Auf Grün 18 war‘s endlich soweit: Als Patrick Reed den „wohl schnellsten Putt auf dem gesamten Platz“ 1,2 Meter übers Loch hinausgeschoben hatte und vor dem Ball stand, der über Masters-Triumph oder Play-off mit Rickie Fowler entscheiden sollte, da „wurde er zum ersten Mal an diesem Nachmittag wirklich nervös“. Berichtete jedenfalls Caddie Kessler Karain. Man ist geneigt, Reeds Schwager dies zu glauben. Während der 17 Bahnen zuvor wirkte der Masters-Spitzenreiter verblüffend unerschütterlich, bügelte Bogeys nahezu postwendend mit Birdies aus und ließ auf der 14 fast folgerichtig einen Schlaggewinn folgen, nachdem ihm Jordan Spieth an der 16 zum Score-Ausgleich auf die Pelle gerückt war. Es war keine glänzende Runde des 27-jährigen Texaners, diese 71, doch der neue Träger des begehrten grünen Sakkos ist wahrlich auch kein glänzender Typ.
„Golf ist kein Beliebtheitstest“
An Reed mit seinem „Bad-Guy“-Image scheiden sich die Geister. Nicht mal die Patrons im Augusta National waren gestern auf der Seite ihres Landsmanns, es gab deutlich mehr Beifall und Zuspruch für Kombattant Rory McIlroy. Einen wie Reed freilich macht so ‘was eher stark, der Mann mit dem Über-Ego nutzte die Underdog-Rolle. „Es hat nicht nur mein Feuer genährt, sondern mir eine Menge Druck abgenommen und McIlroy wieder aufgepackt“, bekannte Reed. Auf Sympathien legte es der Champion ohnehin noch nie an. „Golf ist kein Beliebtheitstest“, hat er 2014 in einem Interview mit „ESPN“ gesagt.
„Titan des Teamwettbewerbs“
Es ging damals um seinen Anspruch, nach drei Erfolgen auf der PGA Tour bereits „zu den fünf Top-Spielern der Welt“ zu gehören, womit er sich einen unbeschreiblichen Shitstorm von Medien und Fans einhandelte. Im Herbst desselben Jahres reüssierte „Kraftmeier“ Reed beim Ryder Cup in Gleneagles als Amerikas Pendant zu Ian Poulter und polarisierte mit seiner „Shush“-Geste gegenüber den europäischen Fans. In Hazeltine dann bildete der „Titan des Teamwettbewerbs“ („ESPN“) ein kongeniales Duo mit Jordan Spieth und lieferte sich im Einzel ein elektrisierendes Duell mit McIlroy, zu dessen Remake der Nordire gestern in Augusta National nichts beizusteuern hatte. Ansonsten blieb der mittlerweile sechsfache Tour-Sieger bis dato eher verhaltensunauffällig.
Als Reed 2017 bei der Porsche European Open in Winsen/Luhe zu Gast war, sich fürs Shoot-out auf der Hamburger Reeperbahn einspannen ließ und auf dem Schlussloch des Green-Eagles-Nordkurs ein Albatross schoss, gab er sich professionell freundlich und leutselig. Es gibt Stimmen, die ihm seit 2014 eine gewisse Läuterung attestieren. Andere sagen, er sei halt ein kompromissloser Kämpfer, eine öfters missverstandene „Rampensau“.
„Dieser Kerl spielt wie der Teufel“
Das Päckchen auf Reeds Buckel wiegt auch ohne erneute Selbstüberhöhung schwer. „Er hat eine Vergangenheit, die seine Gegenwart überschattet, und seine Zukunft zu trüben droht“, schreibt „Golf Digest“. Es gibt nirgendwo allzu viel freundliches über Patrick Nathaniel Reed zu lesen. Er gilt als einsamer Wolf, großmäulig, dreist und arrogant. Mit der Statur eines „Softball-Spielers aus der Feierabendliga“ (ESPN) ist Reed alles andere als ein Modellathlet, ein charakterlicher Vorzeigesportler war er schon gar nie. Lediglich seine golferischen Fertigkeiten sind unumstritten. „Dieser Kerl spielt wie der Teufel, arbeitet allerdings nicht an sich. Wenn er jemals seinen Putter ,entdeckt‘, dann wird der richtig gefährlich“, hieß es bereits zu Highschool-Zeiten.
Als Student eine Zumutung
Als Student muss „Captain America“ bei allen frühen Golf-Meriten wie dem Gewinn der Junior British Open 2006 eine echte Kanaille und eine ziemliche Zumutung gewesen sein. Der Autor Shane Ryan behauptet in „Slaying the Tiger…“, seinem Insiderbuch über die PGA Tour, Reed habe betrogen, gesoffen sowie geklaut und Mannschaftskollegen zum Schummeln angestiftet. Zudem sei der Mann aus San Antonio bei seinen Mitspielern derart unbeliebt gewesen, dass die dem Gegner steckten: „Wir wollen zwar gewinnen, hoffen gleichwohl, dass ihr Patrick trotzdem richtig in den Arsch tretet.“
Der Egomane flog aus dem Team der Universität von Georgia und beinahe aus der Golfriege von Augusta State, mit der er zwei Hochschulmeisterschaften gewann. Nach einem sehr ernsten Gespräch mit seinem damaligen Coach Josh Gregory „habe ich erkannt, dass es nicht immer bloß um mich, mich, mich geht“, sagte Reed in dem „ESPN“-Interview 2014.
Eltern waren nur am TV dabei
Trotzdem will ein anonymer Caddie mit dem Nick „Pinot Pete“ im Portal „BroBible.com“ wissen, dass die heutige Gattin Justine, geborene Karain und vier Jahre älter, nur deswegen in den ersten Profi-Jahren als Caddie fungierte, da es sonst niemand mit dem Stinkstiefel aushielt. Bei der US Open 2014 ließ sie überdies mal Reeds Eltern vom Gelände eskortieren – sie waren unerwünscht, weil sie zwei Jahre zuvor Schwiegertochter und Hochzeit den Segen verweigert hatten, haben deswegen ihre beiden Enkel angeblich bis heute nicht gesehen, während der Golfer vom Clan seiner Frau vereinnahmt wird.
Am Masters-Sonntag saßen Jeannette und Bill Reed samt Restfamilie übrigens vor dem Fernseher, obwohl sie gerade ein paar Meilen von Augusta National entfernt wohnen. Reed wurde darauf angesprochen, hat seine Verwandtschaft indes offenbar nicht vermisst: „Ich bin hier, um Golf zu spielen, und will Turniere gewinnen.“
Antipode für Publikumslieblinge
So lässt kaum jemand ein gutes Haar am jüngsten Mitglied im Grünjacken-Zirkel. Rickie Fowler immerhin zeigte sich „happy für ihn“. Sowieso „liebt es jeder, gegen Patrick auf dem Platz anzutreten“, sagt Jordan Spieth. „Weil er den Wettbewerb so sehr mag und ihn förmlich inhaliert.“ Das ist vermutlich das Freundlichste, was seit langem über Reed geäußert wurde.
Aber vielleicht zeigt sich hier einfach die Mechanik im Showbiz Golf. Publikumslieblinge brauchen Antipoden, dann strahlen sie umso heller. Bob Jones hatte sein Gegenstück in Lebemann Walter Hagen, „King“ Arnold Palmer fand sein „Yang“ im frühen Jack Nicklaus, Tiger Woods im einstigen „Erzrivalen“ Phil Mickelson. Spieth, Fowler und Co. haben Patrick Reed. Er ist die perfekte Besetzung!