Allmählich wird es absurd. Und teilweise auch albern. Gerüchte fliegen tief, Halbwahrheiten haben Hochkonjunktur, Dummdreistes kommt eh nie aus der Mode: LIV Golf und die Saudis bescheren dem Golfsport ungeahnte und ungeheure Turbulenzen. Samt Nose-Wind, plötzlichen Böen, Scherwinden, Luftlöchern.
In solchem Ausmaß kam dergleichen nicht mal vor, als sich die heutige PGA Tour 1968 unter der Firmierung „Tournament Players Division“ von der PGA of America abkoppelte – angeführt von Arnold Palmer und Jack Nicklaus, den damaligen Doyens des Spiels. Den Brandstifter Greg Norman, ein Raubritter von Riads Gnaden, mit diesen Größen in einem Atemzug mit diesen Größen zu nennen, hat was von einem Sakrileg. Ohnehin bleibt abzuwarten, ob der Australier mit seinem Zaster-Zirkus wirklich einen Jet-Stream kreiert hat und dem Spiel neue Höhenflüge beschert.
„Jemanden gefunden, der die Vendetta finanziert“
Was er natürlich für sich in Anspruch nimmt. Doch bis auf weiteres ist Norman bloß „der glücklichste Mann der Welt“, sagt Jimmy Dunne, US-Unternehmer und Präsident des exklusiven Seminole Golf Club in Florida, mit triefender Ironie: „Diese Vendetta [gegen die PGA Tour] treibt ihn seit Jahrzehnten um; jetzt hat er jemanden gefunden, der sie ihm finanziert.“
Aber zurück zu Gewissheiten, Gossip und Gewäsch: Matthew Wolff, das ist mittlerweile amtlich, flüchtet vor dem Druck des sportlichen Wettstreits und seinen Depressions-Dämonen ins Lager des leistungslosen Lohns. Top-Amateure wie der spanische Weltranglisten-Zweite Eugenio Chacarra treten gleich ganz ohne Umweg über den Tour-Alltag ins Rentenalter ein.
Fleetwood und sogar Stenson?
Tommy Fleetwood ist laut dem britischen Blatt „The Telegraph“ der nächste prominente Neuzugang, weil seine Frau und Managerin Clare Craig beim LIV-Auftaktevent nahe London gesichtet wurde. Henrik Stenson verlässt – ebenfalls laut „Telegraph“ – trotz vertraglicher Verzichtserklärung die Brücke für den Ryder Cup 2023 und tauscht das Kapitänsamt doch gegen einen zweistelligen Millionenscheck. „Sollte Henrik die Seiten wechseln, kann er nicht Teamchef für Rom bleiben“, wird dazu ein Offizieller der European Tour Group zitiert. Ach was!
„Doppelzüngigkeit mancher Kollegen“
Und weil Justin Thomas von der Travelers Championship zurückzieht, wird der zweifache PGA-Champion direkt mit LIV-Überläufer Brooks Koepka und dessen Absage in einen Topf geworfen. Dabei will Thomas bloß seinen lädierten Rücken auskurieren. Der zweifacher PGA-Champion ist bekanntermaßen ein eherner Apologet des Establishments. Wie Rory McIlroy, der sich anlässlich der Causa Koepka über die „Doppelzüngigkeit mancher Kollegen“ wunderte, „die das eine sagen und dann was anderes machen“. Zurecht.
Komödienstadel bei der BIO
Derweil wird bei der BMW International Open (BIO) in München-Eichenried ein Komödienstadel der besonderen Art aufgeführt. Alle sind ja „sooo“ überrascht, als die Nachricht von den Sanktionen der DP World Tour für die 17 LIV-London-Starthelfer eintrifft. Wie jetzt?
Sorry, Martin Kaymer und Co.: Wem wollen Sie damit Sand in die Augen streuen? Dass von Keith Pelley eine Reaktion kommt, war so sicher wie das vielstrapazierte Amen in der Kirche. Dass ein Verdikt aus Virginia Water nicht vor dem Turnier des langjährig bewährten und enorm wichtigen Partners BMW den Fokus der Aufmerksamkeit verfälschen sollte, ist ganz kleines PR-Einmaleins. Dass es auf jeden Fall Sperren für die drei gemeinsamen Turniere mit der PGA Tour geben würde – die beiden Partner haben übrigens gerade ihre strategischen Allianz vom November 2020 noch mal erheblich intensiviert –, war für jeden Beobachter zu erwarten, der seine fünf Sinne halbwegs beieinander hat.
Norman übernimmt „Knöllchen“ mit Vergnügen
Angesichts eines Bußgelds von 100.000 britischen Pfund verdattert zu sein, ist zudem echt frech – bei den Garantiegagen, die LIV zahlt, sind das wahrhaft Peanuts. Überdies: Tun Sie nicht so, als hätten Sie nicht vorab gewusst, dass Greg Norman eventuelle „Knöllchen“ mit Vergnügen übernimmt, was genau so verkündet wurde – allein, um dem Establishment einmal mehr den Stinkefinger zu zeigen!
„Ich weiß viel zu wenig“
Den Gipfel des Gesülzes freilich lieferte Kaymer am vergangenen Freitag beim Interview mit Sky-Reporter Florian Bauer für die deutsche Übertragung von der BIO. „Ich würde gern Golf spielen […] Verstehe nur nicht, wie man so dagegen sein kann“, lamentierte der zweifache Majorsieger nach seiner zweiten Runde. Und, auf den moralischen Makel des LIV-Konstrukts angesprochen: „Wer bin ich, dass ich politische Dinge bewerten kann? Ich weiß viel zu wenig.“
Echt? Armseliger als mit diesem Inbegriff von Irrlichterei und Ignoranz geht’s kaum. Was fehlt denn noch an Infos über die Saudis? Eine Führung durch die Istanbuler Botschaft der Mörder-Monarchie vielleicht? Mündige Menschen ohne bündelweise Dollarscheine als Scheuklappen wissen, wie das gemeint ist. Nee, da fehlt es an was anderem. Aber Riad und Rückgrat vertragen sich halt nicht.
Wie auch immer: So jedenfalls wurde aus dem Possen- ein Trauerspiel. Während man noch seinen Ohren kaum zu trauen glaubte, sagte Kaymer ganz unbewusst einen entscheidenden Satz: „Wir sind das Produkt der Tour.“ Was er meinte ist, dass man ohne (weil gesperrte) Hauptdarsteller kein attraktives Arrangement inszenieren oder garantieren könne. Was er vergisst: Die Spieler sind ein Produkt des Biotops namens Tour, das sie groß gemacht und bislang gut genährt hat, dem sie sich als Mitglieder verschrieben und verpflichtet haben – doch dem sie ans Bein pinkeln, wenn sie dank des hüben erworbenen Ruhms nun drüben bei der Konkurrenz ins wohlgemachte Bett hüpfen. So herum wird ein Schuh draus.
Auftritt in Portland: Jetzt geht’s erst richtig zur Sache
Am Wochenende gastieren Impresario Greg Norman und seine Operettenliga in Portland/Oregon und entern damit das Kernland der PGA Tour. Parallel zum zweiten Saison-Auftritt von LIV Golf, der im und rund um den Pumpkin Ridge Golf Club von allerlei Widerständen und Protesten begleitet ist, finden die John Deere Classic und auf der DP World Tour der Klassiker Irish Open statt. Der Tatbestand der unerlaubten Partizipation an konkurrierenden Wettbewerben ist damit in besonderem Maße erfüllt – fortan dürfte es erst richtig zur Sache gehen.