Die Tante war’s: Rose Naliaka, Kenias erste Proette, Weltreisende in Sachen Damengolf, Gewinnerin von zig Titeln, Begründerin einer Stiftung samt einer Golf-Akademie für Mädchen aus wirtschaftlich schwachen Familien, aus den Slums, aus den armen Landregionen. Die Grand Dame des Spiels in Ostafrika nahm ihre Nichte Naomi an die Hand – wortwörtlich und im übertragenen Sinn. Naliaka kümmerte sich um die jüngste von vier Geschwistern, um die Mutter zu entlasten.
Die Naliaka-Girls
Anfangs lief Naomi bei den Turnierrunden ihrer Tante mit, später spielte sie sonntags selbst mit „Auntie Rose“ immer mal wieder ein paar Löcher. Und als Naliaka 2007 das „African Golf Programme“ ins Leben rief, „um meine Freude an diesem Spiel mit jemandem zu teilen, meine Erfahrungen als Trainerin und Mentalcoach weiterzugeben, um letztlich etwas zurückzugeben“, gehörte die talentierte Verwandte aus Kitale im Westen des Landes, ohnehin eine Sportskanone, mit Schulmedaillen im Schwimmen, in der Leichtathletik oder beim Basketball, zu den ersten Stipendiatinnen. Rund 20 Single-Handicapperinnen hat die Akademie seitdem hervorgebracht, Naliakas Nichte Naomi ist mittlerweile 25 Jahre alt und eine der besten Golferinnen des Landes. „Zuhause kennen uns immer noch alle als die Naliaka-Girls. Wir stammen alle aus ärmlichen Verhältnisse, da bekommen wir solche Möglichkeiten normalerweise nicht. Rose hat uns eine Chance gegeben und unsere Lebensperspektiven verändert“, sagt sie lächelnd. „Wir sind mit ihr und mit dem Spiel erwachsen geworden.“
„Träume können wirklich wahr werden“
Naomi Angella Wafula hat gut lachen in diesen Tagen. Unser Gespräch findet in der Players Lounge des Amundi German Masters im Golf- und Country Club Seddiner See statt: Die Amateurin mit Handicap +1,9 und Weltranglistenplatz 941 nimmt zum zweiten Mal am einzigen Turnier der Ladies European Tour auf deutschem Boden teil. Wobei „teilnehmen“ der Sache eigentlich nicht gerecht wird: „Die Chance, einfach Golf spielen zu dürfen und dadurch hier sein zu können, ist ein Wunder und zeigt, dass Träume wirklich wahr werden können.“
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Wafula ist auf Rundreise. Sie war bei der Porsche European Open nahe Hamburg und spielte beim Pro-Am auf dem Nord Course der Green Eagle Golf Courses im Flight von Paul Waring mit, durfte auf der Range neben den Profis trainieren. Dann ging’s an den Seddiner See und auf den anspruchsvollen Robert-Trent-Jones-Course. Zehn Tage bereitete Wafula sich vor Ort auf das zweite Turnier ihres Lebens außerhalb von Kenia vor: „Ich habe hart trainiert und mit einem Trainer besonders am Putten gearbeitet, das ist echt meine Schwäche“, verrät sie mit ihrem entwaffnenden Lachen: „Ich werde sicher nervös sein, das bin ich vor dem Abschlag immer. Doch es legt sich meistens, sobald ich unterwegs bin.“ Der erste Ball schlug jedenfalls präzise im Fairway ein; „good shot“ lobte Mitspielerin Karo Lampert.
