Alle Jahre wieder tauchen vor einem Ryder Cup Fragen auf, die im Detail unbeantwortbar sind: Wer mag wohl mit wem in den Vierern spielen? Was genau ist dieses vielzitierte Momentum? Und: Wie liest sich denn nun die Stellenbeschreibung eines Kapitäns? Letzteres soll an dieser Stelle ein bisschen ausgeleuchtet werden – zumindest annähernd.
Am besten taugt dafür ein Griff in die Kiste der umgangssprachlichen Redewendungen: Dort haust nämlich die eierlegende Wollmilchsau, jenes imaginäre Nutzwesen, das nur Vorteile mit sich bringt, weil es in metaphorischer Hinsicht alle Bedürfnisse befriedigt, sämtlichen Ansprüchen genügt – hat sicher jeder mal gehört, gelesen, verwendet. Das war’s eigentlich schon. Der Rest ist freie Interpretation; und das meiste, was man ins Amt rein geheimnisst, dürfte stimmen.
Palmer war letzter „Playing Captain“ beim Ryder Cup
Nur eins tut der Teamchef definitiv nicht (mehr): Selbst zum Schläger greifen, wenn’s um die Punkte geht. Arnold Palmer war 1963 der letzte „Playing Captain“ beiderseits: Im heutigen East Lake Golf Club zu Atlanta deklassierte die US-Riege das damals noch rein britische Aufgebot mit 23:9, und „The King“ holte beim ersten Ryder Cup über drei Tage aus sechs Partien vier Punkte (sonntags wurden zwei Einzel-Sessions ausgetragen).
Nachdem die Briten schon 1961 letztmals ihren Skipper – Dai Rees – ins Rennen geschickt hatten, kam man anschließend überein, dass Planung und Praxis für eine Person zu belastend seien. Doch wie hat Amerikas 2006er-Teamchef Tom Lehmann mal gesagt: „Der Kapitän schlägt zwar keine Bälle, aber er kann entscheidend dazu beitragen, die Spieler in die richtige Verfassung zu bringen, so dass sie gute Bälle schlagen.“
Golferischer Sach- und gesunder Menschenverstand
Ok, konkrete Handlungsrichtlinien lesen sich anders. De facto geht’s um golferischen Sach- und gesunden Menschenverstand, um Integrationsvermögen, Gefühl für Charaktere, Psychen und die Chemie im Team, sowie nicht zuletzt um eine glückliche Hand. Im Grunde handelt es sich um eine Mischung aus Zeremonien- und Hausmeister, Animateur und Blitzableiter, Kindermädchen und Seelenstreichler.
Auch bei der European Tour wird man in Sachen Job-Profil nur bedingt fündig. Zuvorderst müsse der Kandidat „als Aktiver wie als Vizekapitän über Ryder-Cup-Erfahrung verfügen, außerdem noch als Spieler auf der Tour unterwegs sein und überdies herausragende Referenzen vorweisen können“, hat Pressechef Scott Crockett im Vorfeld der Kür von Padraig Harrington für Whistling Straits Anfang Januar 2019 gegenüber Golf Post aufgezählt.
„Bewusstsein für die kommerzielle Bedeutung“
Wenig überraschend sollte ein Kapitän überdies ein hohes „Bewusstsein für die kommerzielle Bedeutung des Ryder Cup“ (Crockett) haben. Die jeweiligen Teamchefs hüben wie drüben sind nun mal zuvorderst Repräsentanten und Gesichter des Wettbewerbs, Marketingmaschinen mit den ganzen öffentlichen Auftritten, Sponsorenterminen etc.
Was nicht heißt, dass hinter den Kulissen nicht trotzdem akribisch gearbeitet wird. „Organisationstalent“ listete der PR- und Kommunikationsdirektor der European Tour denn auch weiters auf. Und „Menschenführung“. Man könne die Anforderungen sicherlich noch tiefer auswalzen, so Crockett: „Aber das sind die wesentlichen Aspekte, auf die es bei einem Kapitän ankommt.“
Mix aus harten Fakten und weichen Faktoren
Hmmm. Viel schlauer macht einen das nicht. Es ist halt ein Mix aus harten Fakten und weichen Faktoren. Klar, im Vorfeld werden Statistiken analysiert und Persönlichkeiten studiert, Mannschaftsleidung ausgewählt und Reden einstudiert, Assistenten ernannt und Wildcards vergeben, Teamräume dekoriert, Menüpläne und Motivationsmaßnahmen kreiert.
