Es war eine schreckliche Nachricht in diesen ohnehin erschütternden Zeiten: 81 Personen hat Saudi Arabien am vergangenen Samstag hinrichten lassen, an einem einzigen Tag, mehr als im gesamten Jahr 2021 (67), allesamt Männer, verurteilt wegen Terrorismus, Mord oder „abweichenden Überzeugungen“, so das Innenministerium. „In den Todeszellen der Saudis sitzen Menschen mit unbequemer Gesinnung, andere sind seit ihrer Kindheit eingesperrt oder wegen nicht-gewalttätiger Verbrechen“, berichtet ergänzend die von Anwälten und Ermittlungsbeamten gegründete Menschenrechts- und Anti-Todesstrafe-Organisation Reprieve, zu deutsch Begnadigung.
Darf Sport sich mit Regimen gemein machen?
In dieser Mörder-Monarchie, deren lange Liste von Menschenrechtsverletzungen und Missständen seit der Hinrichtung des „Washington Post“-Journalisten Jamal Khashoggi 2018 ein Gesicht und einen Namen hat, spielen ab heute die Proetten der Ladies European Tour (LET) zum dritten Mal das Aramco Saudi Ladies International, das vom milliardenschweren saudischen Public Investment Fund (PIF) getragen wird. Und wieder tut sich – wie schon beim Saudi International der Herren – die Frage auf: Muss das sein? Darf der Sport sich mit einem Regime gemein machen, dessen vorrangiges Ziel es ist, mit solchen Sportswashing-Spektakeln die hässlichen Flecken auf seiner Weste zu kaschieren?
Herren könnten es sich leisten, ein Zeichen zu setzen
Die Antwort freilich fällt diffuser und ambivalenter aus als im Fall der Multimillionäre vom Schlage eines Dustin Johnson, Ian Poulter oder Sergio Garcia – gar nicht zu reden von Nestbeschmutzer Phil Mickelson –, die es sich samt und sonders leisten könnten, ein Zeichen zu setzen und Moral über Moneten zu stellen. Stattdessen schwadronieren sie von der Golfentwicklung, faseln wie Bubba Watson von Gottes schöner Schöpfung oder greinen wie der ebenfalls längst saturierte Shane Lowry in selten lächerlicher Heuchelei, man habe nun mal eine Familie zu ernähren.
Die darbende europäische Damentour
Was die LET betrifft, hat der Ire freilich genau den wunden Punkt erwischt. Die europäische Damentour darbte über Jahre, hatte kaum Turniere und noch weniger Sponsoren, litt noch viel mehr als die LGPA unter Herabwürdigung der Ladies und der Ignoranz gegenüber den auf beiden Touren gezeigten Leistungen. Dabei gilt einhellig, dass sich Freizeit- und Hobbygolfer viel mehr bei den Proetten abgucken können denn bei deren männlichen Kollegen; und dass selbst ambitionierte Scratch-Amateure gegen – beispielsweise – die LPGA-Hautevolee ziemlich alt aussehen. Aber das ist eine andere Geschichte.
Meghan MacLaren und ihre Saisonbilanz
Die LET jedenfalls siechte dahin und war fast tot. Einen Eindruck vom Dasein auf dem europäischen Circuit lässt sich gewinnen, wenn man die Tour von 2019 mit der zweiten US-Damenliga von 2021 vergleicht, die in der Konstellation ein ähnliches Preisgeld-Volumen von jeweils um die vier Millionen Dollar bei rund 20 Turnieren hatten. Eine entsprechende Rechnung machte Anfang des Jahres die Engländerin Meghan MacLaren auf, zweifache LET-Siegerin und im vergangenen Jahr auf der heutigen Epson, damals noch Symetra Tour in Richtung LPGA-Qualifikation unterwegs. Trotz eines Turniergewinns und zwei Top-Ten-Platzierungen sowie Sponsoren-Unterstützung machte sie 2021 in den USA einen Verlust von 31.000 Dollar.
*not looking for sympathy or a debate about feeder tours, just thought interesting to share-
Without sponsorship or other income, my total profit/loss for 2021 would have been a loss of £23k ($31k).
