Vor einigen Jahren hat der Golflehrer Butch Harmon seinem damaligen Schützling Rickie Fowler mal die Gretchenfrage gestellt, ob dieser „ein Kardashian oder ein Golf-Professional“ sein wolle? Er stellte den Kalifornier vor die Wahl zwischen Posterboy in den Medien oder auf sportlichen Erfolg fokussiertem Athleten: „Entscheide Dich!“ Muss Fowler nicht mehr. Dank der PGA Tour und ihrem „Player Impact Program“ (PIP) verdient er womöglich heuer durch das öffentliche Interesse an seiner Formschwäche und eventuelle Auswirkungen auf die heimische Idylle mit Ehefrau Allison Stokke mehr Geld als auf dem Platz. „Schöne“ neue Golfwelt.
Weitere Möglichkeit, saturierte Stars zu pampern
Seit Januar schon arbeitet die neueste „Money Making Machine“ im Hintergrund des Tour-Geschehens, wie Eamon Lynch von „Golfweek“ vergangene Woche als Erster offenbart hat: Mit einer Popularitäts-Prämie sollen ohnehin saturierte Stars noch mehr gepampert werden. Gemessen werden Strahlkraft in der digitalen Welt sowie Einfluss auf Fans wie Sponsoren, etwa anhand der Google-Suchanfragen oder des Nielsen-Werts, der Bildschirm-Präsenz in Werbewert umrechnet. Dazu kommen diverse Algorithmen für die Validierung der Social-Media-Resonanz. Am Jahresende gibt‘s ein Ranking des „Impact Score“ und 40 Millionen Dollar für die besten Zehn, acht Millionen allein für den Quoten-König. So weit, so schlecht.
Am Ende gewinnt eh Tiger Woods auf Krücken
Man muss kein ewig Gestriger sein, um anzumerken, dass üblicherweise derjenige das meiste Geld bekommen sollte, der den niedrigsten Score auf der Karte hat. Und dass dafür der Zaster eh schubkarrenweise bereit steht, siehe bloß FedEx-Cup oder Wyndham Reward Top 10. Dass es einmal mehr nur die „üblichen Verdächtigen“ sind, die „Big Players“, die längst im Geld schwimmen, und am Ende sowieso Tiger Woods gewinnt, selbst auf Krücken, weil er Interesse generiert wie kein anderer.
Bei einem entsprechenden Testlauf auf Basis der 2020er-Relevanz ergab sich folgende Reihenfolge: Woods, Rory McIlroy, Brooks Koepka, Phil Mickelson, Fowler, Jordan Spieth, Dustin Johnson, Justin Thomas, Justin Rose, Adam Scott. Was zu beweisen war, in jeder Hinsicht.
Gut, dass Paige Spiranac nicht mitmachen darf
Man kann anprangern, dass weniger Social-Media-affine Spieler und die sogenannten „Kleinen“ keine Chance haben oder dass es offenbar nicht reicht, wenn Wirtschaftspartner den Wirkwert ihrer Testimonials mit fetten Werbeverträgen honorieren. Dass virtuelle Präsenz nicht per se zur Jobbeschreibung eines modernen Profisportlers gehört und nicht jeder sich dafür eine Agentur leisten kann oder will. Selbst der scherzhafte Seitenhieb ist erlaubt, Woods und Co. sollten froh sein, dass Influenzerin Paige Spiranac mit ihren beiden Hauptargumenten und drei Millionen Followern allein auf Instagram nicht mitgezählt wird – worauf die bildstarke Blondine übrigens bereits selbst bedauernd hingewiesen hat:
Can I get in on this? Would be nice to get some money anytime someone googles “are Paige Spiranac’s boobs real” https://t.co/0Vm31hcTb9
— Paige Spiranac (@PaigeSpiranac) April 20, 2021
I know I joke around a lot but I have the highest engagement rate in golf and the most followers on Instagram. It’s a little frustrating when they are already making millions and now will have this but some brands and organizations still won’t pay the content creators
— Paige Spiranac (@PaigeSpiranac) April 20, 2021
Was freilich viel schwerer wiegt, ist der Paradigmenwechsel, der sich hinter all dem verbirgt – wie zwangsläufig und unvermeidlich er in dieser virtuellen Welt 4.0. vielleicht auch sein mag.
