Verkehrte Welt: Die Majorsieger sind vorerst raus, während die Jäger aufs erste ganz große Ding das Geschehen bei diesem 86. Masters bestimmen. Während der amtierende US-Open-Sieger Jon Rahm und der 2017er-PGA-Champion Justin Thomas heute gegen den Cut spielen, grüßen Sung-jae Im, Players Champion Cameron Smith oder der frisch gekürte Branchenprimus Scottie Scheffler von der Spitze des Leaderbord und beweisen, dass Erfahrung im Augusta National Golf Club doch nicht alles ist. Im und Scheffler spielen ihr jeweils drittes Masters, „Vokuhila“-Träger Smith ist zwar zum fünften Mal am Start, landete vor zwei Jahren bereits mit Im auf Platz zwei und brachte dank seiner aktuellen Top-Form gestern das Kunststück fertig, trotz eines Doppelbogey zum Auftakt wie zum Abschluss eine unter diesen Umständen famose 68 ins Clubhaus zu bringen.
Bei alldem schaffte es der 28-Jährige aus Queensland sogar noch, ein Auge auf den Flight direkt hinter ihm zu haben, wo Tiger Woods seine mehr als respektablen Kreise zog. „Ich habe mich hier und da fast wie ein Patron gefühlt, als ich ihm zusah, während wir warten mussten“, sagte Smith. „Man kann einfach nicht nicht hingucken: Er ist unglaublich.“
Scottie Scheffler wiederum hatte seine eigene Interpretation der Tiger-Mania. Ihm ist nämlich durchaus willkommen, wenn alle auf Woods und weniger auf den Weltranglistenersten schauen. „Ich brauche echt nicht mehr Aufmerksamkeit, als ich im Moment habe. Dass Tiger hier ist; all das, was er für den Golfsport tut – es ist etwas ganz Besonderes“, sagt der 25-jährige Texaner nach seiner soliden 69 mit elf getroffenen Fairways, 13 Grüns „in regulation“ und einem einzigen Schlagverlust, dem Bogey auf der 18.
Ganz das Gegenstück lieferte Justin Thomas, der seiner Selbsteinschätzung vor dem Masters prompt die Probe aufs Exempel folgen ließ. Erstaunlich, dass trotz der zusätzlichen Routine durch die Einspielrunden mit Tiger Woods sowie dessen Tipps beim Auftakt der siebten Masters-Teilnahme bloß eine unterirdische 76er-Runde herauskam, die ihn direkt neben Bernhard Langer auf dem geteilten 70. Rang platzierte. Wie gesagt, Erfahrung ja, aber ohne gute Tagesform ist die halt nur bedingt was wert. Der Cut wird übrigens bei den besten 50 Spielern sowie den Schlaggleichen gemacht und läge derzeit bei plus Zwei.
Sung-jae Im und Papas Schlag beim Par-3-Contest
Inspiration: Mit vier Birdies auf den ersten sieben Löchern legte Sung-jae Im früh den Grundstein für seine 67er-Erstrundenführung. „Ich habe an den meisten Löchern gut abgeschlagen und mich so in gute Lagen für den so wichtigen zweiten Schlag gebracht“, bilanzierte der Südkoreaner, der 2020 geteilter Zweiter war, vergangenes Jahr allerdings den Cut verpasste: „Ich bin zufrieden damit, wie heute alles gelaufen ist.“ Zumal er eine Schwächeperiode zur Mitte der Runde mit dem Eagle auf der 13 und einem Birdie auf der 15 zu kompensieren vermochte. Insgesamt traf er zwölf der 14 Fairways und konnte sich stets auf seinen Putter verlassen.