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„Es war cool, mit so einer erfahrenen Spielerin zusammen unterwegs zu sein“, resümierte Wafula ihre erste Runde. „Man tauscht sich unterwegs aus, und das hilft mir enorm.“ Geholfen hat sicher auch der Video-Chat zuvor mit Hund Tiger. Der erst sieben Monate alte Mischling avancierte bei der Magical Kenya Open Anfang des Jahres zum Liebling der LET-Ladies., durfte indes die Reise nach Deutschland nicht mitmachen. „Aber ganz viele Spielerinnen haben mich gefragt: Hey, Naomi, wie geht es Tiger?“ Zu Hause in Kenia verbringt Wafula sehr viel Zeit mit ihrem vierbeinigen Gefährten: „Ich trainiere gern allein, und er ist dafür ein perfekter Begleiter, der für gute Stimmung sorgt.“
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Beim Heimspiel auf dem Baobab Course des Vipingo Ridge Resorts belegte die Amateurin den 56. Platz; im Golf- und Country Club Seddiner See lief es nach dem gelungenen Auftakt indes nicht so gut; Wafula kam mit einer 80 (+8) zurück ins Clubhaus und war etwas niedergeschlagen. Ausgerechnet der Driver hatte sie dann doch im Stich gelassen, „obwohl ich mich damit eigentlich immer sehr sicher fühle“. Es ist mehr Verwunderung als Ärger. „Als echte Sportlerin willst du dich immer weiter entwickeln und gewinnen. Oder mindestens ein gutes Ergebnis einfahren.“ Aber sie ist auch realistisch: „Ich bin auf einem Weg. Klar würde ich gern den Cut schaffen, darauf arbeite ich ja hin. Aber egal, wie es ausgeht – es ist jedenfalls eine super Erfahrung, die mir weiterhelfen wird. Ich bin ja noch Amateurin, und all die Proetten um mich herum motivieren mich gewaltig.“
Vipingo Ridge Resort als Sponsor
Das war nicht immer so. Nach der „Grundausbildung“ auf der Akademie der Tante schmiss das Naliaka-Girl die Schläger erstmal in die Ecke, schlug sich vier Jahre lang als Pommes-Frites-Verkäuferin an einem Straßenstand durch. „Eigentlich weiß ich gar nicht mehr, warum ich das gemacht haben“, räumt sie ein. „Ich wollte einfach nicht mehr spielen, stattdessen mal was anderes für mein Leben ausprobieren.“
Dennoch: Der Golfbazillus war stärker. 2018 war Naomi wieder am Ball, bestritt erneut Turniere, spielte gut. Und fand Förderer. Außerdem wurde man im knapp 40 Kilometer nördlich von Mombasa gelegenen Vipingo Ridge Resort auf das Talent aufmerksam, bot Wafula Unterstützung und ein Sponsoring an. Und nicht zuletzt ist da Dirk Glittenberg, der mit seiner Medien-, Event- und Spieleragentur U.COM (Düsseldorf) seit Jahren Partner der Ladies European Tour ist, 2021 die Magical Kenya Ladies Open ins Leben gerufen hatte, 2022 die LET wieder nach Deutschland holte, seit drei Jahren überdies Promoter der Porsche European Open auf der DP World Tour ist, sich auch persönlich intensiv für die Entwicklung des Golfsports in Kenia engagiert und die Athletin unter seine Fittiche genommen hat. „Dirk und alle anderen bei U. COM kümmern sich ganz toll um mich, während ich hier bin.“
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Mehr noch: Glittenberg verlängerte ihre Europa-Erfahrung, besorgte ihr einen Startplatz bei der Czech Ladies Open kommende Woche und bei der anschließenden Ladies Open by Pickala Rock Resort in Finnland. „Ich bin dankbar, diese Einladungen bekommen zu haben und freue mich total auf die Turniere“, strahlt Wafula. Tiger wird also noch eine Weile auf sein Frauchen warten müssen. Aber das kuschelige Kerlchen ist daheim in Kenia bestens aufgehoben.
Coaching für Kids aus der „Future Hope“-Schule
Naomi lebt mittlerweile am Rand von Vipingo Ridge, trainiert fünfmal in der Woche auf der Anlage und mit den Pros von Vipingo, kann den Fitnessbereich nutzen: „Das hat großen Einfluss auf mein Spiel. Ich habe im Vergleich zu früher eine Menge an Schlaglänge gewonnen, mich aber auch insgesamt deutlich verbessert.“ Nebenbei hilft sie im Pro-Shop aus und kümmert sich als Coach immer dienstags um die Kids der „Future Hope“-Schule im Vipingo Village, die im Resort kostenfreien Golfunterricht erhalten. Dafür hat sie bei US Kids Golf extra die entsprechenden Ausbildungslizenzen gemacht. „Der Golfsport ist kostspielig und man braucht eine Menge Unterstützung. Aber, wie gesagt, ich komme halt nicht aus einer gut situierten Familie“, verdeutlicht Wafula. „Mit all dem habe ich eine bessere Chance, meine Träume verwirklichen zu können.“
„Irgendwann auch Professional werden“
Ihr Ziel ist, genug Punkte zu sammeln, um sich für die Q-School zur Access Series anzumelden. Dafür muss sie die LET-Gastspiele nutzen und gut spielen, „weil wir in Kenia nicht so viele hochrangige Turniere haben“. Diesmal ist freilich nichts Zählbares herausgesprungen. Der 80 folgte eine 79, damit war der Cut beim Amundi German Masters in weiter Ferne. „Natürlich bin ich enttäuscht. Aber ich werde einfach weiter hart arbeiten, und eines Tages werde ich das schaffen“, beteuert Naomi Wafula: „Denn natürlich möchte ich irgendwann ebenfalls Professional werden.“ Sprach’s und marschierte auf die Range, um ihren Driver in den Griff zu kriegen. So hat Rose Naliaka es ihre Schützlinge gelehrt: „Disziplin ist das A und O. Disziplin, Verantwortung und Zeitmanagement sind die Grundvoraussetzungen für Erfolg.“
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