Die Japaner sind Meister der Handwerkskunst. Sie haben eine wunderbare Methode entwickelt, mit Rissen, Sprüngen oder Scherben umzugehen. Wegwerfen kommt eh nicht infrage, gleichermaßen kleistern sie zerdeppertes Porzellan und gesprungene Keramik nicht einfach lieblos zusammen. Vielmehr verbinden oder füllen sie Fragmente, Nahtstellen, Lücken ebenso filigran wie liebevoll mit Urushi, besser bekannt als Chinalack.
Und weil dem eigentlich farblosen Harz des Lackbaums vielfach Pulvergold beigegeben ist, hat das Ergebnis oft eine ureigene edle Schönheit und zeigt, dass Brüche und Schmisse nichts Schlimmes oder Hässliches sein müssen, dass sie individuell sind und gar zur Zierde geraten können. Es kommt halt darauf an, wie sie gekittet werden. Kintsugi ist der japanische Begriff für solche Goldverbindungen. Die Metaphorik drängt sich geradezu auf.
Profigolf der Herren ist ein Scherbenhaufen
Auch das Profigolf der Herren kommt gerade irgendwie einem Scherbenhaufen gleich. Zerschmissen vom Zaster der Saudis und dem bockigen Monopolismus der PGA Tour, die dem Angriff auf die Grundfesten des Golfestablishments nichts entgegenzusetzen hatte und wusste als dasselbe schmierige Klebemittel, von dem der Usurpator aus Riad ohnehin im Übermaß hat. Aber welche Alternativen hätte es gegeben in einer Welt, die Werte längst nur noch in Währungseinheiten bemisst?
Also läuft vor der teils entsetzten, teils hämisch feixenden Golfgemeinde in der Galerie ein Schaustück über die Macht der Moneten und die Ohnmacht der Moral, über die Halbwertzeit von Gelübden und die Haltlosigkeit von Treueschwüren. Die Posse um Politik, Penunzen und Perfidie geht diese Woche in ihre dritte Staffel, ausgestattet mit neuen Protagonisten – wie es sich für eine gute Seifenoper gehört. Als vorerst Letzte sind Legion-XIII-Zenturio Jon Rahm und sein frisch akquirierter Decurio Tyrrell Hatton wortbrüchig geworden. Oder wie es Xander Schauffele dieser Tage formulierte: „Jedes Mal, wenn ich höre, dass jemand sich vollmundig zur Tour bekennt und sein Bleiben beschwört, denke ich mir: Du bist schon so gut wie weg.“
PGA Tour Enterprises als Begleitmusik beim LIV-Auftakt
Doch dieses Jahr wird die Ouvertüre zur LIV Golf League 2024 an anderer Stelle gespielt. Während sich das Personal des Konkurrenz-Circuits ins mexikanische Mayakoba aufmacht, hat die PGA Tour den Schlusspunkt unter die Partitur mit dem Konsortium aus US-Sportunternehmen und -unternehmern namens Strategic Sports Group (SSG) gesetzt und damit die Orchestrierung des neuen, profitorientierten Unternehmens PGA Tour Enterprises finalisiert, in dem sie ihr milliardenschweres Tafelsilber aus kommerzialisierbaren Rechten und Lizenzen vor dem Zugriff der US-Steuerbehörden in Sicherheit bringen will.
Tour-Commissioner Jay Monahan und SSG-Frontmann John Henry, dessen Fenway Sports Group unter anderem Eigentümer des FC Liverpool ist und sich dort gerade von Trainer Jürgen Klopp verabschieden muss, haben die entsprechende Vereinbarung unterzeichnet und PGA Tour Enterprises Leben eingehaucht. Vollzug! Samt appetitlichem Angebot über Anteilseignerschaften an die Mitgliedschaft als Belohnung für Tour-Treue und mit dem Segen des von Spielern dominierten Verwaltungsrats, aka Policy Board.
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Und Al-Rumayyan ist immer noch außen vor
Wow, das ging schnell. Dabei wollten Tour-Commissioner Jay Monahan sowie seine Unterhändler Jimmy Dunne und Ed Herlihy doch eigentlich den Deal mit den Saudis und ihrer Staatsschatulle Public Investment Fund (PIF) unter Dach und Fach bringen, dessen Ankündigung durch den „Commish“ und seinen Counterpart, PIF-Boss Yasir Al-Rumayyan, am 6. Juni 2023 den Golfglobus mit Donnerhall erschüttert hatte. Dieser Offenbarungseid der Tour, vom finanziellen Fingerhakeln mit dem PIF schwer angeschlagen und am wirtschaftlichen Abgrund balancierend, hatte die Mitgiftjäger überhaupt erst angelockt.
