Henrik Stenson weiß genau, wie der Hase läuft. Die European Tour hat ihm den Marschplan für's Finale haarklein ausgerechnet: Der Spitzenreiter im Race to Dubai darf Justin Rose oder Graeme McDowell die DP World Tour Championship nicht gewinnen lassen, sonst ist der Gesamtsieg futsch. Und sollte Ian Poulter ganz vorne sein, dann muss Stenson Zweiter werden. Auch für seine weiteren Verfolger gibt‘s allerlei Rechenspiele. Am besten aber gewinnt der Schwede auf dem Earth Course der Jumeirah Golf Estates, dann ist alles Makulatur.
Henrik Stenson war nie so gut wie 2013. Mit dem Race to Dubai als „Glasur auf dem Kuchen“ (Stenson) könnte der 37-Jährige das Lametta an eine Spielzeit hängen, die dank des FedExCup-Triumphs eh schon die erfolgreichste seines Lebens ist. Platz zwei bei der British Open, geteilter Zweiter beim WGC-Bridgestone Invitational, Dritter bei der PGA Championship, Sieg bei der Deutsche Bank Championship und bei der Tour Championship, Nummer drei der Welt – das sah schon mal schlechter aus. Viel schlechter.
Yips mit dem Driver
2001 wurde Stenson, seit drei Jahren Professional, vom Driver-Yips heimgesucht. Er hatte gerade die Bühne der European Tour betreten und mit der Benson & Hedges International Open sein erstes großes Turnier gewonnen. Doch plötzlich segelten seine Abschläge unkontrolliert durch die Gegend. Noch heute benutzt der Longhitter ungern das Holz eins, vertraut lieber dem Dreier, das er fast genau so weit schlägt. „Dabei kann Henrik mit seinen 300-Meter-Drives einen Platz förmlich auseinander nehmen“, sagt Trainer Pete Cowen, bei dem Stenson damals Hilfe suchte.
Drei Jahre dauerte es, bis der Mann aus Göteborg wieder in der Spur war. Er siegte vier Mal auf der European Tour und krönte seine Renaissance mit dem Gewinn der WGC-Accenture Matchplay Championship 2007 und der „Players“ 2009, war Weltranglisten-Vierter. Dann fiel Stenson erneut in ein tiefes Loch.
Verzockt und vom Virus geschwächt
Viele meinen, es lag an den Fehlinvestitionen in den Fonds des Anlagebetrügers Allen Stanford, die dem kreuzehrlichen Familienmenschen so viel Schuldbewusstsein verursachten, dass er auf dem Golfplatz seine Sinne nicht beisammen halten konnte. Immerhin soll Stenson eine siebenstellige Summe verzockt haben, als 2009 das Schneeballsystem seines Sponsors Stanford Financial Group aufflog. Coach Cowen weiß es besser: „Viel schlimmer war die parasitäre Infektion, die er sich beim Urlaub auf den Malediven zugezogen hat.“ Stenson verlor enorm an Gewicht und Muskelmasse und brauchte 18 Monate für die Rekonvaleszenz, 2011 kam eine Meniskus-Operation im linken Knie dazu, er rutschte in der Weltrangliste auf Platz 230 ab.
In der damaligen Verfassung hätte Stenson vermutlich nicht mal die Vereins-Meisterschaft im Gulbringa Golf Club gewonnen. Dort spielte er mit zwölf Jahren seine erste Runde und nervte seine Mutter, weil die Kids sich ihre Bälle in den Teichen zusammen klaubten und Jung-Henrik fast täglich mit verdreckten Klamotten zu Hause auftauchte. Wahrscheinlich habe ihn das beeinflusst, erzählt Stenson gern, als er sich im März 2009 bei der WGC-CA Championship in Doral bis auf die Unterhose auszog, um den Ball aus einem Wasserhindernis zu schlagen und seine Kleidung zu schonen.
Besser als je zuvor
Anfang 2012 zog der Hobby-Rennfahrer und begeisterte Skiläufer mit Ehefrau Emma und den Kindern Lisa (6) und Karl (3) von Dubai nach Orlando/Florida. Ende des Jahres holte er sich die South African Open. Und in diesem Sommer spielte Stenson besser Golf als je zuvor, wie immer ein Stoiker auf dem Platz hinter seiner unvermeidlichen Sonnenbrille. „Niemals aufgeben“, das ist seine Erkenntnis aus den beiden Abstürzen.
„Golf ist ein komisches Ding“, sagt Stenson, der abseits des Arbeitsplatzes ein lustiger Gesell sein kann: „Jedes Mal, wenn ich mich über den Ball beuge, denke ich trotz meiner derzeitigen guten Form, dass ich noch nicht bei 100 Prozent angelangt bin. Da ist noch Luft nach oben.“ Wenn Stensons Handgelenk hält, werden sich die Orlando-„Buddies“ Rose, McDowell und Poulter mächtig reinhängen müssen, um ihrem Kumpel noch am Race-to-Dubai-Zeug zu flicken.