Schon der große Geist Leonardo da Vinci wusste: „Die meisten Probleme entstehen bei ihrer Lösung.“ Und im Volksmund spricht man von der Mücke, die zum Elefanten gemacht wird. So gesehen hat sich die PGA Tour mit ihrer jüngsten Ankündigung keinen Gefallen getan, künftig mehr auf den Respekt der Fans gegenüber Spielern zu achten und schamlose Schreihälse notfalls des Turniers zu verweisen.
Kein konsequentes Vorgehen
An sich ist das ein hehrer Vorsatz, fiele er zugunsten von Caddies, Helfern und Offiziellen aus, die allzu oft Zielscheibe von Belästigungen aus dem Zuschauerkreis und Blitzableiter für Fan-Unmut sind. Oder gingen Commissioner Jay Monahan und Co. endlich konsequent gegen die meist bierseligen Beleidigungen beispielsweise an die Adresse eines Rory McIlroy vor, der deswegen schon einen Verzicht auf den (eh viel zu lukrativen) Alkoholausschank gefordert hat.
Doch all das adressierte Monahan nur pauschal, als er im Vorfeld der Tour Championship „unangemessenes, unsicheres, störendes oder belästigendes Verhalten“ des Publikums ansprach, „das wir in Zukunft nicht tolerieren werden“. Stattdessen ließ er keinen Zweifel daran, vor allem einen schützen zu wollen: den dünnhäutigen Bryson DeChambeau, der auf die „Brooksie“-Blöker aus der Kulisse zunehmend gereizt reagiert.
Kindisches Kasperltheater aka „The Feud“
Während etliche Spieler das neueste Tour-Verdikt vor allem mit Humor kommentierten, rief Monahan mit seiner „Lex DeChambeau“ endgültig die Golfmedien auf den Plan, die das zu „The Feud“ stilisierte kindische Kasperltheater zwischen dem „Mad Scientist“ und Brooks Koepka bislang eher belustigt begleitet hatten und allenfalls mahnend kommentierten, als Letzterer seine Gefolgsleute mit einem Freibier-Versprechen im Fall des Platzverweises förmlich zu Schmähungen des Kontrahenten animierte.
Die PGA Tour übrigens reagierte damals nicht. Sie schont halt ihre Stars und statuiert Exempel lieber an den Kleinen. Oder an den Fans. Die sind zwar nicht zur Gänze unschuldig, nehmen allerdings allzu oft bloß dankbar auf, was ihnen von den Golf-Großkopferten vorgelebt wird und folglich legitim erscheint.
„Bestbezahlter Babysitter der Welt“
Jetzt freilich nimmt die Causa im Sinne des Da-Vinci-Worts richtig Fahrt auf. Weil die Tour eine Staatsaffäre draus macht. Hätte Monahan bloß geschwiegen: Eamon Lynch von „Golfweek“ bezeichnete ihn angesichts eines Jahressalärs von vier Millionen Dollar als „bestbezahlten Babysitter der Welt“; „Bunkered“ erinnerte daran, dass dummdreiste Zwischenrufe wahrlich kein neues Phänomen darstellten und die Tour gut beraten sei, besser DeChambeau vor sich selbst zu schützen als auf die Fans loszugehen.
Da ist was dran. Die epischen Eigenheiten des Exzentrikers müssen nicht aufgezählt werden, um klarzumachen, dass so einer naturgemäß mehr ins Visier genommen wird. Wer anders ist, bei jeder sich bietenden Gelegenheit Besonderheit reklamiert und sich damit derart weit aus dem Fenster lehnt wie „BDC“, der muss gewärtig sein, dann folgerichtig im Fokus zu stehen. Gerade an solchen exponierten und extrovertierten Charakteren wird sich gern gerieben – nicht immer auf die feine englische Art.
Koepka als ideales Vorbild für DeChambeau
Das Problem an der ganzen Sache: DeChambeau kann mit dieser selbst angemaßten Ausnahmestellung nicht umgehen; er schmeißt konträre Kiesel ins Wasser des stromlinienförmigen Golfbetriebs und wundert sich über den Wellenschlag, scheint gegen die manchmal unliebsamen Konsequenzen nicht gewappnet zu sein.
