Die menschliche „Gabe“ der Prokrastination, der Aufschieberitis, mündet in eine ultimative Erkenntnis: Nichts ist beständiger als das Provisorium. Damit lässt sich alles beschreiben, was mal vorübergehend akzeptiert wurde und längst in einen endgültigen Zustand gebracht werden sollte: zugestellte Keller, blanke Glühbirnen, rahmenlose Bilder an der Wand oder Schwebezustände in Freundschaften und Beziehungen, die dringend einer endgültigen Aussprache bedürfen.
Die Beständigkeit des Provisoriums
Die Situation im Profigolf der Herren erinnert fatal, an besagte Beständigkeit des Provisoriums. Die Spaltung in der Beletage des Spiels wird vom Golf-Establishment seit geraumer Zeit zur vorübergehenden Uneinigkeit erklärt. Doch die LIV Golf League, die sich ohnehin nie als Provisorium verstanden hat, wirkt derzeit dauerhafter denn je.
LIV-Impresario Greg Norman spuckt wieder mal große Töne, schwadroniert von eigenen Golfplätzen als permanenten Schaubühnen für „Golf. But Louder“ sowie als Heimspielstätten der jeweiligen Teams und rekrutiert zuhauf frisches Führungspersonal, zuletzt den ehemaligen Koffeinbrause-Topmanager Adam Harter als Chief Marketing Officer, der ab sofort für „die Entwicklung der Marken der Liga und der Teams und für die Vergrößerung der weltweiten Fangemeinde“ zuständig sein soll. So steht es in der Jobbeschreibung. Alles deutet darauf hin, dass sich LIV für eine Zukunft wappnet, die über das Jahr 2025 hinausläuft.
„Unser Produkt wird von vielen mit offenen Armen empfangen, aber einige wenige versuchen, uns aus den falschen Gründen zu stoppen. Sie selbst aber haben es nicht geschafft, ihre Position im Golfsport zu verteidigen. Was wir auf brillante Weise getan haben, ist, mehr Kapital zuzuführen. Golf wird endlich als Wertanlage betrachtet.“
Greg Norman beim TV-Sender „Bloomberg“
Für die hochtrabenden Träume von eigenen Arenen freilich hat LIV selbst auf absehbare Zeit nicht die Mittel. Dafür braucht’s externe Investoren; und der Mann mit dem Geld sitzt nach wie vor in Saudi-Arabien, heißt Yasir Al-Rumayyan und verfügt als Wirtschaftswesir des Kronprinzen Mohammed bin Salman über die Milliarden und Abermilliarden des staatlichen Public Investment Fund, kurz PIF, oder des Erdöl-Dukatenesels Aramco.
„Ich weiß nicht, ob wir uns näher gekommen sind“
Besagter Yasir Al-Rumayyan sollte und wollte auch eigentlich als erster Partner der PGA Tour und Großinvestor mit Minderheitsanteil ins neue kommerzielle Konstrukt namens PGA Tour Enterprises einsteigen, das künftig den Elitelevel des Sportbetriebs vermarktet. Doch hinsichtlich der entsprechenden Verhandlungen dringt nichts Neues nach außen, seit Al-Rumayyan bei Tiger Woods, dem heimlichen Herrscher der bekannten Golfwelt, vorsprechen und auf den Bahamas seine Vorstellungen für den vom PIF befeuerten Golfsport der Zukunft vorstellen durfte.
Woods nannte die Begegnung hernach „ein für beide Seiten sehr positives Meeting“, gab aber auch zu Protokoll: „Ich weiß nicht, ob wir uns näher gekommen sind, aber wir gehen auf jeden Fall in die richtige Richtung.“ Wirklich prospektiv klingt das nicht, und seither herrscht eh Totenstille. Dabei wollte man ursprünglich mit Stichtag 31. Dezember 2023 und dann spätestens vor dem Masters im April zu einem Ergebnis gekommen sein, wie immer das ausfallen mag.
Woods im neuen Verhandlungsausschuss
Wenigstens wurde bekannt, dass Woods ursprünglich als einziger aktiver Spieler dem sogenannten Verhandlungsausschuss angehört, der sich aus dem Vorstand von PGA Tour Enterprises gebildet hat und die Gespräche mit dem PIF quasi als Daily Business vorantreiben soll. Zu diesem Vorstandsunterausschuss gehören neben dem 15-fachen Majorsieger noch der CEO von PGA Tour Enterprises und PGA-Tour Commissioner Jay Monahan sowie die Vorstandsmitglieder Joe Gorder, der auch im Policy Board der Tour sitzt, John W. Henry, Frontmann der Strategic Sports Group, und Joe Ogilvie, Ex-Profi und Verbindungsoffizier für Spielerangelegenheiten. Im Nachhinein wurden jetzt auch Rory McIlroy und Adam Scott in die Delegation berufen.
Früher Player Impact Program, jetzt Treueprämie
Derweil fällt der durch die Partnerschaft mit dem US-Sportbusiness-Konsortum Strategic Sports Group (SSG) zu neuer Liquidität gekommenen PGA Tour mal wieder nichts anderes ein, als mit dem frischen Zaster um sich zu werfen. Früher hieß es Player Impact Program, diesmal Loyalitätskompensation, oder kurz Treueprämie: 100 Millionen Dollar für Tiger Woods, 50 für Rory McIlroy und so weiter. 930 Millionen der ersten SSG-Finanzspritze von 1,5 Milliarden Dollar werden nach einem bestimmten Schlüssel verteilt.
