„Campo da Golf“: Links abbiegen. Ein schmales Sträßchen hinter dem „Hotel Adler“. Im Rückspiegel zerschneidet die Hausecke das Azurblau des Comer Sees. An Häuserwänden entlang, ein paar Serpentinen noch, hinein in den Hochwald. Die Einfahrt mit dem Wappenschild weist das Ziel: „Menaggio & Cadenabbia Golf Club“, bezaubernd pittoresk, auf hinreißende Art irgendwie aus der Zeit gefallen. Eine andere Welt hoch über dem „Lago“ mit seinen ebenso splendiden wie belebten Promenaden.
Nach ein paar Bällen auf der putzigen Driving Range stehe ich am ersten Abschlag. Das Panorama ist wieder da. In der Ferne leuchten vereinzelte Schneefelder unterhalb der Berggipfel des Alpenmassivs, hinter meiner rechten Schulter glitzert Italiens drittgrößter See in der Morgensonne.
18 Löcher auf einem Hochplateau
Aber für mich geht‘s abwärts in Richtung Fairway, mit einem Eisen fünf tauche ich buchstäblich in den Platz ein. Die 18 Löcher ziehen sich über das Hochplateau von Croce, ein Auf und Ab schmaler Bahnen, mit dichtem Baumbestand gesäumt, uralte Feldstein-Schober beobachten mein Spiel wie stumme, grimmige Wächter.
Es ist historisches Terrain. Der „ Menaggio & Cadenabbia Golf Club“ beging 2007 sein hundertjähriges Bestehen, er ist das, was die Begründer des Golfsports „a hidden gem“ nennen. Das englische Vokabular ist durchaus angebracht, denn die Wurzeln dieses verborgenen Juwels sind so britisch wie das Spiel selbst.
Als Gründer wurden vier Gentlemen in den Annalen vermerkt, Stammgäste am Comer See, die im Urlaub nicht auf Golf verzichten mochten. Die „Sommerfrischler“ um Bankier Henry John Mylius legten neun Bahnen ins Gelände. 1919 kaufte Mylius‘ ebenfalls begüterter Verwandter und Präsidentennachfolgen Alfred Wyatt zusätzliches Land auf, um die Anlage zu erweitern. Für das Design holte er den fünffachen Champion-Golfer John Henry Taylor nach Oberitalien, neben Harry Vardon und James Braid Mitglied des ikonischen „Großen Triumvirats“, das rund um die Wende vom 19. aufs 20. Jahrhundert mit insgesamt 16 British-Open-Erfolgen die Golfszene auf den britischen Inseln beherrschte. Taylor soll übrigens auch das „Dogleg“ erfunden haben.
Quer gelegter Bunker als strafendes Design
In Menaggio war‘s wohl noch zu früh für diese Idee. Das langgezogene Areal lässt Knicke sowieso kaum zu, die Bahnen ziehen sich schnurgerade zwischen Bergflanken und Plateaurand entlang. Eng ist's, Abweichungen vom Tee führen zu unangenehmen Aufgaben, nicht von ungefähr steht „Far and Sure“ auf den Abschlagsmarkierungen, weit und sicher geradeaus, der beliebte Sinnspruch aus alten Tagen. Die Grüns sind klein und wollen präzise angespielt sein. Bestens gepflegt ist eh alles.
Mitten in Bahn elf stoße ich auf ein echtes Taylor‘sches Relikt. Der quer ins Fairway gelegte Bunkerstreifen ist das klassische Element der damaligen Design-Philosophie. Warum sie „bestrafend“ genannt wird, erlebe ich, als mein Ball prompt in die Sandbarriere rollt. Na toll!
Ohnehin bereue ich schon seit des steilen Anstiegs zum neunten Grün, dass ich mir statt meiner Karre – wiewohl Titan – im Clubhaus nicht einen E-Trolley geliehen habe. Mir brennen die Waden. Ja, schon gut, „Golf is a walking game“! Trotzdem: Während mich das Layout im Schweiße meines Angesichts ab Loch 14 wieder bergauf in Richtung Clubhaus führt, ertappe ich mich beim vorfreudigen Gedanken an den abendlichen Gin Tonic auf der Piazza von Menaggio, wo sich die Palmen sanft im Seewind wiegen.
Atemberaubende Ansichten entlang des Sees
Der Comer See ist immer eine Reise wert, nicht nur zur Expo in Mailand. Vor allem am Westufer bietet die Küstenstraße atemberaubende Ansichten. Die anderthalb Stunden von der lombardischen Kapitale nach Menaggio sind eine augenverwöhnende Fahrt. Seeblick entlang der einen, prachtvolle Architektur auf der anderen Straßenseite, schmucke Boote und opulente Palazzi, lauschige Plätzchen am Wasser und quirliges Treiben in Cernobbio oder Bellagio, wohin man mit der Fähre übersetzen muss. Fragen Sie mal George Clooney!
Der Hollywood-Star hat bekanntlich eine Villa am See. Und ist Mitglied im „Menaggio & Cadenabbia Golf Club“. Dennoch ist seine italienische Golfheimat kein öffentlichkeitsscheues Promi-Refugium, sondern ein auch in seiner Gastfreundlichkeit exzellentes und wunderbares Golferlebnis.
Berühmte Bibliothek mit 1.200 Golfbüchern
Als mein Ball zur Mittagszeit im Locheinsatz des 18. Grüns klappert, ist der schattige Patio des altehrwürdigen Sandstein-Clubhauses leer. Kein Clooney und auch sonst niemand. Ein guter Geist bringt eiskalte Limonade. Nach der ersten Erfrischung schlendere ich durch die reizend altmodische Bar in die weithin gerühmte Bibliothek.
An den Wänden hängen Old Tom Morris und Co., in den Regalen paradieren antiquarische Schmöker über Golf. Das älteste Buch ist von 1682, sogar ein Original von Vardons „How to play Golf“ von 1912 steht da, beides natürlich nicht jedem zugänglich. Aber es gibt ja noch hunderte anderer Bände, rund 1.200 Exemplare weist der Club insgesamt aus, es ist eine der weltgrößten Sammlungen. Ich bleibe noch eine Weile, Menaggio unten am Ufer des Lago di Como kann warten…