Man hätte es ja ahnen können: Wenn Scottie Scheffler und sein Putter Freunde sind, ist der Weltranglistenerste kaum zu schlagen. Und als Scheffler am Finaltag des Herren-Golfturniers von Paris 2024 bereits auf dem ersten Grün den Ball aus gut vier Metern zum Birdie versenkte, als er auf dem folgenden Par-3 gar aus fast acht Metern lochte, war das Schicksal des Führungstrios eigentlich schon besiegelt. Okay, Xander Schauffele, Jon Rahm und Tommy Fleetwood haben ihrem Verfolger mit eigenen Patzern auch ziemlich den Weg geebnet.
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Aber dennoch: Die bogeyfreie 62er-Runde, mit der es Scheffler den Højgaard-Zwillingen in Sachen Platzrekord gleichtat, war eine Machtdemonstration des 28-Jährigen. „Ich habe versucht, aggressiv und gleichzeitig geduldig zu sein und gehofft, dass mein Putter heiß bleibt. Gerade auf der hinteren Neun sind mir ein paar schöne Schläge und Putts gelungen“, sagte er in gelinder Untertreibung, nachdem die von den Klängen der amerikanischen Nationalhymne ausgelösten Tränen der Freude und Rührung bei der Siegerehrung getrocknet waren. Ein bisschen linkisch und unbeholfen hatte Scheffler auf dem Treppchen gestanden, fast eingeschüchtert vom olympischen Protokoll. Und die Goldmedaille um seinen Hals wirkte noch wie ein Fremdkörper – ungewohnt und einzigartig selbst für einen, der bereits so mit Trophäen dekoriert ist.
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Sechs Birdies hatte der Olympiasieger zuvor allein auf besagter, „angeblich“ so schwieriger Back Nine in seine Scorekarte gestanzt. Während erst Schauffele und dann Rahm kollabierten und schließlich auch Fleetwood durch das Bogey auf der 17 nicht mehr mithalten konnte, exekutierte Scheffler mit bekannt stoischer Miene, phänomenalem Shot Making und gleichbleibend heißem Putter ein Loch nach dem anderen, rettete sich zwischendrin auch mal aus kritischen Lagen und musste dann mit Caddie Ted Scott auf der Driving Range die beiden letzten Gruppen abwarten, bis der Triumph feststand.
Der dürfte auch ein goldener Punkt hinter jedwede Debatte um den Titeln des „Player of the Year“ auf der PGA Tour sein, die nach Xander Schauffeles Gewinn der Open Championship aufgekommen war. Bei allem Respekt vor dem PGA-Champion von Valhalla und Champion Golfer of the Year von Royal Troon – mit Schefflers Serie kann Schauffele einfach nicht mithalten: zweites Masters, Players Championship, Arnold Palmer Invitational, RBC Heritage, Memorial Tournament, Travelers Championship und nun der Olympiasieg. Scottie Scheffler ist der Sieger dieser Saison, was immer in den FedExCup-Playoffs und bei der Tour Championship noch passieren mag. Und wie heißt es doch: The Winner takes it all.
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Tommy Fleetwood: „Mit schwerem Herzen“ zu Silber
Heimspiel: Paris spielt eine besondere Rolle im Golfleben von Tommy Fleetwood. Auf dem Albatros-Kurs von Le Golf National am Rand der französischen Hauptstadt gewann der Engländer 2017 die Open de France. 2018 folgte das Ryder-Cup-Märchen, als der Debütant in allen Viererpartien ungeschlagen blieb und mit Partner Francesco Molinari die „Moliwood“-Bromance begründete. Gestern gewann Fleetwood auf ebendieser Bühne die olympische Silbermedaille, was zweifellos der größte Erfolg seiner Karriere ist, die aus sieben Titeln auf der DP World Tour besteht, aber bislang ohne Majorsiege oder Erfolge auf der PGA Tour geblieben ist.
