als wären viele der modernen Professionals nur bedingt in der Lage, ihre „Hau-drauf-und-Schluss“-Mentalität, den Serve-&-Volley“-Spielmodus mit Hölzern oder langen Eisen und Wedges, einem intelligenten Strategieplatz anzupassen. So, wie es auf Shinnecock Hills etwa Dustin Johnson getan hat, und wie‘s für die anstehenden Open Championship in Carnoustie gleichfalls vonnöten sein wird.

„Respektlosigkeit gegenüber dem Spiel“

Darüber sollten die USGA und auch der R&A – beim Herumdoktern am Old Course zum Beispiel – als Gralshüter des Golfsports nachdenken und ihre Glaubensbekenntnisse neu aufsetzen, statt auf Teufel komm raus in beinahe frömmlerischem Eifer an Designelementen herum zu schrauben und das Set-up zu „pimpen“. Was im Übrigen nicht bloß Scott Piercy als „Respektlosigkeit gegenüber solchen historischen Plätzen, den Spielern und dem Spiel insgesamt“ empfindet.

Vielleicht wäre es tatsächlich ratsam, das Set-up von wechselnden Major-Schauplätzen generell jenen Experten zu überlassen, die allwöchentlich der PGA und der European Tour den Boden bereiten. Oder direkt der jeweiligen lokalen Crew, die Tag für Tag vor Ort das Gras wachsen hört. „Ich weiß, die USGA ist vermutlich zu stolz, sich das nehmen zu lassen“, sagte Brandt Snedeker. „Aber warum vertraut man nicht den Leuten, die den Platz permanent in Arbeit haben? Sie wissen genau, bis wohin man ihn ausreizen kann, ohne dass es zu Albernheiten kommt.“

Und last but not least: Was ist eigentlich so schlimm daran, wenn deutlich tief gescort wird? Hauptsache, die Bedingungen sind für alle Spieler gleichermaßen fair! Par ist schließlich bloß eine Zahl…

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