Der European Tour geht‘s gut. Der European Tour geht‘s gut. Der European Tour … In der Schule war das früher ein beliebtes Mittel, um jemandem was einzubläuen. 100 Mal schreiben: an die Tafel, wahlweise in die Kladde. Antiquierte Pädagogik. Kommt freilich in der Politik immer noch vor. Wenn einer gebetsmühlenartig betont, wie großartig alles ist, er selbst vor allem – Sie wissen schon. Oder im Golfsport. Wenn Keith Pelley bei einem Internet-Medien-Happening wieder und wieder das Lied leiert, wie gut es doch der European Tour geht. Wie rosig es um ihre Finanzen steht. Und noch mal. Und noch mal …
Klamme Kassen sind kein Geheimnis
Abgesehen davon, dass ständige Repetition fraglicher Umstände eher verdächtig wirkt: Wieso entlässt Virginia Water dann zuhauf Leute? 68 Mitarbeiter wurden im englischen Hauptquartier bei Wentworth gerade von der Pay Roll der European Tour gestrichen, quer durch alle Abteilungen. In Worten: achtundsechzig. Das passt doch nicht zusammen.
Die klammen Kassen des Circuit sind hinlänglich offenkundig und seit langem thematisiert, gerade das Corona-Jahr 2020 setzte dem Haushalt des Unternehmens arg zu, das ohnehin am Tropf des – nun auch noch verschobenen – Ryder Cup hängt und zu großen Teilen seine Etats aus den Einnahmen durch den Kontinentalwettbewerb füllt.
„Starke Bilanz, die stärkste jemals“
Noch mit Beginn des Spielbetrieb-Restarts hatte Tour-Boss Pelley die Seinen, die Spieler und die Öffentlichkeit auf wenig rosige Zeiten eingestimmt und bei allerlei Annehmlichkeiten den Rotstift angesetzt. Als es dann darum ging, bei der sogenannten „strategischen Allianz“ mit dem reichen Onkel aus Amerika, besser bekannt als PGA Tour, jeden Eindruck von Hinfälligkeit zu vermeiden, fielen hingegen solche Sätze: „Wir können mit Bestimmtheit sagen, dass wir nicht in finanziellen Schwierigkeiten sind. Vielmehr sind wir in einer soliden finanziellen Verfassung mit einer sehr starken Bilanz – der stärksten, die es je gab.“ Eine unangenehm bekannte Rhetorik…
Bilanziell mag das stimmen. Indes, Papier ist geduldig und die Liquidität der Tour in den vergangenen Jahren enorm geschrumpft – nicht zuletzt, weil Pelley eine Menge ambitionierter und gewiss notwendiger, allerdings gleichermaßen geldfressender Projekte und Innovationen angestoßen hat.
„Mussten diese Vereinbarung nicht eingehen“
Nun schwebt über dem englischen Patienten das Damoklesschwert einer einflussreichen Beteiligung, einer weitreichenden Fusion oder gar einer Übernahme durch die PGA Tour. Übrigens nicht erst seit gestern. Doch Pelley setzt alles daran, die fast zwangsläufigen Gedankenspiele und Folgerungen aus dem Schulterschluss mit den Amerikanern ins Reich von Fabel und Fantasie zu verweisen. „Wir mussten diese Vereinbarung nicht eingehen. Wir taten es jedoch, weil es im besten Interesse beider Touren, unserer Spieler und Fans und für das weltweite Profigolf generell ist“, sagte der Kanadier. „Gäbe es eine finanzielle Notlage, dann wären es sicher mehr als nur ,strategische Allianz‘ geworden.“
Covid-19 als Zeitspender für strategisches Denken?
Pelley führt weiter aus: „Jetzt hat alles gepasst. Covid-19 hat zahlreiche Herausforderungen gebracht, andererseits auch zahlreiche Möglichkeiten. Alle waren weniger auf Reisen und hatten mehr Zeit zu Gesprächen und um ihre ,best practises‘ auszutauschen.“ Wer‘s glaubt. Es klingt eher wie eine sehr bemühte Erklärung. Als ob Firmenlenker wie er oder PGA-Tour-Commissioner Jay Monahan von einem normalen Jahr mit mehr persönlicher Präsenz abgehalten werden dürften, über den Tellerrand der laufenden Saison hinauszudenken. Dann würden sie einen schlechten Job machen.
Der renommierte und stets gut informierte britische Golf-Journalist Alistair Tate bringt es in einem Blogbeitrag auf den Punkt. „Diese Pandemie hat sehr viele Branchen hart getroffen, und sehr viele Menschen haben ihren Arbeitsplatzverloren. Unternehmen von wirklich robuster finanzieller Gesundheit stehen allerdings zu ihren Mitarbeitern und versuchen, diese für die gewiss wiederkehrenden besseren Tage zu behalten.“
„Tag eins einer Partnerschaft“
Das Verhalten der Tour hingegen erinnert fatal an den Fakt, dass ein Zusammenschluss zweier Unternehmen oftmals Arbeitsplätze beim schwächeren Partner kostet. Nein, betont Keith Pelley, eine Verschmelzung von European und PGA Tour sei „meilenweit weg“. Er sagt aber auch: „Dies ist Tag eins einer Partnerschaft, die wir gestalten und entwickeln wollen.“ Aha …Nachtigall, ick hör‘ dir trapsen. Und Pelley wieder: „Absolut keine Fusion!“ Ist ja gut, hatten wir schon. Das Mantra halt.
Zum Schluss noch ein Gedanke in Richtung der Vision von einer Welttour, die von der Kooperation beider Spielbetriebe erneut genährt wird, wenngleich außer Phrasen á la kommerzielle Aspekte, globale Medienrechte sowie gemeinsame Überlegung hinsichtlich Spielplänen, Preisgeldern und Spielberechtigungen keine Details kommuniziert wurden. Angesichts von zu vielen Turnieren mit zu wenig Stardichte in den Feldern gerade im Einflussbereich der PGA Tour ist die „Über-Tour“ eine reizvolle Perspektive.
Der Welttour fehlen bloß Name und Orga-Klammer
Bei „Golf.com“ haben sie diesbezüglich schon mal laut gedacht und Potenzial skizziert, mit dem die European Tour sich einbringen könnte: der Desert-Swing zu Jahresbeginn, die Periode mit Irish und Scottish Open und Open Championship sowie der Rolex Series und dem Race-to-Dubai-Finale zum Jahresende.
Dazu kämen die anderen Majors, die WGC-Turniere und US-Highlights wie Farmers Insurance, Genesis Invitational oder Memorial und die Berücksichtigung des Marktes in Fernost. Also: Nahost und USA von Januar bis Mai, Europa im Juni und Juli, im Herbst wieder Amerika und zum Jahresende Asien und Australien.
Alles andere wird aufgewertete zweite oder kontinentale Liga. Letztlich gibt es die „Global Tour“ längst, weil alle Events schon da und personell entsprechend besetzt sind – noch fehlen bloß der Name und die organisatorische Klammer.