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Es wäre sogar mehr drin gewesen, wenn da nicht dieser zu lange Chip auf der 17 und das daraus resultierende Bogey gewesen wäre. Dass Fleetwood bis auf ganz wenige Ausnahmen und an allen vier Tagen mit fast verkniffener Miene zu Werke ging, kaum Emotionen zeigte und selbst auf gelungene Schläge nur mit verhaltener Freude reagiert, fiel sogar den Kommentatoren im öffentlich-rechtlichen Livestream auf, die das mit Anspannung und Fokussierung erklärten und sich dennoch wunderten. Hätten sie bloß mal ihre Hausaufgaben besser gemacht: Schon im Vorfeld des olympischen Turniers hatte Fleetwood per Instagram wissen lassen, er spiele in Paris „mit schwerem Herzen“. Der 33-Jährige stammt aus dem englischen Badeort Southport; jenem Southport, das am vergangenen Montag auf tragische Weise in die Schlagzeilen gelangt war. Ein 17-Jährige hatte bei einer Tanzschulaufführung zur Musik von Taylor Swift drei Kinder mit Messerstichen getötet und weitere zehn verletzt. „Ich bin selbst Vater eines Sohns, und diese Nachricht hat mir das Herz gebrochen“, schrieb Fleetwood. „Der Großteil meiner Familie lebt noch in Southport, und jeder spürt die Auswirkungen, wenn so etwas passiert. Alles, was wir jetzt tun können, ist zu versuchen, nach vorne zu schauen.“
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Und irgendwann gestern nach dem nervenaufreibenden Geschehen des Finaltags um olympisches Edelmetall konnte er auch wieder lachen – mit der Familie um sich und Silber am Hals: „Ich hätte nicht mal davon zu träumen gewagt, irgendwann ein olympischer Medaillengewinner zu sein.“
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Victor Perez: Sieger der (französischen) Herzen
French Connection: Die Performance der Profis setzte sich gestern beim Publikum auf den Naturtribünen des Albatros-Kurses und auf den künstlichen Galerien am ersten Abschlag sowie hinter dem 18. Grün fort. Es gab Kostüme und Gesänge, Applaus und Ermunterung, kein Gebrülle oder gar Geblöke, nie Ausfälligkeiten, dafür Sachverstand und Ruhe, wenn Stille vonnöten war. Kurz: Eine Stimmung wie 2018 beim Ryder Cup in Le Golf National. Wurden damals die Europäer gefeiert, so waren es diesmal vor allem die Lokalmatadoren Matthieu Pavon und Victor Perez. Letzterer dankte es seinen Fans mit einem Bravourstück der besonderen Art.
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Der 31-Jährige, den die Liebe zu Lebensgefährtin Abigail Gliksten (Zahnärztin und Modell) einst von Frankreich nach Schottland umziehen ließ, begann mit zwei Birdies auf der Front Nine eher unspektakulär. Ab Loch zwölf legte der dreifache European-Tour-Gewinner dann einen Parforceritt von sechs Schlaggewinnen inklusive Eagle an der 14 hin. Da sei ihm bewusst geworden, so bekannt er später: „Scheiße, jetzt stecke ich ja mitten drin im Kampf um die Medaillen.“ Beinahe hätten ihn sein Höhenflug und die Begeisterung der Zuschauer bis auf den Bronzerang geführt. Wenn, ja wenn auf dem 18. Grün auch der Zehn-Meter-Putt zum Birdie noch gefallen wäre. So blieb Perez nur der undankbare alleinige vierte Platz, aber die Gewissheit, eine Art Sieger der (französischen) Herzen zu sein.
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Die Bedeutung von Olympia für Golfstars
Prompte Antwort: Gestern haben wir uns an einer Betrachtung versucht, welche Bedeutung eine Goldmedaille für die auf Major-Meriten und Moneten fokussierten Profigolfer haben könnte – und dann entfaltete sich der Finaltag. Das Spektakel und die Dramatik auf Fairways und Grüns vor der Kulisse von begeistert mitgehenden Zuschauern waren das Beste, was dem Golfsport nach dem vom Zika-Virus verseuchten Olympia-Comeback in Rio de Janeiro 2016 und dem coronabedingten Trauerspiel von Tokio 2021 passieren konnte – nicht zuletzt in Sinne des olympischen Bestandsschutzes. Das wurde an anderer Stelle bereits kommentiert und honoriert, lassen wir dafür hier die Athleten selbst noch mal ins Bild und zu Wort kommen, zuvorderst Olympiasieger Scottie Scheffler mit seinen Tränen, aber auch einen Rory McIlroy beispielsweise, der Olympia und Ryder Cup als wohltuende Ausnahmen in der „Shit Show“ um immer mehr Schotter heraushebt, zu der das Profigolf der Männer mittlerweile verkommen ist:
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Tom Kim und die verpasste Wehrdienstbefreiung
Schockmoment: Es hat nicht gereicht für eine Medaille, und deswegen wird Tom Kim ebenso wie Kollege Ben An um den Militärdienst für sein Heimatland Südkorea (noch) nicht herumkommen. Die Enttäuschung über den verpassten olympischen Spitzenplatz und die damit verbundene „Ausmusterung“ war gestern entsprechend groß, wie diese Momentaufnahme von Kim im Scoring-Bereich zeigt.
