„Tempus fugit“ sagt der Lateiner, die Zeit geht dahin: 2005 hat sich Colin Montgomery die letzte seiner acht Orders of Merit gesichert, jene Saison-Rangliste der European Tour, die heute den Titel Race to Dubai trägt und bei der nicht mehr in harter Währung gewertet wird, sondern Turniere mit Punkten benotet sind. 16 Jahre später gehört ein anderer Collin M. zu den Erben des Schotten, der seinerzeit mit insgesamt 31 Titeln in Europa das Maß der Dinge und eine konstante Größe oder große Konstante war – ganz nach Belieben –, auf der PGA Tour indes nie zu reüssieren vermochte und als bester Spieler der Welt ohne Major galt.
Zwei fette Punkteprämien reichten
Collin Morikawa, der seinen Vornamen bekanntlich mit zwei „l“ schreibt, wurde am Sonntag durch den souveränen Sieg bei der DP World Tour Championship zum ersten amerikanischen Race-to-Dubai-Champion der Tour-Annalen. Und im Gegensatz zu Montgomeries monatsübergreifender europäischer Dominanz reichten dem 24-Jährigen neun Turniere und zwei fette Punkteprämien, um bereits als Spitzenreiter des europäischen Rankings in den Jumeirah Estates einzuchecken: 1.335 Zähler für den Gewinn der WGC –Workday Championship im Februar und 1.665 Punkte für die Open Championship von Royal St. George’s im Juli. Dazu addieren sich 424,7 Zähler für den geteilten vierten Rang beim Masters sowie 181,1 für Platz T8 bei der US Open. Der Rest war Kleckerkram im zweistelligen Bereich.
Erdrückende Top-Liga von Turnieren
Will sagen: Mit ein paar wenigen vorderen Platzierungen bei den Majors und bei den World Golf Championships lässt sich’s heuer bestens bestehen, wenn es im weltweiten Wettstreit der Professionals um den saisonalen Gesamteindruck geht, während sich „Colin M. der Ältere“ dunnemals noch die Finger wund spielen musste, um sein Punktekonto aufzupumpen. Im Umkehrschluss heißt das gleichermaßen, dass eine Top-Liga von Turnieren existiert, die mit ihrer Wertigkeit viele andere Events fast bedeutungslos wirken lässt und sie quasi zu Brosamen degradiert, um die sich das gemeine Tour-Volk nach Belieben streiten mag.
McIlroys Anmerkungen zur Weltliga
Das ist beileibe keine neue Erkenntnis, sie sei allerdings wieder ins Gedächtnis gerufen. Schon vor etlichen Jahren hat der oftmals klarsichtige Rory McIlroy – sofern er nicht gerade vor Wut sein Hemd misshandelt – konstatiert, dass niemand eine Weltliga herbei wünschen müsse: Mit den Majors, der Players, den vier WGC und Prestige-Partien wie dem Memorial und dem Arnold Palmer Invitational, der Scottish sowie der Irish Open, der Farmers Insurance Open oder dem Genesis Invitational gebe es längst eine World Golf Tour. Der Querverweis zur aktuellen anhängigen Disruption der beiden großen Touren durch Konkurrenz-Circuits oder zu Billy Horschels Anregungen hinsichtlich einer Wettbewerbsverschärfung liegt nahe.
Ebenso die ernüchternde Einsicht, dass die Top-Turniere gerade auf der nunmehr der Vergangenheit angehörenden European Tour alles erdrück(t)en, was zum Brot-und-Butter-Business des durchschnittlichen spielenden Mitglieds gehört, im internationalen Vergleich hingegen kaum und in der Beletage des Profi-Betriebs gar nicht zählt.
Morikawa beherrschte das Race to Dubai inklusive dem abschließenden Showdown auf dem Earth Course, obwohl er nur zwei reguläre European-Tour-Turniere bestritt. Doch die Resultate der Omega Dubai Desert Classic und der Scottish Open ((T68/8,9 Punkte und T71/14,8 Punkte) hatte er nicht mal nötig: Mit den Zählern aus vier Majors und drei WGC war seine Wertung ohnehin prall gefüllt. Manche nannten das eine Farce.
Der zweitplatzierte Billy Horschel profitierte bei seinen elf zählbaren Aufritten zuvorderst vom Gewinn der BMW PGA Championship, hatte seine Race-to-Dubai-Bilanz indes bereits mit dem Sieg beim WGC – Dell Technologies Match Play (1.335 Punkte) und dem geteilten zweiten Platz bei der WGC – Workday Championship (596,3) ordentlich aufgepolstert.
Jon Rahm, der abwesende Dritte
Und Jon Rahm, der in Abwesenheit Dritter wurde, punktete zuvorderst mit seinem US-Open-Erfolg (1.665), bei der Open Championship (T3/563,5 Punkte), beim Masters (T5/387) und beim WGC – Match Play (T5/264,8). Die 240 Zähler für den siebten Platz bei der Scottish Open hätte er schlussendlich gar nicht gebraucht, um sich knapp vor dem Viertplatzierten Matt Fitzpatrick zu behaupten. Andererseits wurden dem Spanier für einen Platz T32 bei der WGC – Workday Championship fast doppelt so viele Punkte gutgeschrieben (65,6) wie für den beinahe „doppelt so guten“ geteilten 17. Rang bei der Open de España (35,5).
Was zu beweisen war.
Aus den Schuhen des Stiefkinds
Aber, um so aphoristisch zu enden wie dieser Beitrag begann: „Panta rhei“ weiß der Altgrieche, alles fließt. Mit der strategischen Allianz von PGA Tour und European Tour Group und der Einführung der DP World Tour wird der europäische Circuit deutlich aufgewertet, gewinnt an Bedeutung. Die kleine Tour-Schwester entwächst den Schuhen des Stiefkinds. In Teilen jedenfalls, mit bestimmten Turnieren: Scottish und Irish Open beispielsweise, das eine oder andere aus der Rolex Series. Sie rangieren in Sachen Attraktivität und Reputation künftig mit den Pendants der PGA Tour auf einem Level unterhalb der „Weltliga“-Wettkämpfe.
Mehrklassengesellschaft Profigolf
Ein weitere Etage tiefer und mit breiter Kluft „zu denen da oben“ sammelt sich wie im Kastensystem der Rest des Kalenders: trotz der von DP World garantierten Zwei-Millionen-Minimum-Börse immer noch die darbende Verwandtschaft der saturierten US-Mischpoke – „Brot und Spiele“ fürs europäische Erstliga-Fußvolk. Auf dem Gipfel des Berufsgolfer-Business mag künftig in vielerlei Hinsicht die Sonne heller scheinen, doch sie leuchtet auch deutlich gnadenloser aus, dass Profigolf eine Mehrklassengesellschaft war, ist und bleiben wird. Sie fasert sich bloß noch weiter auf.