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Golf Post Premium Tiger Woods

Das Woods-Wunder: Tigers „Sieg“ in Augusta wiegt mehr als sein Trophäenschrank

12. Apr. 2022 von Michael F. Basche in Köln, Deutschland - Dies ist ein Golf Post Premium Artikel

Tiger Woods' Comeback beim US Masters 2022. (Foto: Twitter.com/TigerWoods)

Tiger Woods' Comeback beim US Masters 2022. (Foto: Twitter.com/TigerWoods)

Der TV-Sender ESPN verzeichnete seit Donnerstag die höchsten Einschaltquoten, die es je bei der Übertragung eines Golfturniers gegeben hat; die Patrons erhoben sich zu Standing Ovations, wo immer er ging; Sir Nick Faldo sprach von „ganz besonderer Einzigartigkeit“; Jon Rahm, der mit dem Ausgang des 86. Masters nichts mehr zu tun hatte, fühlte sich während der gemeinsamen Schlussrunde wie ein Fan und „sah ihm einfach beim Spielen zu“.

Am Ende des Tages schließlich wurde der Mann, dem all diese Aufmerksamkeit galt, am Clubhaus nicht nur von seiner Familie und dem gern mitfühlenden Bubba Watson empfangen, sondern sogar von Bryson DeChambeau, der am Cut gescheitert und trotzdem geblieben war – „um den Besten aller Zeiten zu unterstützen“, wie er später erklärte.

Gemeint war, natürlich: Tiger Woods.

Tiger Woods' ganz ureigenes Turnier

Der 46-Jährige bestritt vergangene Woche sein ganz ureigenes Turnier. Gegen den Schmerz im rechten Bein, gegen die Schwäche des Körpers, gegen Instabilität und Erschöpfung. Nie ist der Grundsatz, dass man beim Golf zuvorderst gegen den Platz und sich selbst spielt, so augenfällig gewesen. Ausgerechnet das Auf und Ab von Augusta, wo Woods vor 25 Jahren das erste und vor drei Jahren das vorerst letzte seiner 15 Majors gewann: So einen Härtetest sucht sich wohl tatsächlich nur ein Typ mit der Mentalität des Tigers aus. Und er hat bestanden. Mit Müh und Not. Auch das buchstäblich.

Erfolg des Willens und des Widerstands

72 Loch lang plagte sich der Rehabilitant über die Achterbahn zwischen „Tea Olive“ und „Holly“. Er schlackerte beim Gehen wie man es auch bei US-Präsident Joe Biden beobachtet, lief „unrund“, setzte den rechten Fuß gelegentlich seltsam schief auf, lehnte sich auf seine Schläger, schien manchmal fast Anlauf zu nehmen, das Marschtempo zu erhöhen, um die Steigungen des Platzes in Angriff zu nehmen.

Der Gesichtsausdruck war anders als früher beim konzentrierten, fokussierten Woods: Angespannt, angestrengt, steinern und dennoch mitgenommen – bloß nichts anmerken lassen, nur ja nicht erkennen lassen, was die Rezeptoren ans Gehirn senden. Tigers Comeback geriet zum Sieg des Willens und des Widerstands, zur Überwindung über das scheinbar Unmögliche – ein Triumph, der so viel schwerer wiegt als alle Trophäen in seinen überreich gefüllten Vitrinen.


„Ich habe damit gerechnet, dass ich Schmerzen habe und mich nicht optimal fühle. Es liegt einfach an der Kombination: Ich kann auf diesem Golfplatz laufen, kann Sneaker anziehen und spazieren gehen – das ist kein Problem. Aber Hochleistungs-Golf zu spielen, Bälle aus unebenen Lagen zu schlagen, ist eine ganz neue Herausforderung.“

Tiger Woods


Gerade mal 14 Monate war der fürchterliche Autounfall in Los Angeles her, bei dem Woods’ Schien- und Wadenbein vom Motorblock seines SUV derart zerschmettert wurden, dass sogar die Amputation des Unterschenkels drohte. Wieviele Operationen er erdulden musste, weiß nur der Patient und seine Ärzte, allenfalls noch ein paar enge Freunde wie Justin Thomas, der seinen Freund nach Verlassen des Krankenhauses besuchte und den Anblick des Beins als „entsetzlich“ beschrieb.

Parallele zu Ben Hogan ist nun perfekt

Was folgte, sind Wochen voller Ungewissheit, Pein und Schinderei, „seit ich nach den ersten drei Monaten das Krankenbett verlassen habe“. Jeden Tag. Ausnahmslos. Woods musste wieder laufen lernen, Muskulatur aufbauen, Belastung standhalten.