🚨😢🇰🇷 Tom Kim is emotional in the scoring trailer. A podium finish was needed to avoid the prospect of mandatory military service. pic.twitter.com/4I7X0WGMhP
— NUCLR GOLF (@NUCLRGOLF) August 4, 2024
Befreit werden vom 21-monatigen Dienst fürs Vaterland nämlich nur Sportler, die sich bei Olympia mit Gold, Silber oder Bronze und bei den Asien-Spielen mit Gold dekorieren. In Südkorea gibt es keine Sportförderkompanie oder ähnliches à la Bundeswehr, wo die Athleten in Uniform weiterhin ihrem Sport nachgehen können. Will heißen: Kim und An wären für fast zwei Jahre komplett raus aus dem Golfsport – ein Schicksal, das Sungjae Im und Si Woo Kim beispielsweise durch den Team-Erfolg bei den Asien-Spielen im vergangenen Herbst erspart geblieben ist. Was die Einberufung für eine Karriere bedeuten kann, zeigt das Beispiel Sang Moon Bae. Der zweifache PGA-Tour-Sieger wurde 2015 im Alter von 28 Jahren einberufen, kehrte 2017 auf die Turnierbühne zurück, konnte aber nie wieder an seine vorherigen Leistungen und Erfolge anknüpfen. Kim, dem vier Schläge zu Bronze fehlten, erklärte später, er habe zu keinem Zeitpunkt des Turniers den Militärdienst im Sinn gehabt: „Ich habe nicht an mich gedacht, sondern nur versucht, eine Medaille für mein Land zu gewinnen.“ Dem 22-Jährigen werden sich noch einige weitere Chancen ergeben, doch für den 32-jährigen Ben An wird die Zeit knapp, muss man in Südkorea doch spätestens mit Vollendung des 35. Lebensjahrs zum Wehrdienst angetreten sein.
Wyndham Clark hat’s den Kritikern gezeigt
Revanche: Da hat Wyndham Clark seinen Kritikern aber gestern ordentlich gezeigt, wo der Hammer hängt. Nach einer eher desaströsen Auftaktrunde wurde der US-Open-Champion des vergangenen Jahres von den üblichen Social-Media-Lautsprechern mächtig ins Kreuzfeuer genommen und zum Negativbeispiel für die Olympia-Zulassung auf Basis der Weltranglistenposition stilisiert – was im Fall des US-Rankings den Publikumsliebling Bryson DeChambeau ausgeschlossen hat, der sich bei der US Open zwar zu Clarks Nachfolger kürte, im Official World Golf Ranking (OWGR) aufgrund seiner LIV-Zugehörigkeit aber dennoch vier Plätze hinter Clark rangiert.
Der Auswahlprozess für die Spiele ist ohnehin umstritten, nicht zuletzt bei den Spielern selbst. Rory McIlroy beispielsweise zielt eindeutig in Richtung der LIV’ler, wenn er sagt: „Ich glaube nicht, dass es einen anderen Weg für die Olympia-Qualifikation gibt. Das ist wie beim Ryder Cup. Alle haben gewusst, wie der Modus ist, bevor sie ihre Entscheidungen getroffen haben. Also müssen sie jetzt damit leben und sich nicht beschweren.“ Jon Rahm hingegen plädiert dafür, „jedes Land frei entscheiden zu lassen, wer spielen soll“.
Was auch immer aus dem OWGR wird: Wyndham Clark hat gestern jedenfalls mit einer 65er-Runde und dem geteilten 14. Platz (-11) bewiesen, dass er völlig zurecht in den Genuss des Tickets für Paris 2024 gekommen ist. Das ging leider bei allem Spektakel auf dem Albatros-Kurs von Le Golf National um die Medaillenvergabe völlig unter. Collin Morikawa als Vierter des US-Olympia-Quartetts wurde übrigens geteilter 24. (-6), aber darüber motzt niemand. Der zweifache Majorsieger ist halt beliebter als Wyndham Clark.
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Olympia in Paris: Bühne frei für Korda und Co.
