Für Paul Casey begann das Jahr 2021 sportlich herausragend. Der Sieg im Januar auf der European Tour in Dubai war sein 20. als Profi – eine besondere Marke für den fünfmaligen Ryder-Cup-Spieler. Den guten Ergebnissen zum Jahresauftakt folgte eine Saison voller Höhepunkte: vier Majors, die Porsche European Open als Titelverteidiger, Olympische Spiele in Tokio und der Ryder Cup in den USA. Im Interview mit dem Porsche Newsroom spricht der 44-jährige Engländer über dieses besondere Jahr, den Frust nach verpassten Erfolgen, den Einfluss der Fans, mentale Gesundheit im Sport und er erklärt, warum ihm seine Rolle als Porsche-Markenbotschafter so viel bedeutet.
Paul, ein Jahr mit vielen großen Golf-Events geht zu Ende. Sie hatten das Glück, bei allen Höhepunkten dabei zu sein. Vier Majors, Olympia, der Ryder Cup, dazu ihr Auftritt bei den Porsche European Open. Was nehmen Sie mit aus 2021?
Wir Sportler suchen immer den Erfolg, Siege und Titel. Aber wenn ich jetzt zurückschaue, sind da die Olympischen Spiele in Tokio und der Ryder Cup in Whistling Straits – zwei Events, in denen ich keinen Erfolg hatte. Dennoch waren es unglaubliche Erfahrungen. Leider konnte ich auch meinen Titel bei den Porsche European Open nicht verteidigen. Aber wissen Sie was? Es ändert nichts daran, dass das alles Höhepunkte für mich sind. Und teilweise überstrahlen diese Ereignisse sogar meinen Sieg in Dubai zu Beginn des Jahres auf der European Tour.
Wie kommt das?
Es geht dabei offensichtlich nicht um den sportlichen Erfolg. Doch die Erinnerungen, die bleiben werden, zählen eben auch. Das ist im Sport wie im Leben, manche Erfahrungen sind unersetzlich: Der erste Abschlag im Ryder Cup, die Eröffnungsfeiern im Ryder Cup und bei Olympia. Was das mit einem macht – das ist für Außenstehenden schwierig zu erklären. Die Tatsache, dass ich für mein Land antreten durfte bei Olympia, was überhaupt nur alle vier Jahre möglich sind, bedeutet mir sehr viel und war ein lebenslanger Traum. Und Padraig Harrington als Ryder-Cup-Captain zu erleben, war eine Ehre. Für mich war er der beste Kapitän, den ich je hatte. Das klingt mutig, wenn man bedenkt, dass wir noch nie so hoch verloren haben wie dieses Jahr. Aber es ist so. Bezogen auf den Mannschaftsgeist war es das beste Team, in dem ich je dabei war. Ergebnisse sind wichtig, aber diesmal war das US-Team eben phänomenal. So bleibt ein Jahr mit weniger Titeln als erhofft, aber voll mit grandiosen Erinnerungen und Höhepunkten abseits der Jagd nach Pokalen.
Ist die Wertschätzung für derartige Erfahrungen abseits der Ergebnislisten im Laufe der Karriere gestiegen?
Einerseits sicherlich ja. Aber verstehen Sie mich nicht falsch: Verlieren tut immer noch genauso weh. Sogar mehr, weil die Möglichkeiten mit dem Alter ja auch weniger werden. Es geht um die Balance. Bei den Olympischen Spielen habe ich im Stechen um Bronze den Kürzeren gezogen und wurde Vierter. Das hat mich unglaublich frustriert. Auch die Niederlage mit Europa gegen die USA im Ryder Cup war schmerzhaft. Als ich jung war, war ich einfach wütend. Jetzt ärgere ich mich über das Ergebnis und zusätzlich den Fakt, dass ich nicht mehr so viele Chancen habe. Aber es gibt eben auch die Reflektion, das Wissen um die Tatsache, dass ich das alles dennoch genießen sollte.
Was sicher nicht nach Zurücklehnen klingen soll.
