Seine einstigen Gegner haben Oberwasser, seine Kritiker ätzen hämisch, seine Anhänger und Sympathisanten wundern sich: Mit seinen jüngsten Aussagen zum Thema LIV Golf League und LIV-Überläufer hat Rory McIlroy eine Menge Staub aufgewirbelt und hüben wie drüben für Aufsehen gesorgt. Der Nordire bedauerte seine Voreingenommenheit gegenüber den abgewanderten Spielern, bezeichnete den Konkurrenz-Circuit als „Teil unseres Sports“, bemühte zur Integration Vergleiche mit Cricket, lobte Jon Rahm für dessen Opportunismus. Und das alles in einem Fußball-Podcast, wo er gleichzeitig erzählte, als Bub mal mit einem Autogrammwunsch beim irischen Star-Kicker und Mit-Gastgeber Roy Keane abgeblitzt zu sein: „Nicht heute, mein Junge.“
Spurwechsel vom Paulus zum Saulus. Häh?
Soweit die landläufige Zusammenfassung von McIlroys Manifest. Und man fragt sich: Was ist los mit „Rors“? Vor nicht allzu langer Zeit hat der 34-Jährige noch mit dem Reflex eines Rottweilers nach allem geschnappt, was bloß nach LIV roch. Er war der erste Paladin der PGA Tour im Kampf gegen das vom saudi-arabischen Staatsfonds PIF finanzierte Konstrukt und der Wortführer des Widerstands gegen die Operettenliga. Jetzt diese Kehrtwende, dieser Sinneswandel, dieser Spurwechsel vom Paulus zum Saulus. Häh?
Aus dem Kontext gerissene Zitate
Nun, zuvorderst ist bei dieser Betrachtung eine unumstößliche Gesetzmäßigkeit des Mediendschungels anzuführen, die schon der 2022 verstorbene deutsche Sprachpapst, Ex-Chefredakteur und Journalistenschulen-Leiter Wolf Schneider seiner Zunft mal unter dem Titel „Unsere tägliche Desinformation“ ins Stammbuch geschrieben hatte: „Es passiert immer nur so viel auf der Welt, wie in eine Zeitung passt.“ Will sagen: Redakteure bestimmen die öffentliche Meinung allein schon durch die Auswahl der Nachrichten, die sie veröffentlichen, und durch den Tenor, in dem diese Nachrichten veröffentlicht werden.
„LIV hat die Fehler im System des Golfsports aufgedeckt. Wir sollten alle unabhängige Vertragspartner sein und können uns aussuchen, welche Turniere wir spielen wollen. Und dann verlangt man Millionen von Dollar von Turniersponsoren, ohne ihnen garantieren zu können, dass die Top-Spieler an den Start gehen. Ich kann nicht glauben, dass die PGA Tour damit so lange so gut gefahren ist.“
Rory McIlroy im Podcast „Stick to Football“
Übertragen auf den vorliegenden Fall heißt das: McIlroy hat in „Stick to Football“ viel mehr von sich gegeben, als kolportiert worden ist. Es ist das Phänomen der aus dem Kontext gerissenen Zitate, die für sich allein gestellt ein verzerrtes Bild wiedergeben. „Die Reaktionen, sowohl in den Schlagzeilen als in den Zitaten aus der Golfszene, legen nahe, dass McIlroy einen U-Turn vollzogen hat und bereit ist, LIV mit offenen Armen zu empfangen“, moniert beispielsweise das Portal „Fried Egg Golf“. Zu Recht.
Wasser auf die Mühlen von LIV
Für die einstigen Zielscheiben seiner Kritik, Ober-Kollaborateur Phil Mickelson und LIV-Impresario Greg Norman, war das Wasser auf ihren Mühlen. Rory solle wegen seiner geänderten Haltung bitte nicht angepöbelt werden, plädierte „Lefty“ via Kurznachrichtendienst „X“: „Vielmehr ist es für mich und andere an der Zeit, unsere Feindseligkeiten aufzugeben und auf eine positive Zukunft hinzuarbeiten.“ Norman wiederum sprach davon, dass der 34-Jährige in die Falle gegangen sei, die er sich zuvor selbst gestellt habe, und LIV doch lediglich beweisen wolle, welchen Wert das Konzept und das Geschäftsmodell für Golf haben könne. Wohlfeil.
