„Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was erzählen“, weiß der Dichter, in diesem Fall Matthias Claudius (1740-1815). „Drum nähme ich den Stock und Hut und tät das Reisen wählen.“ Derzeit allerdings ist das eine eher ambivalente Empfehlung. Flughafen-Chaos, Flugplan-Verwerfungen und Gepäck-Horror lassen „das Reisen“ bereits zu einem eher unliebsamen Abenteuer werden, bevor das Ziel überhaupt erreicht ist. Und Golfer sind gleich doppelt betroffen, schleppen sie – um bei Claudius zu bleiben – neben Hut, sprich Koffer, doch in der Tat zumeist auch gleich mehrere Stöcke, aka das Besteck im Travelcover, mit sich herum. Es sei denn …
Szenenwechsel: Das „Redan“-Loch von North Berwick, die Nummer 15 der West Links, eins der berühmtesten Par-3 der Welt; blauer Abschlag, 162 Meter zur Fahne. Die Hand tastet nach dem vertrauten Fünfer-Eisen im Bag, viel Flex fürs altersbedingt niedrige Schwungtempo. Doch was zutage gefördert wird, ist eine Stahlstange von der Biegsamkeit einer Eisenbahnschwelle, mit zu dünnem, abgewetztem Griff überdies – und einem Schläger-Köpfchen im Teelöffel-Format. Kann das gut gehen? Ein fataler Gedankengang, Golf wird nun mal zuvorderst im Kopf gespielt. Das Ende vom Lied? Schwamm drüber.
Am Flughafen in Edinburgh stapelt sich das Golfgepäck
Ich bin in Schottland. Mit einer Handvoll Golfjournalisten aus Deutschland, den Niederlanden, Schweden und Finnland. Alle Welt ist dieser Tage in Schottland. Australier, Nordamerikaner, Asiaten, Europäer sowieso: Sie kamen zur 150. Open Championship, bevölkerten die Randbereiche des Old Course und brachten St. Andrews zum Überlaufen, stromern nun über die Linksgolfplätze rund um den Firth of Forth. Ihr Golfgepäck indes stapelt sich vielfach am Flughafen in Edinburgh – wenn es denn überhaupt angekommen ist. Die Bilder waren allenthalben zu sehen: Berge von Bags, die zu spät oder woanders übers Band liefen, die (noch) nicht abgeholt wurden, weil Tee Times gebucht waren und sich angesichts übervoller Bücher nicht verschieben lassen, um am Airport im Chaos zu graben und zu wühlen.
Wow, thousands of lost bags just sitting piled up at @EDI_Airport. Absolutely shocking! pic.twitter.com/PxbT9u3LbY
— Daragh Bass (@standout_media) July 18, 2022
Derart viele Golfer sind ohne ihr eigenes Equipment unterwegs, dass die professionellen Schlägerverleiher längst Alarm geläutet haben: ausverkauft, keine Leihschläger zu kriegen. Man trifft Foursomes, die sich aus einem einzigen Bag bedienen müssen; andere hoffen auf Hilfe in den jeweiligen Golfclubs.
Hilfsbereiter Kollege, freigiebiger Gastgeber
Wohl dem, der jemanden kennt, der Ausrüstung vor Ort hat – einen Medienkollegen beispielsweise, der Mitglied in Panmure ist und dort Stöcke im Spind stehen hat. Oder einen ebenso freundlichen wie freigiebigen Gastgeber, der dem schlägerlosen Reisenden spontan aus seinen Zweit- und Drittsätzen und dem Bag des Sohns was überlässt: Driver, Holz 5, ein Sammelsurium von Eisen und Wedges. Womit die Sache mit dem ungewohnten Stahlschaft-Fünfer von North Berwick erklärt wäre. Gilt noch, das „Es sei denn …“ vom Einstiegsabsatz aufzulösen: Ich bin nur mit Handgepäck geflogen, um den Schlangen am Check-in und an der Gepäckaufgabe sowie sämtlichen Verlustängsten zu entgehen und mich direkt in die Menschentrauben vor den Sicherheitskontrollen einbringen zu können.
Die Lage an der Verleih-Front war allerdings nicht einkalkuliert, als diese Entscheidung reifte; der entsprechende Informationsfluss wirkte erstmal wie ein Kaltwasser-Guss. Aber glücklicherweise gibt’s ja im allergrößten Notfall den besagten Kollegen. Und eben Malcolm Duck. Der weißhaarige und weißbärtige Schotte gehört zu den treibenden Kräften des Marketingverbunds „Scotland’s Golf Coast“, der gemeinsam mit den Touristikern von „Visit Scotland“ zu diesem Trip in die schottische Council Area East Lothian eingeladen hat, um den Golf-Reichtum der Region zu vermitteln. 21 herausragende Plätze im Radius von 20 Minuten Autofahrt – das sagt alles. Mehr davon demnächst.
Für jetzt zurück zu Malcolm Duck. Der 61-Jährige, einst Elitesoldat und immer noch Angehöriger der Royal Marines, ist in der schottischen Golfszene bekannt wie ein bunter Hund. Besser: Wie eine gescheckte Ente. Eine Type ist er sowieso: eckig und eloquent, mit großem Golfherzen und scharfer Zunge.
Barstool Putting in der Kultstätte Duck’s Inn
Sein Duck’s Inn in Aberlady am nördlichen Saum des Firth of Forth – „Bar und Restaurant mit angeschlossenen Zimmern“, wie er gern sagt – ist eine Art Kultstätte. Allein schon wegen des Thekenbereichs, der vor Golf-Memorabilia schier platzt – mit Fahnen an der Decke, die vom Who’s Who des Sports signiert wurden, mit Erinnerungsfotos, Stichen und Gemälden an den Wänden, mit golfenden Enten selbstverständlich ebenso. Nicht zuletzt vor allem wegen des allabendlich mit großen Hallo und Gejohle zelebrierten „Barstool Putting“.
Das lässt sich kaum erklären, wenn man nicht dabei gewesen ist. Und es ist vermutlich einfacher aufzuzählen, wer noch nicht im Duck’s Inn auf einem Barhocker gestanden ist und versucht hat, den auf einem benachbarten Hocker platzierten Ball in eine Wippe zu befördern, die im Idealfall unter dem Gewicht des bis an ihr Ende gerollten Balls kippt. Die Wände der Bar jedenfalls sind voll von glücklichen, weil erfolgreichen Kombattanten, die ihren Namen dann mit Filzstift auf die Tapete krakeln dürfen.
Der Leih-Putter aus dem Barstool-Reservoir
Mir wird freilich ein besonderes „Geschenk“ zuteil. Ich darf mir aus dem Reservoir neben dem Tresen einen passenden „Short Stick“ aussuchen und ins Tragebag stecken, das seinen eigentlichen Besitzer übrigens als Mitglied des exklusiven Renaissance Club ausweist, wo neulich wieder – als Warm-up für St. Andrews und den Old Course – die Scottish Open der Herren stattfand. Ein solchermaßen beseelter Putter, in dem so viel „Spirit of the Game“ steckt, macht sämtliche fremde Ausrüstung mehr als wett. Damit kann auf auf den Links von Scotland’s Golf Coast dann doch nichts mehr schief gehen.
(scotlandsgolfcoast.com, visitscotland.com).
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch das Portal „Scotland Where Golf Began“, zu dessen Begründern Malcolm Duck zählt.