Jetzt liegt die Tour schon mit dem Nebenbuhler im Bett, während der designierte Bräutigam Al-Rumayyan immer noch unterm Fenster steht und balzt, mit der Abwerbung von Rahm und Hatton gleichwohl gezeigt hat, dass seine Brautschau nicht alternativlos ist. Was für eine schräge Situation. Wenigstens den US-Senat wird’s freuen.
Pikanterweise passiert, was Mickelson angeprangert hatte
Und nun? Pikanterweise passiert jetzt das, was Phil Mickelson 2022 angeprangert und gefordert hatte, als er sein Riesenfass gegen die Tour aufmachte: Die Spieler profitieren mit PGA Tour Enterprises in erweitertem Umfang an den Rechten, die sie jedes Jahr neu an die Tour abtreten. Rory McIlroy hat schon mal zugegeben, dass „Lefty“ ein Großteil Verdienst am Paradigmenwechsel in Ponte Vedra Beach habe: „Er hat bloß den falschen Weg gewählt.“
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Aber was wird aus dem Pakt mit dem PIF, von dem Monahan und Co. mantrahaft beteuern, er sei nach wie vor gewollt, es gehe derzeit indes um Fragen zum regulatorischen Rahmen? Will Al-Rumayyan überhaupt ein Dreiecksverhältnis? Ohne Not zu teilen gehört sicherlich nicht zum Selbstverständnis der Saudi-Fürsten. Zumal er mit seinem avisierten Einstand von drei bis vier Milliarden Dollar lediglich Minderheitspartner ist, wird der Wert des so schlagartig realisierten Konstrukts PGA Tour Enterprises doch mit zwölf Milliarden Dollar veranschlagt, und zudem genau weiß, dass die Amerikaner in Zweifelsfällen gewiss zusammenhalten und gegen ihn Front machen würden.
Millionen für Rahm und Hatton bloß, weil man es kann?
Oder: Warum hat er von seinem Kalfaktor Greg Norman überhaupt noch weitere 65 Millionen für Hatton ausgeben lassen, wenn die LIV-Liga bei Zustandekommen des Deals doch ab 2025 unter der Stabführung von PGA Tour Enterprises laufen soll und all die Abtrünnigen amnestiert werden?
Die paar hundert Millionen für Rahm als Schuss vor den Bug und Warnung für die fremd flirtende PGA Tour kann man ja noch nachvollziehen. Al-Rumayyans Herr und Meister, der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman, hat sich 2017 auch für 450 Millionen Dollar den Salvator Mundi gegönnt hat, mit dem Heiland-Jesus-Motiv eine Art „männliche Mona Lisa“ und das berühmteste Bildnis der Christenheit. Einfach, um der Welt zu zeigen, dass man es kann.
Dauerhafte Spaltung wie im Boxsport?
Andererseits kann sich die PGA Tour ein weiteres Wettrüsten mit den Saudis nicht leisten, trotz der üppigen Ausstattung von PGA Tour Enterprises, wo die SSG insgesamt drei und als erste Tranche 1,5 Milliarden Dollar einschießt. Für den PIF sind das alles Peanuts, der auf 700 Milliarden Dollar sitzt wie im „Hobbit“ der Drache Smaug auf dem Schatz unter dem Berg. Oder ist der Deal längst tot und Al-Rumayyan baut vor sowie LIV Golf weiter aus? Zumindest wurde immer mal wieder von überzogenen Forderungen der Saudi-Unterhändler berichtet, die ihren Boss Al-Rumayyan an den Kopf des Tischs PGA Tour Enterprises sowie in eine Menge reputierlicher Positionen im Ökosystem des Golfsports heben sollen.
Dann droht dem Spiel eine dauerhafte Spaltung, wie sie dem Boxsport keineswegs gutgetan hat. Die Saudis halten das auf jeden Fall länger durch, so sie denn wollen. Die Majors sind dem Golfestablishment keine Hilfe, und das System der Weltranglistenpunkte wird längst nicht nur von LIV-Sympathisanten für obsolet angesehen.