Und dann? Wenn der Tag X da ist? Einer, der konkrete Antworten geben könnte, ist Paul Azinger. Er gilt als US-Vorzeige-Kapitän, seit er die Sternenbanner-Staffel 2008 in Valhalla/Kentucky mit einem vom Militär entlehnten Grüppchen-System nach drei vorgehenden Niederlagen zum ersten von bislang ohnehin bloß zwei Siegen im neuen Jahrtausend geführt hat.
„Achte auf die Körpersprache der Spieler“
Doch auch „Zinger“ vermittelt nur bedingt Konkretes – es liegt wohl in der Natur der Sache und hängt vom Charakter, vom Profil des jeweiligen Dirigenten ab. „Schau genau hin, was auf dem Platz passiert“, empfiehlt der 61-Jährige: „Und es geht nicht ums Zählen von Schlägen. Achte auf die Körpersprache deiner Spieler, auf Anzeichen von Wohlbefinden oder Unbehagen – davon hängen deine nächsten Paarungen ab.“ Immerhin muss der Hauptübungsleiter Indidviualisten und Egos aller Couleur vereinen und für die Vierer zu möglichst effektiven Pärchen „verkuppeln“.
Ab und an ist verbale Unterstützung nötig: aufmunternd bei einsetzender spielerischer Depression, beruhigend bei aufkeimender Nervosität – und vor allem stets „wohl erwogen und sparsam verabreicht“, so Azinger, der 2008 zwischendurch sogar Schwungtipps geben musste, weil sich JB Holmes mit einem Push-Slice „infiziert“ hatte.
Harrington: „Beste Zeit des Lebens für die Spieler“
Das Klima muss halt stimmen, der Korpsgeist harmonieren – stets die große Stärke der Europäer –, damit die Truppe optimal performen kann. „Ich will jedem Einzelnen eine großartige Erfahrung ermöglichen“, verdeutlichte Padraid Harrington bevor es 2021 für ihn und seine Mannschaft in die USA ging. „Meine Spieler sollen beim Ryder Cup die beste Zeit ihres Lebens haben – und was man da noch so alles an Klischees anführen kann.“ Letzten Endes könne er Ergebnisse und Ausgang des Wettbewerbs nicht kontrollieren, weiß der Ire: „Aber sehr wohl kann ich darauf achten, ein guter Kapitän zu sein.“
Heim-Kapitän bestimmt Set-up des Platzes
Zu den bedeutsamsten Aspekten zählt sicherlich auch das Set-up des Platzes. Der Heim-Kapitän trägt gleichermaßen die Bürde des „Fairway-Flüsterers“: Er bestimmt, wie gemäht wird, welche Tee-Boxen benutzt und welche Fahnenpositionen gesteckt werden. Enge Fairways, schweres Rough - so versuchen die Europäer oft den amerikanischen Longhittern den Wind aus den Segeln zu nehmen und strategisches Spiel zu erzwingen, anstatt einfach nur draufzuhauen.
Der Fehler von Davis Love III im Jahr 2012
Dass das Set-up auch mächtig in die Hose gehen kann, bewies Davis Love III 2012, als er vor den Einzeln die Flaggen für die 17 und die 18 auf den für die Europäer günstigen rechten Seiten der Grüns positionieren ließ und den Gästen dadurch den Weg zum „Miracle of Medinah“ ebnete, obwohl José María Olazábals Dutzend mit scheinbar unaufholbarem Rückstand in den Sonntag gestartet war. Immerhin durfte „DL3“ seine Fehler 2016 in Hazeltine wiedergut machen.
Schließlich heißt es loslassen. „Wenn die Partien einmal unterwegs sind, hängt dein Wohl und Wehe ausschließlich von den Spielern ab“, sagt Paul Azinger. „Das zu akzeptieren, dürfte die schwierigste Aufgabe für einen Kapitän sein.“