18th on money list, VERY unselfish coaches and next to no caddie all year
— Meghan MacLaren (@meg_maclaren) January 1, 2022
Nicht anders ging es 2019 auf der LET zu, bevor die Saudis ihre „Begeisterung“ für den Golfsport entdeckten, sich nach der Ausschreibung des Saudi International 2019 im Folgejahr mit dem Aramco Saudi Ladies International auch der Damen annahmen und insgesamt für eine kräftige Wachstumsspritze der LET sorgten. Eine rührige, pragmatische neue Tour-Chefin Alexandra Armas, mannigfache, zudem wirtschaftliche Unterstützung durch die LPGA und ein grundsätzlicher Aufmerksamkeitsschub fürs Damengolf dank europäischer Solheim-Cup-Erfolge oder den Majorsiegen von telegenen Aushängeschildern wie Sophia Popov, Georgia Hall und Anna Nordqvist taten ihr Übrigens und bescheren dem Circuit heuer einen Rekord-Preisgeldtopf von 24,5 Millionen Euro bei 31 Events in 21 Ländern.
LET am Tropf der Saudis
Dennoch ist es bezeichnend, dass die Tage im Royal Greens Golf & Country Club erst das zweite Turnier der LET-Saison 2022 seit Esther Henseleits Titelverteidigung bei der Magical Kenya Ladies Open Mitte Februar sind. Zum Vergleich: Die Herren bestreiten gerade mit der Steyn City Championship in Südafrika bereits das zwölfte Saisonturnier.
Unstrittig ist auch, dass die LET definitiv am Tropf der Saudis hängt. Die eine Million Dollar, die am Sonntag verteilt werden, sind die höchste Börse der Saison; und selbst die Forderung greift nur bedingt, dass wenigstens Stars wie Nordqvist, Hall oder Carlota Ciganda beim Sportswashing nicht mittun müssten. Müssen sie nämlich sehr wohl, weil das den Bestand des Turniers sichert und ein Ausfall den Rest des Felds hart treffen würde – im Gegensatz zu den Männern, wo niemand das Saudi International vermissen würde, außer vielleicht Kronprinz Mohammed bin Salman, der Mann hinter all den saudischen Machenschaften, und sein Helfershelfer Greg Norman.
Haltung muss man sich leisten können – und wollen
2021 haben die Saudis rund fünf Millionen Dollar in die LET gepumpt und unterstützten insgesamt acht Turniere. Doch trotz des schon damals enorm angewachsenen Gesamtdotierung schafften 97 der 166 LET-Spielerinnen die Marke von 20.000 Euro Preisgeld nicht.
Angesichts solcher Verhältnisse scheint es fast arrogant und ignorant, die Aktiven und das Tour-Management dafür zu kritisieren, „blutiges Geld“ (Washington Post) zu nehmen und die Saudis in ihrem Kalkül zu unterstützen. Andererseits muss man sich Haltung nicht nur leisten können, sondern auch leisten wollen. Während Alexandra Armas die bekannten Plattitüden bemüht und den Beitrag zu Gleichstellung der Frauen beschwört („Golf Saudi hat große Pläne für das Damengolf“), verweigert sich beispielsweise ausgerechnet Meghan MacLaren der Sportswashing-Strategie.
„Karriere vieler Spielerinnen betroffen“
„Man muss nicht besonders tief graben, um den Zweck solcher Veranstaltungen zu enttarnen“, sagt die 27-Jährige. „Und bei so was fühle ich mich sehr unwohl, weil es nicht zu meinem Wertegefüge passt.“ MacLaren weist aber auch darauf hin, dass simples Schwarz-Weiß-Denken nicht angebracht sei: „Das ist zu einfach. Die Entwicklungen lassen sich nicht zurück drehen, insbesondere im Damengolf. Erst recht, wenn bei vielen Spielerinnen die Karriere davon abhängt.“ Ergo: Es ist ein sehr schmaler Grat, auf dem die LET da wandelt.
Ko in Corona-Quarantäne
Übrigens, Titelverteidigerin Lydia Ko hat ihre Teilnahme abgesagt. Der LPGA-Star hatte nach der HSBC Women's World Championship in Singapur einen auffälligen Corona-Test, war in Quarantäne und verzichtete offenbar sogar auf eine Anreise in letzter Minute. Man muss halt nicht um jeden Preis am Aramco Saudi Ladies International teilnehmen…