Besonders beflügelt freilich hat den 24-Jährigen die Vorstellung seines Vaters beim Par-3-Contest, wo der als Caddie fungierende Ji-taek Im auf der Neun den Ball tot an den Stock legte. „Das war der schönste Schlag, den ich jemals gesehen habe“, schwärmte Im: „Einen besseren kannst du selbst als Profi nicht spielen.“
Der Wind, der Wind …
Natürliches Set-up: Trotz all des Regens in den vergangenen Tagen und selbst am Donnerstag morgen noch, hat sich Augusta National seinen Charakter bewahrt. „Ich war total überrascht, wie hart die Fairways waren“, sagte beispielsweise Scottie Scheffler. „Viel fester als ich gedacht habe. Zudem hat der Wind deutlich aufgefrischt.“ Gestern herrschte ungewohnter Westwind, der vielen Spielern einen Streich spielte. Es gab keine Runde ohne Bogey, und die Back Nine – normalerweise die bessere Hälfte des Platzes, um Schläge gut zu machen – spielte sich tatsächlich schwieriger als die vordere Schleife. Das lag vor allem am Wind von vorne auf der um 18 Meter nach hinten verlängerten Par-5-15 und am Querwind von links nach rechts auf der Schlussbahn. In Summe gab es dort deutlich höhere Scores als in den vergangenen Jahren. Und heute soll der Westwind sogar noch stärker werden …
Tiger: „Werde mich im Eisbad zu Tode frosten“
Härtetest: Die 71er-Runde von Tiger Woods gestern war ein Spiegelbild seines Lebens in den vergangenen Jahren. Will heißen: Immer wieder befreite sich der 46-Jährige aus misslichen Lagen – so, wie er es nach den Rücken-Operationen, den Schmerzmittel-Problemen und schließlich nach dem fürchterlichen Autounfall vor 14 Monaten geschafft hat. Der 15-fache Major-Sieger traf nur neun der 18 Grüns „in regulation“, kam indes sieben Mal mit „Up and Downs“ zum Par davon. Bei Gewichtsverlagerungen aufs schwer verletzte rechte Bein war ihm zwischendurch das Unwohlsein deutlich anzumerken. Und einmal entfuhr ihm auch ein deutlich vernehmbarer Fluch:
“Oh fuck off” Tiger Woods cursing at The Masters. He’s officially BACK pic.twitter.com/fFG7PjZPSD
— gifdsports (@gifdsports) April 7, 2022
Dennoch: Was der Superstar da 508 Tage nach seinem letzten offiziellen Turnierauftritt beim November-Masters 2020 vollbrachte, ist phänomenal und nach wie vor fast unglaublich. Dan Rapaport von „Golf Digest“ hat es veranschaulicht:
Der Lohn für die Mühen freilich fällt eher als weiterer Härtetest aus. Wie er die Stunden bis zur heutigen Nachmittags-Tee-Time verbringen werde, wurde Woods nach dem Ende seiner frühen Runde gefragt? „Mit sehr viel Eis“, lautete seine Antwort. „Ich werde mich im Eisbad förmlich zu Tode frosten“, grinste er. So eine Kältekur „gehört nun mal dazu. Die Schwellungen durch die heutige Anstrengungen müssen aus dem Körper, um die Muskulatur morgen wieder aktivi und explosiv machen zu können.“
Conor Moore und das „Woods-Wunder“
Tiger-Trubel: Parodist Conor Moore weiß, was er dem Comeback des Superstars schuldig ist und inszeniert auf gewohnt unterhaltsame Art, was zum Beispiel Rory McIlroy, Dustin Johnson, Lee Westwood, Gary Player und Sergio Garcia in Wahrheit zum „Woods-Wunder“ sagen:
„Marker“ Jeff Knox im Ruhestand
Personalwechsel: Er gehört zum Masters wie das Champions Dinner oder der Par-3-Contest und ist selbst fast zur Legende geworden. Doch heuer hat Clubmitglied Jeff Knox ein entspanntes Wochenende. Der Skratch-Spieler und Halter des Clubrekords von den Mitglieder-Abschlägen kam seit 2002 immer dann als „Marker“ zum Einsatz, wenn sich nach dem Cut eine ungerade Zahl von Masters-Akteuren ergab. Er sprang dann ein, um den jeweils Letzten des Wochenend-Felds im ersten Flight des Tages als Zähler zu begleiten. Mittlerweile 59 Jahre alt, geht Knox in den wohlverdienten Ruhestand und wird im Fall der Fälle wohl vom Vereinskameraden Michael McDermott ersetzt. Jede Menge Lob und Anerkennung kommt aus dem Spielerkreis für Knox, der sogar in die Georgia Golf Hall of Fame aufgenommen worden ist, und unter anderem mit Paul Casey, Jason Day, Miguel Ángel Jiménez, Eddie Pepperell oder Rory McIlroy auf die Runde ging. Letzteren schlug er am Samstag des Jahres 2014 mit 70 zu 71 Schlägen. „Jeff ist zuvorderst ein Gentleman vom Scheitel bis zur Sohle“, sagt Casey, der seinen Start gestern abgesagt hat. „Und sein Golf war stets brillant.“