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„Vision von der World Tour“
Ja, McIlroy hat sich irgendwie mit der Entwicklung arrangiert und versucht, das Beste daraus zu machen – im Sinne seiner schon vor Jahren geäußerten Vision von einer World Tour, die ebenso die Märkte in Australien, Südafrika und Japan berücksichtigt („Es gibt einige ungenutzte kommerzielle Möglichkeiten“). Im Schulterschluss mit dem US-Sportsbusiness. Und gleichermaßen halt mit dem Geld der Saudis: „Das sind einfach die wirtschaftlichen Gegebenheiten.“ So, wie er vor geraumer Zeit über den angestrebten Pakt mit dem PIF und dessen Lenker Yasir Al-Rumayyan gesagt hat: „Der Lauf der Welt hat mir die Entscheidung abgenommen.“ Und: „Wir reden hier von einem der größten Staatsfonds der Welt. Den hat man lieber zum Partner als gegen ihn zu kämpfen.“
Aber das war und ist vor allem dem Fatalismus geschuldet. Er habe „die Realität im Grunde akzeptiert“, sagt der Weltranglistenzweite in dem Fußball-Podcast. Fan ist er freilich nach wie vor nicht. Doch „mit seinen Worten wurden Volten geschlagen wie im Cirque du Soleil“, notiert „Fried Egg Golf“.
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„Nicht in der Lage, Meinung der Leute zu ändern“
Wer sich das Gespräch in Gänze zu Gemüte führt, der hört nämlich auch: „Ich bin in den vergangenen zwei Jahren mit dem altruistischen Ansatz unterwegs gewesen, die Welt so zu sehen, wie ich sie sehen wollte […] Man kann sagen, was man will, und tun, was man will, doch am Ende des Tages wird man nicht in der Lage sein, die Meinung der Leute zu ändern.“ Oder diese Sentenz über die Tonalität bei der Einführung der LIV Golf League: „Es gab einen Weg, das ohne massive Störung des Spiels zu machen. Und das bleibt ein Punkt für mich, denn die Art und Weise, wie es gemacht wurde, hat zu dieser massiven Umwälzung im Golfsport geführt.“
„Ich habe versucht, für das Gute zu kämpfen, aber es ist nicht meine Aufgabe.“
Rory McIlroy
Da hat einer einfach aufgesteckt, notgedrungen seinen Frieden mit der Sache gemacht, ist des Kämpfens müde. Zumal er mit der Ankündigung des PIF-Pakts vom 6. Juni 2023 ausgerechnet von denen im Regen stehen gelassen wurde, vor deren Karren er sich hat spannen lassen; für die er sich in naivem Altruismus und unter Opferung eigener sportlicher Prioritäten so weit aus dem Fenster gelehnt hat, dass er als Erster alles abbekam, was in Richtung Establishment gefeuert wurde: von der PGA Tour und ihrem Commissioner Jay Monahan.
Statements pünktlich zum Start ins Golfjahr
McIlroy fühlte sich damals „wie ein Opferlamm“ und hat die Konsequenzen gezogen. Er gab seinen Sitz im Policy Board auf, überließ den Kampf Tiger Woods, der es cleverer angestellt und sich öffentlich kaum geäußert, stattdessen im Hintergrund sein Netz gesponnen hat, fokussiert sich wieder mehr auf Europa. Jetzt die Statements bei „Stick to Football“, just in time, pünktlich zu McIlroys Start ins Golfjahr. Er hat sein Faible für Dubai entdeckt und tritt nach dem gewonnenen Debüt bei der Hero Dubai Desert Classic vergangenes Jahr heuer überdies bei der Premiere des Dubai Invitational im Kalender der DP World Tour an.
Fortan zählt wieder nur Golf, immerhin ist da im April ein Masters zu gewinnen und der Karriere-Grand-Slam endlich zu komplettieren. „Der Ausstieg aus allem Politischen hat mir definitiv den Kopf frei gemacht“, erzählt er in Dubai. „Ich hatte mich selbst zum Ansprechpartner für jeden und alles gemacht. Wenn mich jetzt jemand fragt, kann ich ehrlich sagen, dass ich nicht weiß, was los ist. Ich kann keine validen Ansichten mehr äußern, weil ich die Fakten nicht kenne.“
„Wieder zusammenraufen, zum Besten des Golfsports“
So gesehen waren das vergangene Woche vermutlich McIlroys Schlussworte in der Causa LIV: „Die Leute müssen ihre Egos und Gefühle beiseitelegen und sich wieder zusammenraufen, damit wir alle weitermachen können, denn es wäre das Beste für den Golfsport.“ Er hätte das alles auch gar nicht sagen müssen, hätte einfach schweigen und bloß über Sport und das von Keane verweigerte Autogramm reden können. Dann hätte er den LIV’lern zumindest nicht neue Nahrung für ihre Selbstbeweihräucherung gegeben. Aber so ist das manchmal: Man muss Dinge vielleicht laut aussprechen und nur oft genug wiederholen – um sie irgendwann selbst zu glauben.
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