Ein Kirmes-Kopfgeld für Klamauk und Klicks
Die PGA Tour honoriert den Schein mehr als das Sein. Leistung wurde bewusst ausgeklammert, die Performance im FedEx-Cup nachträglich aus den Bewertungskriterien gestrichen. Ihre Popularitäts-Prämie ist damit eine Art Kirmes-Kopfgeld: Birne und sonst was entblößen, Klamauk veranstalten, Klicks bringen, Kohle kassieren. Kann man so machen – immerhin ist‘s eine sattsam bekannte Wertschöpfungskette, die im virtuellen Paralleluniversum jede Menge seltsame Blüten gebiert. Aber es ist kein gutes Zeichen.
Maßnahme gegen PGL-Versuchung? Schwaches Argument
Zudem ist die Begründung wohlfeil und nicht sonderlich belastbar, wenn es heißt, dass die Tour-Stars durch das „Player Impact Program“ letztlich von den monetären Versuchungen einer möglichen Premier Golf League abgehalten werden sollen, die allenfalls als Schimäre weit hinterm Horizont hängt. Rory McIlroy und Brooks Koepka beispielsweise haben der PGL längst vor dem „Player Impact Program“ einen Korb gegeben.
Neue Dimension für den Zirkus Profigolf
Nein, anders herum wird ein Schuh draus: Mit „PIP“ pimpt die PGA Tour das digitale Dasein ihrer Mitglieder, begünstigt virtuelle Inszenierungen, die schon grundsätzlich allzuviel Raum in der Wahrnehmung und im „Bewusstsein“ einnehmen und hebt den Zirkus Profi-Golf noch mal in eine andere Dimension. Da kann bei Commissioner Jay Monahans Organisation noch so euphemistisch davon die Rede sein, dass Spieler „ermittelt und belohnt werden, die die Kompassnadel in eine positive Richtung bewegen“.
„Es untergräbt, was die PGA Tour ausmacht“
„Golf.com“-Kollege Michael Bamberger hat recht, wenn er schreibt: „Was ich am ,PIP‘ derart entmutigend finde: Es untergräbt, was die PGA Tour überhaupt zur PGA Tour macht. Eine Reihe von Wettbewerben nämlich, die im ganzen Land und manchmal an exotischen Orten ausgetragen werden. Talentierte Golfer spielen eine schwierige Sportart streng nach ihren genau festgelegten Regeln und werden auf der Grundlage ihrer Ergebnisse bezahlt.“
Der Applaus einer Scheinwelt-Community
Genau! Und Entertainment sollte ein (gewiss willkommenes) Nebenprodukt von Austragungsmodi und Schlag-Fertigkeiten der Protagonisten sein. Ein Bonussystem für Athleten hingegen, das nicht mehr auf Ergebnissen basiert, sondern zuvorderst den schönen Schein und ein populistisches Prestige honoriert, rüttelt am Fundament des Sports – zugunsten der obsessiven Bedürfnisse einer Scheinwelt-Community und ihrem Applaus für „Noch berühmter“, „Noch schöner“, „Noch reicher“. Schade, dass die PGA Tour das mitmacht und ihr nichts Klügeres eingefallen ist.
Jon Rahm und das Prinzip „Hic Rhodus …“
Jon Rahm jedenfalls hat flugs angekündigt, er werde seine öffentliche Wahrnehmung überprüfen und entsprechende Aktivitäten intensivieren, um seinen „Impact Score“ zu befeuern. Als Weltbester ohne Major hätte er in drei Wochen bei der PGA Championship auf dem Ocean Course von Kiawah Island dafür eine sinnvolle Gelegenheit. Oder wie einst der antike Dichter Äsop in einer Fabel formulierte: „ Hic Rhodus, hic salta!“ – „beweise hier (in der Realität), was du kannst!“