Fliegender Wechsel: Das Herrenturnier ist in den Büchern und Geschichte, jetzt sind die Damen dran und schon da – Bühne frei für Titelverteidigerin Nelly Korda und Co.:
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Auch Deutschlands Golf-Olympionikinnen Alexandra Försterling und Esther Henseleit kamen am Wochenende in Paris an, besichtigten das olympische Dorf und freuen sich auf „die beste Woche des Jahres“.
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Nur eine aus dem 60-köpfigen Feld fehlte noch: Die Inderin Aditi Ashok nutzte das Wochenende nicht zur Anreise in die Olympiastadt, sondern spielte vor dem Start des Damenturniers am Mittwoch noch die Portland Classic in Oregon und wurde geteilte 22. „Ich habe die Turnierteilnahme seit langem geplant und mag auch den Platz“, sagte die 26-Jährige im Columbia Edgewater Country Club. „Außerdem glaube ich, dass der Aufritt hier eine gute Vorbereitung für Le Golf National ist.“ Gestern Abend dann flog Ashok nach Paris, wo sie heute ankommt und nur einen Tag hat, um sich vor Ort aufs Medaillenrennen einzustimmen.
Charlie Woods: Entschädigung für Oakland-Hills-Pleite
Hoffnungsträger: Charlie Woods hat sich für die Pleite bei der US Junior Amateur Championship in Oakland Hills entschädigt. In gewisser Weise jedenfalls. Der 15-jährige Filius von Superstar Tiger Woods gewann im BallenIsles Country Club in Palm Beach Gardens/Florida den South Florida PGA Junior Cup, der als Major auf der South Florida PGA Junior Tour gilt.
#WINNER — Charlie Woods wins the South FL. Jr PGA Cup! Bouncing back from his performance at the Jr. Am, he shot 68: “I wanted it so bad.. I felt focused. I knew what I had to do to get it done. I wanted to prove to myself that I could do better.” pic.twitter.com/sfOhNQU68D
— TWLEGION (@TWlegion) August 1, 2024
Mit Runden von 73, 68 und 73 Schlägen blieb Woods als einziger der 63 Teilnehmer in seiner Altersklasse unter Par und sagte anschließend: „Dieser Erfolg fühlt sich nach einem Lohn für die harte Arbeit während des Sommers an.“ Und schon schießen die nächsten überzogenen Erwartungen ins Kraut. „Er wird Majors gewinnen, verlasst Euch darauf!“ hieß es beispielsweise im Netz.
„Big Mama“ JoAnne Carner: Mit 85 eine 80er-Runde
Zum Schluss: Wir beenden diese Ausgabe der Back Nine, wie sie begonnen habe – mit jeder Menge Werbung für Golf auf größerer Bühne. Aber das Folgende hat nichts mit dem grandiosen, so unfassbar mitreißenden Finale um olympisches Edelmetall bei den Spielen von Paris zu tun. Derweil haben nämlich im Fox Chapel Golf Club in Pittsburgh die US Senior Women’s Open stattgefunden. Und eine der Teilnehmerinnen war die 85-jährige JoAnne Carner aka „Big Mama“, zweifache US-Women’s-Open-Gewinnerin, 43-fache LPGA-Tour-Siegerin und eine der Ikonen des amerikanischen Damengolf mit zig Amateurtiteln und einem Platz in der Hall of Fame. Die top-fitte und quietschfidele Lady aus Kirkland im US-Bundesstaat Washington schlägt immer noch Drives von 160 Metern und hat zum Auftakt mit 85 Schlägen gleich mal ihr Alter gescort.
🚨💣⛳️ #WATCH: At the age of 85, JoAnne Carner rips a beauty off the first tee at the U.S. Senior Women’s Open. pic.twitter.com/Q230Fz6cf0
— NUCLR GOLF (@NUCLRGOLF) August 1, 2024
The putt to seal the deal! pic.twitter.com/WQwLN8ErI1
— USGA (@USGA) August 1, 2024
„Es war schrecklich. Vor allem auf der Back Nine habe ich eine Menge liegen lassen“, befand Carner anschließend. „Immerhin war ich aber rechtzeitig fertig für die Cocktails.“ Sprach’s und begab sich an die Bar im Clubhaus. Das hielt sie freilich nicht davon ab, am zweiten Tag eine 80 zu schießen, nur 9 über Par und fünf Schläge unter ihrem Alter. Natürlich war „Big Mama“ trotzdem unzufrieden, denn für den Cut hat's nicht gereicht. Aber sie ist der lebende Beweis für die Alterslosigkeit des Jungbrunnens Golf.