Vielleicht hätte er Tiger Woods besser zuschauen sollen, der in den 2000er-Jahren die bewusst gesuchte, nicht allein sportliche Sonderstellung mit einer für ihn passenden Attitüde panzerte. Besser noch: seinem Widerpart Koepka, der selbst kein Blatt vor den Mund nimmt und mit aufreizender Ignoranz, um nicht zu sagen Arroganz, an sich abprallen lässt, was aus dem Wald zurück schallt.
Mittlerweile redet er ja wieder
Die PGA Tour wiederum tut alles, um DeChambeau gnädig zu stimmen – immerhin ist er momentan und in Tigers’ Abwesenheit ihr schillerndstes Zugpferd, das es mit dem hohen Entertainment-Faktor seiner Golf-Philosophie und seiner Spielweise sogar in den Mainstream schafft. Und mittlerweile redet er ja wieder.
Die Wurzel allen – wenn man so will – Übels liegt gleichwohl viel tiefer. Was da momentan an der Oberfläche brutzelt, sind die Auswüchse des Player Impact Program, mit dem Monahan und seine Mannen die Strahlkraft ihrer Stars in den sozialen Medien honorieren wollen, jedoch in erster Linie eine Büchse der Pandora geöffnet haben. In der griechischen Mythologie war darin jedwedes menschliches Ungemach verschlossen. Besagte Pandora indes öffnete das Gefäß, und so kam das Schlechte über die Welt.
„PIP“ ist nichts anderes. Der in Aussicht gestellte Bonus-Topf von 40 Millionen Dollar befeuert Aufmerksamkeitsgier, Narzissmus und Selbstdarstellung auf dem virtuellen Jahrmarkt der Eitelkeiten. Er bugsiert Golf in den Boulevard und stellt Inszenierung vor Leistung. Das ist gesellschaftliche Gepflogenheit, was es nicht besser macht. Das Portal „Golf Magic“ titelte unlängst zurecht: „Dieses Programm bedient alles, was in der modernen Welt falsch läuft.“
„Wenn man zu viel Wert auf Aufmerksamkeit legt“
Patrick Cantlay, der BMW-Champion, offenbarte nach den 24 Loch im Caves Valley Golf Club mit und gegen Bryson DeChambeau ebenfalls einen trefflichen Blickwinkel. Natürlich empfinde man Sympathie für jemanden, dem ständig Animositäten entgegengebracht werden, sagte „Patty Ice“.
Aber: „Womöglich sind das nur Symptome eines viel größeren Problems, dessen Ursachen sich aus dem Player Impact Program ableiten und von den sozialen Medien vorangetrieben werden. Das kommt davon, wenn man zu viel Wert auf Aufmerksamkeit legt. Leute, die alles tun, um Aufmerksamkeit zu erregen, kriegen auch mal die falsche Art von Aufmerksamkeit.“
Panik vor der Fata Morgana Premier Golf League
Mit ihrer Popularitäts-Prämie hat’s die PGA Tour eindeutig übertrieben. In Ponte Vedra Beach sollte man sich vielmehr Gedanken über attraktive Turnierformate und knackige Wettbewerbs-Modi bei gleichzeitiger Einbindung der Interessen von TV und Sponsoren machen, um das Entertainment-Element des professionellen Golfsports zu fördern und das Spiel auf höchstem Niveau auf diese Weise weiter im öffentlichen Bewusstsein zu verankern.
Das erfordert hohe kreative Prozesse, ist andererseits allemal nachhaltiger und seriöser, statt lediglich mit dem Geld um sich zu schmeißen – nicht zuletzt aus nackter Panik vor der Fata Morgana einer Premier oder Super Golf League, die bei näherem Hinsehen immer kleiner wird.
In der Pandora-Büchse war auch die Hoffnung
Derweil könnten DeChambeau und Koepka zu einem halbwegs kultivierten Umgang miteinander zurückkehren, wie sie es am Mittwoch beim Dinner der amerikanischen Ryder-Cup-Aspiranten bereits an den Tag bzw. an den Abend gelegt haben. Dem „Brooksie“-Ballyhoo wäre der Nährboden entzogen, die Fans würden über kurz oder lang zu „Mashed Potatoes“ und „Get in the Hole“ zurückkehren, die Tour könnte sich darauf konzentrieren, wirklich krasse Krakeeler in der Galerie zu eliminieren.
In der Büchse der Pandora befand sich neben zahllosen Lastern und Unheilen übrigens eine einzige Tugend: die Hoffnung. Sie entfleuchte gleichermaßen. Das stimmt optimistisch.