Nein, ganz und gar nicht! Aber Golf ist eben auch ein Sport, in dem es keine Dauersieger gibt. Die Titelrennen sind immer sehr offen. Ein Golfer, der fünf bis sieben Prozent seiner Turniere gewinnt, ist ja beinahe ein Athlet für die Hall of Fame. Das heißt aber auch: Dieser große Golfer gewinnt bis zu 95 Prozent seiner Turniere nicht. Und gewinnst Du zehn Prozent, gehörst Du zu den fünf Besten der Geschichte. Aber das macht den Golfsport ja so großartig.
Was begeistert Sie an Ihrem Beruf nach mehr als zwei Jahrzehnten auf der Tour?
Die Atmosphäre, die Fans bei einem Turnier schaffen können. Golf ohne Fans ist eine hohle Version des Golfsports. Es ist schließlich Unterhaltung. Manchmal fühle ich mich, als würde ich als Profigolfer eine Show zeigen. Verschiedene Golf-Events haben verschiedene Golf-Gefühle. Das ist sehr besonders. Aber dafür müssen Leute auf der anderen Seite der Begrenzungen stehen. Ohne Zuschauer hat es sich nicht richtig angefühlt. Dass sie zurück sind, ist unglaublich. Und die Fans sind tatsächlich lauter als sie jemals waren. Ich mag das. Und mein Golfspiel ist auch besser mit Fans. Ich profitiere vom Druck und vom Adrenalin.
Bei den Porsche European Open kehrten die Zuschauer nach rund 20 Monaten erstmals in Europa wieder zurück auf einen Turnierkurs. Wie haben Sie das Event erlebt?
Natürlich war es schade, dass ich meinen Titel nicht verteidigen konnte. Aber ich ziehe meinen Hut vor allen Beteiligten, die dieses Turnier in dieser schwierigen Phase überhaupt möglich gemacht haben. Und es war brillant, dass auch Zuschauer dabei sein konnten. Ich hätte aber noch mehr gebraucht (lacht). So hat es am Ende nicht ganz gereicht. Der erste Tag war einfach nicht gut genug. Aber das ist eben Golf, die kleinen Details, die man auch nicht erklären kann. In Hamburg habe ich etwas langsam begonnen, wie so oft, wenn wir nicht die volle Anzahl an Fans hatten. Ich spiele besser unter Druck. Und der Porsche Nord Course ist ein schwieriger Test. Wenn Du hier nur ein klein bisschen Konzentration verlierst, folgen schwerwiegende Fehler. Ich hoffe, dass die Bedingungen im kommenden Juni viele Zuschauer und auch mehr Interaktion mit anderen Porsche-Liebhabern ermöglichen, und freue mich schon jetzt auf die unglaubliche Atmosphäre. Die Porsche European Open werden jedes Jahr besser hier. Und ich habe das Gefühl, noch nicht ganz fertig zu sein mit dem Turnier. Ich will auf diesem herausfordernden Kurs, den ich sehr mag, unglaublich gerne noch einmal gewinnen.
Was haben Sie dieses Jahr gelernt?
Der Anfang des Jahres war sehr gut. Doch das Niveau konnte ich nicht halten. Ich hatte zu wenig Zeit zwischen den Turnieren, um am Spiel zu arbeiten und neue Energie zu sammeln – für den Körper und den Kopf. Ich habe also gelernt, dass ich meinen Turnierkalender besser planen muss. Was ich aber auch erfahren habe: Die Motivation ist weiter da. Je älter ich werde, desto entschlossener bin ich, die jungen Golfer zu schlagen. Ich habe diese Saison schon angefangen, Pläne zu schmieden, weil ich mir gesagt hatte, es ist nicht gut genug. Ich habe mir Ziele und Ideen für 2022 in mein Yardage Book geschrieben. Das ist ein gutes Zeichen. Wenn die Leistung schwinden würde und die Motivation nicht da wäre, um zurückzuschlagen – das wäre enttäuschend. Aber bei mir war es andersherum. Ich bin glücklich darüber, dass ich mich auf die kommenden Jahre freue. Was auch daran liegt, dass ich als Porsche-Markenbotschafter wieder auf einmalige Erlebnisse hoffe.