Die Parallelen zu Ben Hogan und dessen fast tödlichem Crash 1949 sind unverkennbar. Spätestens jetzt teilen sich der „Hawk“ und der Tiger den Nimbus des größten Golf-Comebacks aller Zeiten. Hogan gewann anschließen noch sechs seiner insgesamt neun Majors; er war beim letzten, der Open Championship von Carnoustie 1953, allerdings auch erst kurz vor dem 41. Geburtstag.

Wohin Woods’ weiterer Weg führt, ist offen – abgesehen von der Zusage für die 150. Open im Juli in St. Andrews, denn „das liegt mir sehr am Herzen; der Old Course ist ohnehin mein absoluter Lieblingsplatz“. Und flach zudem. Was dem kaputten Knöchel sehr entgegen kommt. Denn dessen Mobilität ist dauerhaft dahin, deswegen kann Tiger beispielsweise beim Studieren der Puttlinie nur halb in die Hocke gehen – mehr Knick des Gelenks lässt all das „verbaute“ Metall nicht zu.


„Der Knöchel ist steif. Ich habe Stäbe, Platten, Stifte, Schrauben und einen Haufen verschiedener Dinge da drin. Er wird sich nie wieder so bewegen wie früher. Deswegen ist umso wichtiger, dass der Rücken mitmacht, wenn ich ballistisch Golf spiele. Die Ebenen über dem Knöchel tragen künftig die Hauptlast.“

Tiger Woods


Ok, die Schwünge saßen, der Speed stimmte, die Längen vom Tee ebenso. Doch vor allem lebte „Big Cat“ in der Masters-Woche von der Stärke im Kopf und dem Gefühl in seinen Händen. Wenn eins davon ihn verließ oder wenn die Verbindung unterbrochen war, die Leitung nicht stand, dann war er aufgeschmissen. Wie am Moving Day, als Woods „gefühlt tausend Putts“ brauchte, weil „heute irgendwie nichts zusammen passte“.

Reiner Überlebenskampf

Die 78 sollte er am Finaltag wiederholen, trotz aller guten Vorsätze. Am Ende dominierte der Schmerz, war das Masters reiner Überlebenskampf. Der Ausgang ist Nebensache: Platz 47, 13 über Par, das schlechteste Ergebnis seiner nunmehr 22 Profi-Auftritte im Augusta National Golf Club – na und! Dass er überhaupt antreten würde, antreten konnte, war kaum zu erwarten. Es ist seiner fast unmenschlichen Arbeitsethik und seiner Beharrlichkeit zu verdanken sowie nicht zuletzt den Errungenschaften der modernen Medizin.

Charlie als Stütze

Dass er den Cut geschafft hat, erscheint unwirklich. Dass er es schließlich am Sonntag bis auf die 18 und anschließend noch hoch ins Clubhaus geschafft hat, ist schlichtweg ein Wunder – das Woods-Wunder. Hernach musste er sich bei den Stufen zur Veranda auf seinen Sohn Charlie stützen.

Zuvor hat er im Interview wieder von „Dankbarkeit“ gesprochen, hat seine Entourage gelobt wie alle Tage: „Mein Team macht einen verdammt guten Job und repariert über Nacht den Körper, den ich tagsüber draußen ruiniere.“ Wie nach jeder Runde zuvor hat er ansonsten allerdings gleichermaßen sämtliche Fragen nach Details seiner Befindlichkeit förmlich weg gelacht, allenfalls von „sehr viel Eis“ gesprochen; und davon, dass er sich im Kältebad „zu Tode frosten“ werde. Seine Augen freilich sprachen stets eine andere Sprache.


„Ich bin gut darin, mich kaputt zu machen. Aber mein Team ist ebenso gut darin, das wieder hin zu kriegen … Ich kämpfe jeden Tag. Jeder einzelne Tag ist eine Herausforderung und stellt uns vor neue Herausforderungen. Ich wache auf und beginne den Kampf immer wieder aufs Neue.“

Tiger Woods


Doch jedes Mal schwang in all der Erschöpfung auch Erleichterung mit, wieder einen Tag und schließlich das Turnier überstanden zu haben: „Es bis hierhin geschafft zu haben, ist vielleicht die größte Leistung meiner Karriere.“ Manche Siege brauchen halt keine Pokale.

Winken statt Grüßen beim US Masters 2022

Und am Ende grüßte er die Patrons nicht bloß: Er winkte ihnen zu. So was sah man nie zuvor bei ihm. Woods hat alles gegeben, es war nicht anders zu erwarten. Auch das macht den Mythos des Tigers aus: Wer, wenn nicht er.

Das Schlusswort gebührt dem „treuen Joe“, Caddie Joe LaCava. Kurz vor der Abfahrt aus Augusta rief dieser der Medienmeute zu: „Macht’s gut, Leute. Wir sehen uns.“ Ja, bitte!

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