„Sehe, wo Golf steht, und es ist schlecht für beide Parteien“
Zu guter Letzt: Warum backt Rory McIlroy von Monat zu Monat kleinere Brötchen? 2023 gab’s für ihn noch um keinen Preis ein Zurück für die LIV-Überläufer, mittlerweile würde er sie bedingungslos wieder aufnehmen. Es ist das jüngste Zugeständnis einer Reihe von erstaunlichen Kehrtwendungen. „Ich sehe, wo der Golfsport steht, und ich sehe, dass eine geschrumpfte PGA Tour und eine geschrumpfte LIV Tour oder irgendetwas anderes schlecht für beide Parteien sind“, sagt der Nordire über seinen Sinneswandel. „Je schneller wir alle wieder zusammenkommen und anfangen, mit den stärkstmöglichen Feldern zu spielen, desto besser ist das für den Golfsport.“
Selbsternanntes „Opferlamm“ war Teil der Entwicklung
McIlroy weiß eh mehr, als er zugibt. Das selbsternannte „Opferlamm“ war auch weit vor dem 6. Juni über das geplanten Rahmenabkommen zwischen PGA Tour und PIF informiert und allenfalls überrascht von der schnellen Übereinkunft und von der kurzfristigen Verkündung. „Ich habe Yasir [Al-Rumayyan] 2022 in Dubai getroffen und ihn einfach gefragt: Was willst Du? Was willst Du im Golf machen?“, hat der34-Jährige in dem aufschlussreichen und gleichsam brisanten Gespräch mit dem Fußball-Podcast „Stick to Football“ zugegeben. „Ich habe in diesem Gespräch einiges verstanden und Anfang 2023 im Vorstand der Tour gesagt: Hey Jungs, jemand muss mit diesem Mann sprechen!“ Und: „Es gab den Plan, dass eins der Vorstandsmitglieder versuchen sollte, eine Beziehung zu ihm [Al-Rumayyan] aufzubauen und zu sehen, ob wir versuchen können, etwas herauszufinden und alle gemeinsam voranzukommen.“
„Wir hatten ein wirklich gutes Gespräch. Er liebt das Spiel, glaubt an das Teamelement und möchte einen Franchise-Wert aufbauen. Ich habe einiges viel besser verstanden.“
Rory McIlroy über sein Treffen 2022 mit PIF-Chef Yasir Al-Rumayyan
Dieses Eingeständnis legt den Schluss nahe, dass der zum Vordenker und Wiedervereinigungs-Fürsprecher avancierende McIlroy nun mit all seinen Aussagen, Relativierungen und Euphemismen retten will, was noch zu retten ist, wo die Tour durch die Liaison mit der SSG gerade den PIF entweder provoziert oder verprellt – was beides eher zum Bumerang werden könnte. Daher lieber ein Frieden um jeden Preis als weiter das Tauziehen der Touren.
Einer muss nachgeben, sonst geht der Golfsport an dieser Spaltung zugrunde, weil immer mehr Sponsoren vergrätzt und Fans vergrault werden. McIlroy ist sich dessen bewusst. Sogar Phil Mickelson hat ja bereits zu Friedfertigkeit und Eintracht aufgerufen, während nur notorische Stänkerer wie Ian Poulter, Lee Westwood oder Sergio Garcia ihre Galle nicht herunterschlucken können.
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Der goldene Lack des Hoffnungsschimmers
Die Saudis werden nicht klein beigeben oder zurückstecken, das entspricht nicht ihrem Wesen. Sie wissen, dass die letztlich mit ihrem Geld alles kaufen können. Ein jeder und ein jedes hat offenkundig seinen Preis, den gilt es halt zu ermitteln – Jon Rahm lässt grüßen.
Ist die Kluft überhaupt noch zu kitten? Es gibt einen Hoffnungsschimmer, der so golden glänzt wie der eingangs erwähnte Urushi. Al-Rumayyan ist Pragmatiker. Auch ihm ist klar, dass die Situation auf Dauer haltlos und keiner Partei wirklich von Nutzen ist. Vielleicht sieht der PIF-Boss die veränderten Verhältnisse in den PGA Tour Enterprises daher nicht als Affront, sondern als Chance. Er hat die Alleinstellung als Investor zwar verloren, kriegt stattdessen aber direkten Zugang zu den „Movers and Shakers“ des amerikanischen Sportbusiness. Die damit verbundenen Perspektiven für das prestigesüchtige Regime in Riad könnten zum Kintsugi werden für den Riss im Profigolf der Männer.