Wie hat diese Rolle Ihr Jahr 2021 geprägt?
Ich habe dadurch einige Zeit abseits des Golfplatzes verbracht mit Dingen, die ich liebe. Das hat das Jahr wirklich besonders gemacht. Eine der besten Erfahrungen dabei war das Goodwood Festival of Speed und dabei speziell der Hillclimb, ein derartig historisches Event. Und dann sitze ich auf dem Beifahrersitz eines Cayenne Turbo GT auf einer sehr glitschigen Hillclimb-Strecke – wenn es um diese Erfahrungen geht, muss ich mich wirklich kneifen und fragen: „Wie cool ist das denn?!“ Und vielleicht sitze ich dort ja irgendwann – wenn sich meine Golfer-Karriere dem Ende neigt – auf dem Fahrersitz, weil ich dann sowieso mehr Zeit hinterm Lenkrad verbringen will. Ja, das gehört sicher zu meinen großen Höhepunkten überhaupt in diesem Jahr. Teil der Porsche-Familie zu sein, als Porsche-Markenbotschafter unterwegs zu sein, das ist für mich persönlich immer eine unglaubliche Zeit. Und ich habe schon Pläne für 2022, die ich gerne mit Porsche angehen würde.
Verraten Sie uns diese Pläne?
Es gibt etwas, das mir sehr viel Angst macht. Aber ich finde es auch unglaublich faszinierend: Einmal die Nordschleife am Nürburgring an der Seite von Werksfahrer Kevin Estre. Es wäre sehr schlimm und gleichzeitig unglaublich großartig (lacht). Ich würde auch gerne mal in Le Mans dabei sein. Grundsätzlich hätte ich sehr viel Lust auf Motorsport. Das liegt so in der DNA von Porsche, die Autos gehören auf die Rennstrecke.
Ihr Caddie John McLaren wird im kommenden Jahr eine Auszeit nehmen wegen psychischer Herausforderungen durch die Pandemie. Dafür haben Sie ihn zu Recht als sehr mutig bezeichnet. Was beeindruckt Sie besonders?
Johnny wird ab März eine sechsmonatige Pause einlegen. Er ist mental erschöpft und wird nun zuhause mit seiner Familie die Akkus aufladen. Ich applaudiere ihm, dass er nach 30 Jahren in dem Job und der Herausforderung Corona so ehrlich ist und für sich sieht, dass ihm beispielsweise der Stress, wenn er am Sonntag nach einem Turnier auf ein Testergebnis warten muss, um dann eventuell nicht zu seiner Familie fliegen zu können, zu viel ist. Johnny hat nun gesagt, was ihn beschäftigt und ich finde das super. Ehrlichkeit ist in unserem Job keine Selbstverständlichkeit. Auf der Tour ist so etwas immer noch selten. Viele Spieler und Caddies sind auf uns zugekommen, haben ihn beglückwünscht und gefragt, ob sie mit ihm reden dürften. Weil auch sie Probleme haben. Das ist besorgniserregend, das habe ich nicht erwartet.
Kann dieser Schritt einen Wandel bewirken?
Ich hoffe es. Die Entscheidung zeigt, dass wir darüber reden sollten und es kein Zeichen von Schwäche ist, wenn wir das tun. Sportler haben oft ein Problem mit Schwäche. Für viele gelten Sportstars immer noch als starke Helden, die unter Druck brillieren und denen nichts etwas anhaben kann. Aber das ist so weit weg von der Wahrheit. Das Einzige, was uns unterscheidet: Wir sind eben gut in einem Sport. Diese Erkenntnis hilft. Und sie gilt ja auch in anderen Sportarten, in denen der Druck gefühlt noch viel höher ist. Wenn Sie an die mentale Stärke denken, die ein Fußballspieler haben muss, wenn er bei einer WM einen Elfmeter vergibt. Ich stelle mir diesen Stress brutal vor.
(Text: Porsche)