Sub-Air-System-Sound und Vogelgezwitscher
Unterstützung: Was Mutter Natur in Form des Winds allein nicht schafft, das übernimmt dann die Technik. Während sich – wie beschrieben – die Fairways von Augusta National aufgrund der erhöhten Luftzirkulation erstaunlich fest zeigen, war die Belüftungsanlage unter den Grüns während des gesamten ersten Masters-Tages kaum zu überhören. Die Arbeit des „Sub Air System“ rahmte als permanentes Grundsummen das Geschehen auf den Grüns: Wie mit einem Vakuumsauger wird das Wasser aus den Putt-Oberflächen gesogen. Zudem kann bei heißen Temperaturen kalte Luft ins Wurzelwerk geblasen werden, um das Bentgras zu kühlen und den Hitzestress zu reduzieren. Zur Geräuschkulisse tragen überdies die zahlreichen Drohnen bei, die über dem Gelände schweben. Und dann sind da noch diese gefiederten Masters-Freunde mit ihren fröhlichen Liedern – wobei sich hartnäckig Gerüchte halten, das stets präsente Gezwitscher und Gezirpe komme eigentlich vom Band:
Saudi-Botschafter Player nimmt Mickelson in Schutz
Misstöne: Auch in der sorgsam orchestrierten Geräuschkulisse von Augusta National kommt man am schrägen Unterton der angedrohten Saudi-Golfliga nicht vorbei. Dafür sorgte vor allem Gary Player, der beim Ceremonial Tee Shot mit dem „Golf-Saudi“-Logo auf dem Kragen antrat und dafür einen Shitstorm in den sozialen Medien erntete („Dieser Typ würde für Geld auch seine Familie verkaufen“).
Gary Player has a Golf Saudi sponsor on his collar, clear for everyone to see. With all the controversy surrounding it and also what happened last year with the ball situation, you’d think he might’ve been smarter, no? https://t.co/GVKZEW8sZI
— BWJ (@jonesbennn) April 7, 2022
Players Werbung – er ist tatsächlich seit April 2021 Botschafter der saudi-arabischen Golfbewegung – wiegt umso schwerer, weil sein Sohn Wayne vergangenes Jahr als Caddie des Ehrenstarters aus Südafrika unverhohlen Werbung für einen Ball-Hersteller gemacht hat und dafür vom Masters-Club auf Lebenszeit gesperrt wurde.
Vor dem Hintergrund seiner Saudi-Rolle wundert es auch nicht, dass Gary Player beschönigende Worte für Phil Mickelson findet und für Nachsicht mit „Lefty“ plädiert, der nach seinen Ausfälligkeiten und Intrigen gegen die PGA Tour eine vermutlich nicht ganz freiwillige Auszeit genommen hat. „Jeder macht mal einen Fehler – er hat auch einen gemacht und sich dafür entschuldigt“, sagte „The Black Knight“: „Damit sollte es dann gut sein. Selbst Gott hat Erbarmen, wenn du um Vergebung bittest. Leider aber leben wir in Zeiten, in denen du ganz schnell von der öffentlichen Meinung gekreuzigt wirst.“
Augusta National hat übrigens ebenfalls eine klare Haltung in Sachen Konkurrenz-Circuit, wenngleich die Solidaritätsbekundung mit PGA Tour und DP World Tour etwas verklausuliert rüber kommt. „Wir sind uns sehr einig, dass die [etablierten] Welttouren großartige Arbeit leisten, um Golf voran zu bringen“, sagte Club-Chef Fred Ridley am Mittwoch: „Mehr habe ich dazu nicht zu sagen.“
Cheers on you, Tiger
Zum Schluss: Eigentlich kann man diese Foto nur mit einem Satz kommentieren – Cheers on you, Tiger!
Ganz eindeutig hat der eine oder andere Patron seine ureigene Art gefunden, das Woods-Wunder zu feiern, mit 20+ Bechern Bier beispielsweise. Und wie das dann daheim in der Geschirrspülmaschine aussieht, ist auch überliefert. Prost!