Natürlich wehrt sich keiner der Begünstigten gegen den zusätzlichen warmen Regen, doch McIlroy immerhin reagierte etwas gallig: „Ich glaube, das Einzige, was wir in den vergangenen zwei Jahren im Golfsport gelernt haben, ist die Erkenntnis, dass es nie genug sein kann.“
Widerstand gegen McIlroys Rückkehr ins Policy Board
Angesichts solcher Aussagen verwundert es wenig, dass die angebotene Rückkehr ins Policy Board der PGA Tour bei den ehemaligen Kollegen auf wenig Gegenliebe stößt. Wer will schon eine solche „Spaßbremse“. Dem Vernehmen nach haben sich zuvorderst Woods, McIlroy-Nachfolger Jordan Spieth und Patrick Cantlay gegen einen Platztausch des neuerdings 35-Jährigen mit Webb Simpson ausgesprochen. Das verwundert vor allem bei Woods, doch über die Beweggründe demnächst mehr.
Dass McIlroy der einzige war, der in der Vergangenheit als Stimme des Systems und Wortführer des Widerstands gegen die LIV Golf League in der Öffentlichkeit seinen Kopf hingehalten und seinen sportlichen Fokus zur Disposition gestellt hat, interessiert in der Schnelllebigkeit des Sportgeschäfts herzlich wenig. Auf Loyalität und Wertschätzung hoffen nur Idealisten wie „Rors“, der dachte, er könne in der aktuellen Situation der Verhandlungen zwischen PGA Tour und LIV „irgendwie hilfreich sein“. Genau deswegen wurde der vierfache Majorsieger immerhin wohl in besagten Verhandlungsausschuss berufen, sicherlich auch als Trostpflästerchen für den vom Policy Board Verschmähten.
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Der Korpsgeist von Wilmington scheint verflogen
Die Ablehnung wirft andererseits ein bezeichnendes Licht auf die ausgerechnet vom Nordiren beschworene Einigkeit der Spieler, die doch keine lediglich auf den eigenen Vorteil bedachten Einzelunternehmer mehr sein wollten. Der Korpsgeist, den McIlroy nach dem Geheimtreffen von Wilmington 2022im Vorfeld der BMW Championship ausgemacht haben wollte, scheint verflogen zu sein.
Nicht zuletzt, weil die PGA Tour, namentlich ihr Commissioner Jay Monahan, dieses Momentum konzept- und aktionslos verstreichen ließ und stattdessen unverdrossen dieselben Fehler fortführt: Er füttert die Egomanie mit immer neuen Bonussystemen und pampert eh saturierte Stars mit den Millionen, die der Glücksfall SSG ihm in die Kassen gespült hat – statt Perspektiven und ein attraktives Turnierangebot zu schaffen, das die in Scharen davonlaufenden Fans wieder vor die Fernsehschirme lockt. Der Negativtrend bei den TV-Raten dürfte sich an diesem Wochenende bei der Wells Fargo Championship fortsetzen – Signature Event hin oder her.
„Den Fans ist das Geld letztlich egal. Unabhängig von der Sportart wollen wir alle von Menschen unterhalten werden, die unbedingt gewinnen wollen und es hassen zu verlieren. Für beides muss es Konsequenzen geben. Doch im Golf gibt es viele Akteure, die ein Stück vom Kuchen abhaben wollen, aber kein Interesse daran haben, ihn zu backen. Und die schon gar kein Interesse dafür aufbringen, was der Fan eigentlich will.“
Das Portal „MyGolfSpy“ zur den im Sinkflug befindlichen Golf-Einschaltquoten
Man kann gegen Greg Norman alles Mögliche vorbringen: Narzissmus, Brandstifterei und so weiter. Aber „The Great White Shark“ aus Australien setzt als Ergebnis seiner Weltliga-Hybris um, was Vordenker wie McIlroy oder etwa der einstige DP-World-Tour-Chef Keith Pelley ebenfalls längst erkannt und gefordert haben: dass die PGA Tour endlich die vernachlässigten Märkte in Australien und in Asien mit voller Star-Power ins Visier nimmt. Das LIV-Gastspiel im australischen Adelaide wollten heuer über 90.000 Fans sehen – was zu beweisen war.
PGA Tour verschläft nächste Stufe der globalen Golfentwicklung
Und Norman gibt die Richtung vor, wenn er bei „Bloomberg TV“ erzählt: „Die Philippinen sind beispielsweise sehr daran interessiert, dass wir dorthin kommen. Dem Golfsport auf den Philippinen geht es sehr gut. Wir sind nicht nur Sport, wir sind Sport, Unterhaltung und Kultur. Egal, wo wir in der Welt hingehen: Wir müssen uns dem anpassen, was jeweils in punkto Unterhaltung erwartet wird.“ Da stellt sich umgehend die Frage: Wo ist das globale Konzept der PGA Tour? In Ponte Vedra Beach ist man kurz davor, auch die nächste Stufe der globalen Golfentwicklung zu verschlafen.
Ganz abgesehen davon wäre es ein riskantes Spiel von Monahan und Co., sich allein auf die neue Partnerschaft mit der SSG und auf deren Einlage von insgesamt drei Milliarden Dollar zu verlassen. PIF-Chef Al-Rumayyan hat – siehe die Abwerbung von Jon Rahm – schon einmal sehr deutlich bewiesen, dass er sich nicht vorführen oder düpieren lässt. Koste es, was es wolle. McIlroy ist der Einzige, der das eingesehen hat und mahnt, dass man sich jemanden mit solchen finanziellen Möglichkeiten nicht zum Feind machen sollte.