Der Mann hat die vergangenen Wochen nicht allein mit Weihnachts-, Geburtstags- und Neujahrsfeiern oder Fernsehgucken verbracht: Auch wenn sich Tiger Woods den Sieg bei der Tour Championship, die Krönung seines schier unglaublichen Comebacks 2018, nach eigenem Bekunden „ziemlich oft“ angeschaut hat und erst heute bei der Farmers Insurance Open über seine Lieblingswiese Torrey Pines in die Saison einsteigt – untätig war der 43-Jährige nicht. Im Gegenteil. In Chicago soll ein von Grund auf sanierter öffentlicher Golfplatz quasi eine ganze Gegend reanimieren, und Woods schiebt bei dem ambitionierten Projekt kräftig mit an. „Golf.com“ hat die ganze Geschichte; sie verdient es, erzählt zu werden.
Strahlkraft für die South Side
Die South Side ist ein Stadtbereich des Molochs Chicago, wie es nicht nur in Amerika jede Menge gibt: An der westlichen Kante des Lake Michigan gelegen, hat das Quartier schon deutlich bessere Zeiten gesehen. Erst recht seine öffentlichen Anlagen und die 27 Golflöcher auf städtischem Boden, der 18-Loch-Platz im Jackson Park und das 9-Loch-Geläuf South Shore. Das alles soll sich ändern, alsbald soll daraus ein 6.712 Meter langer und PGA Tour reifer Top-Kurs werden, die Pläne hat Woods mit der Design-Tochter seiner TGR-Gruppe bereits gezeichnet. Die Wiederbelebung des Golfplatzes freilich ist lediglich der, sagen wir, sportliche Aspekt des Geschehens. Seine Strahlkraft soll das gesamte Viertel erfassen, der Jackson Park wieder zur grünen Lunge dieses Teils von Chicago werden, zum Naherholungs- und Freizeitareal für die Bevölkerung, vor allem für die Kids.
Golfjournalist Mark Rolfing als Initiator
Schaut man auf die Beteiligten, so würden Skatspieler sagen: Das ist ein Grand mit Vieren, ein namhafter Trumpf ist halt Tiger Woods. Zuvorderst jedoch steht da Mark Rolfing, Golfexperte beim TV-Sender NBC und in der Wolle gefärbter „Chicago Guy“. Er hatte sich nach dem Ryder Cup 2012 in Medinah in den Kopf gesetzt, den „Apfel Chicago mit seiner glänzenden Schale splendider Privatclubs im Speckgürtel, aber dem fauligem Kern von sechs verrottenden öffentlichen Anlagen in der City“ wieder zu einem Leckerbissen zu machen. Bestärkt wurde Rolfing, als er nach einer erfolgreichen Krebstumor-OP in der Chicagoer Universitätsklinik ausgerechnet in einem Zimmer mit Blick auf den historischen Jackson-Park-Kurs aufwachte – für den Journalisten ein gutes Omen.
Standort für die Präsidentenbibliothek
Währenddessen war in unmittelbarer Nähe ein weiterer großer Name auf der Suche nach dem geeigneten Standort für seine Präsidentenbibliothek: Barack Obama schwankte zwischen der Geburtsstadt Honolulu auf Hawaii, New York oder Chicago, wo seine politische Karriere begann und er als Senator von Illinois fungierte. Die Wahl für den Aufbewahrungsort aller Papiere und Unterlagen seiner auslaufenden Amtszeit, wie er jedem US-Präsidenten zusteht, fiel schließlich auf Chicago und auf den Park-Distrikt. Immerhin hatte Obama seine Frau Michelle 1992 im dortigen Kulturzentrum geheiratet.
Dass der golfbegeisterte „POTUS“ schnell mit Mark Rolfing ins Gespräch kam, dürfte niemand verwundern. Obama war es auch, der Tiger Woods als Designer ins Spiel brachte; Rolfing hatte zuvor das famose Duo Bill Coore/Ben Crenshaw favorisiert.
„Chance, das Gemeinwesen zu verändern“
Beim 14-fachen Majorsieger stieß Obama auf große Resonanz. Nicht allein, weil selbst ein Tiger Woods gut zuhört, wenn der US-Präsident am Telefon ist. „Ich habe auf öffentlichen Plätzen mit Golf begonnen“, erinnert sich Tiger an die Anfangsjahre mit Vater Earl Woods. Jackson Park war ihm sowieso ein Begriff, dort hatte das Ausnahmetalent 1993, drei Jahre vor dem Wechsel ins Profilager, eine Clinic gegeben. „Außerdem hat man nicht alle Tage die Gelegenheit, mit dem Präsidenten an so einem Projekt in dessen Heimatstadt zu arbeiten. Es geht um viel mehr als Golf. Wir haben die Chance, ein Gemeinwesen zu verändern, und davon werden sehr viele Menschen in der South Side profitieren.“
Mike Keiser trommelt Spender zusammen
Fehlt noch der Vierte im Bunde. Mike Keiser hat es mit Glückwunschkarten auf Recycling-Papier zu einigem Wohlstand gebracht, bekannt allerdings wurde der Unternehmer durch grandiose Golfanlagen. Unter seinem Leitsatz „Build it and they will come“ entstanden Preziosen wie Bandon Dunes in Oregon, Cabot Cliffs in Nova Scotia oder Sand Valley in Wisconsin. Keiser hat seinen Firmensitz in Chicago, dort wuchsen auch seine Kinder auf, der jüngste Sohn lernte im Jackson Park die Grundzüge des Spiels. Noch Fragen?
Das Projekt des Quartetts Rolfing, Obama, Woods, Keiser fußt auf vier Säulen. Die Finanzierung wird erstens komplett durch Spenden und Stiftungen realisiert, Keiser hat bereits einen entsprechenden Kreis an Geldgebern zusammen getrommelt. Das Preisgefüge sieht zweitens üppige Greenfees in der Größenordnung von 200 Dollar für Gäste vor, die Chicagos neuen Flaggschiff-Platz spielen wollen, hingegen ermäßigte Gebühren von unter 50 Dollar für Ortsansässige.
Caddie-Programm und Infrastruktur-Belebung
Drittens wird ein Caddie-Programm ins Leben gerufen, das 150 bis 200 Jugendlichen aus der South Side die Möglichkeit eröffnet, mit Golf in Kontakt zu kommen, Geld zu verdienen und sich beim Regionalverband Western Golf Association und deren „Evans Scholars Foundation“ um ein Schülerstipendium für Caddies zu bewerben. Schließlich soll ein Teil des Jackson-Park-Fonds „zweckentfremdet“ werden, also nicht in den Golfplatz fließen. Geplant sind die Renovierung der allgemeinen Sportanlagen im Park, die Überarbeitung der Wege und Straßen, die durch den Park zum Strand führen, nicht zuletzt die Wiederöffnung des öffentlichen Imbisses im Park.
East Lake in Atlanta als Blaupause
Hier schließt sich quasi auch der Kreis zu Tiger Woods. Denn East Lake ist so etwas wie eine Blaupause für die South Side von Downtown-Chicago. Die Stätte seines Comeback-Triumphs war früher eine ziemlich herunter gekommene Ecke, fast ein Slum, in dem Apathie und Kriminalität vorherrschten. Mit der Renaissance des East Lake Golf Club blühte auch das Umfeld wieder zu einem prosperierenden Viertel auf.
„Der wesentliche Grund dafür, dass Tiger überhaupt mit Golfplatz-Architektur begonnen hat, war sein Wunsch, wirkungs- und sinnvolle Projekte zu realisieren“, verdeutlicht Woods‘ Chefdesigner Beau Welling. „Hier in Chicago kommen eine Menge Aspekte zusammen: ein historisches Areal, auf dem seit 1899 Golf gespielt wird, dazu die Vision von Mark Rolfing sowie das Engagement von Präsident Obama und ganz besonders die Chance, etwas für die demographische Vielfalt zu tun.“
Spielwinkel-Platz mit grandiosen Sichtachsen
So soll denn der neue, 30 Millionen Dollar teure Golfplatz zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, Erfolgserlebnisse für Hobbygolfer ebenso bieten wie Herausforderungen für Golfcracks. „Tiger weiß definitiv, wie ein knackiger, schwieriger Platz sein muss. Andererseits soll der Kurs auch Anfängern und Jugendlichen, eigentlich allen Leuten schmecken“, sagt Welling bei „Golf.com“. „Er denkt immer in großen Dimensionen, aber hier ist das besonders wichtig, weil Jackson Park für Weltklasse-Events ebenso da sein soll wie für Kids, die mit Golf anfangen.“
Daher wird das künftige Design weitläufige, nicht übermäßig bebunkerte Fairways haben, dafür indes gut verteidigte Grüns. „Das wird ein Spielwinkel-Platz“, nennt es Welling. „Wenn du wirklich gut scoren willst, dann brauchst du einen sehr präzisen Annäherungsschlag auf Basis eines gut platzierten Abschlags.“ Nicht zuletzt lebt das Layout von den Sichtachsen. Mindestens zehn Bahnen haben den Lake Michigan oder die Skyline von Chicago zur Kulisse, die Löcher 14 bis 17 liegen direkt am Wasser. Cassandra Curry, die als Vertreterin der kommunalen Golfabteilung in das Projekt involviert ist, träumt bereits von einem „Pebble Beach des Mittleren Westens“.
Papierkram läuft, Start im Spätfrühjahr?
Fehlt bloß noch ein hochkarätiges Golfturnier. So eins wie die BMW Championship, die ohnehin von der Western Golf Association mitgetragen wird. „Die PGA Tour möchte uns auf jeden Fall im Kalender haben“, verrät Rolfing, der aber noch ein ganz anderes Event im Hinterkopf hat, den Presidents Cup 2029 nämlich: „Wir haben einen US-Präsidenten an Bord und unser Architekt ist der aktuelle Kapitän des US-Teams, den Rest könnt ihr euch ausrechnen...“
Derzeit laufen die letzten Planfeststellungs- und Genehmigungsverfahren, im Spätfrühjahr könnte es losgehen mit diesem – man ist geneigt zu sagen – vorbildlichen Projekt. Doch die Konstellationen, zumal die personellen sind einzigartig. So bleibt ein bisschen positiver Neid; manchmal ist Amerika nach wie vor das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Oder wie der erwartungsfrohe Beau Welling es ausdrückt: „Wann kann man schon mal mitten in der Stadt einen Golfplatz bauen!“ Visionär Mark Rolfing setzt noch einen drauf: „Alle, die im Golf was zu sagen haben, die Tour ebenso wie die Verbände, sollten dieses beispielhafte Modell für nachhaltiges Golf im städtischen Raum mit seiner einmaligen Vielfältigkeit unterstützen.“