Um 6.30 Uhr Ortszeit hat Catriona Matthew mit ihrem Abschlag aufs erste Fairway von Muirfield die 46. Women’s Open eröffnet – es war aus mehreren Gründen ein geschichtsträchtiger Augenblick. Nicht bloß, weil die legendären Links und ihr Hausherr, The Honourable Company of Edinburgh Golfers, nach 16 Männer-Majors seit 1892 nun erstmals auch Gastgeber für die weltbesten Golferinnen sind. Sondern auch, weil Muirfield in Matthews Biographie bislang eine allenfalls schräge Rolle spielte, die indes den Plot kaum besser beschreiben könnte, der in dieser Woche quasi die Kulisse des sportlichen Geschehens an den Gestaden von Gullane illuminiert.
The Honourable Company und die ersten Golfregeln
Vor 30 Jahren – 1992, als Nick Faldo zum dritten und letzten Mal als Champion Golfer of the Year auf dem Sockel der Claret Jug verewigt wurde – war Schottlands Grande Dame des Spiels ein hoffnungsvoller Twen von 22 Jahren aus dem benachbarten North Berwick und als ehrenamtliche Open-Helferin damit beschäftigt, Abfallbehälter zu leeren und Ergebnistafeln über Muirfields Bahnen zu tragen. Kein Denken daran, hier selbst mal um einen großen Titel zu spielen; geschweige denn, als Frau die heiligen Hallen eben der Society betreten zu dürfen, die dem Golfsport 1744 für ein Wettspiel auf den Leith Links die ersten schriftlich fixierten Regeln verpasst hat, 13 an der Zahl.
The Honourable Company of Edinburgh Golfers (HCEG), hervorgegangen aus den Gentlemen Golfers of Leith und seit 1891 in Muirfield ansässig, ist nach dem Royal & Ancient Golf Club of St. Andrews und dem Augusta National Golf Club vermutlich die berühmteste Golf-Gemeinschaft auf dem Globus. Und genauso berüchtigt, weil gleichermaßen ultra-konservativ, extrem elitistisch, zudem bis vor nicht allzu langer Zeit ein reiner Herren-Zirkel.
Major-Sieger rausgeworfen, Könige abgewiesen
Doch „Frauenfeindlichkeit war nur eine ihrer weniger attraktiven Eigenschaften“, hat der renommierte schottische Golfjournalist John Huggan mal für „Golf Digest“ geschrieben: „Muirfield lebte so ziemlich jedes negative Stereotyp, das Golf als elitäres Vergnügen dastehen lässt.“ Und: „Der womöglich unhöflichste Club der Welt waren sie sowieso.“
„Es ist großartig, dass Muirfield in die Rota unserer Women’s Open aufgenommen wurde. Turnierschauplätze wie dieser oder wie Carnoustie, wo ich vergangenes Jahr gewonnen habe, sind von großer Bedeutung für die Sichtbarkeit des Damengolf.“
Titelverteidigerin Anna Nordqvist
Beispiele gefällig? Die US-Open-Champions Payne Stewart und Geoff Ogilvy wurden wegen angeblich nicht verfügbarer Tee Times für eine Proberunde an den benachbarten Gullane Golf Club und auf dessen Course No. 1 verwiesen, von wo aus die beiden Gäste aus Übersee dann die völlig verwaisten Fairways von Muirfield bestaunen durften. Tom Watson komplimentierte man 1980 nur wenige Stunden nach seinem Open-Sieg aus dem splendiden, von Silber, Historie und Bedeutsamkeit erfüllten Clubhaus, seine Freunde Ben Crenshaw und Tom Weiskopf „durfte“ er direkt mitnehmen. Und einen gewissen Edward Albert Christian of York haben sie gleich gar nicht auf die Anlage gelassen, obwohl der damals schon Prince of Wales und damit der künftige englische König Edward VIII war. „Kein Mitglied, nicht von einem Mitglied eingeladen – also, wen schert’s“, werden sich die „alten weißen Männer“ von Muirfield gedacht haben: „Steward, noch einen Kümmel!“
Arroganz, Selbstgefälligkeit, Dünkel, Ignoranz
In diese Atmosphäre von tiefverwurzelter Arroganz, Selbstgefälligkeit, Dünkel und Ignoranz platzte nach der Open Championship von 2013 eine Bombe, deren Lunte Anfang des Jahrtausends im weit entfernten Georgia gezündet worden war, als die amerikanische Feministin Martha Burk gegen den Herren-Zirkel Augusta National zu Felde zog und damit eine weltweite Diskussion über das Relikt exklusiver, vielfach männlichen Mitgliedern vorbehaltener Clubs los trat – frei nach dem ollen Chauvi-Scherz, der Begriff „G.O.L.F.“ sei lediglich ein Akronym für „Gentlemen Only Ladies Forbidden“.
Nun ist es nicht so, als durften auf dem von Old Tom Morris seinerzeit ausgesteckten und arrangierten Kurs, der ob seiner spröden Eleganz und Homogenität als fairster Test aller Open-Championship-Plätze gilt, Frauen überhaupt kein Golf spielen – auch, wenn das im Zuge von Emanzipations- und #MeToo-Debatten in wohlfeilem Furor gern behauptet wurde. Sportlich war das nie ein Thema, als Gäste waren Golferinnen stets willkommen, vor vielen Jahren wurde sogar eine neue Damen-Umkleide angebaut. Nur in ihrem Club wollten die Kerle halt gern unter sich bleiben – und die Ladies oftmals auch gar nicht dabei sein.
„Mehr Damen- als Herren-Golf-Societies“
Auf den britischen Inseln ticken die Uhren diesbezüglich einfach anders, Geschlechter-getrennte Vereinsmeierei ist völlig normal, und niemand regt sich über eventuelle Diversitäts-Defizite auf. „Eigentlich müssten ohnehin wir Männer aufbegehren, denn in Schottland existieren tatsächlich mehr Damen- als Herren-Golf-Societies“, sagt beispielsweise Malcolm Duck aus dem benachbarten Aberlady und selbst Mitglied im exklusiv-privaten Renaissance Club, der mit seinem vielfältigen Engagement zur Förderung von „Scotland’s Golf Coast“ und im Vermarktungsportal „Scotland Where Golf Began“ eine Art Zeremonienmeister des Spiels in dieser Region ist. „Selbst auf dem Old Course in St. Andrews“, fügt Duck an, „teilen sich von jeher jeweils drei Frauen- wie Männer-Clubs ganz ausgewogen das Spielrecht.“
Medien-Sturm während der Open 2013
Freilich, während Augusta National 2012 und der Royal & Ancient dann 2015 die ersten Ladies aufnahmen, blieb die „Ehrenwerte Gesellschaft“ in Muirfield stur, obwohl R&A-Chef Peter Dawson sich schon rund um Phil Mickelsons Triumph 2013 einem medialen Sturm des Unverständnisses ausgesetzt sah: Wieso veranstalten die Granden von St. Andrews ihr weltältestes Major ausgerechnet und immer noch in einer derart misogynen Enklave?
Dawson und sein Nachfolger Martin Slumbers reichten die Frage gern auf die andere Seite des Firth of Forth weiter, verbunden mit der Androhung, Muirfield von der Open-Rota zu nehmen. Doch es brauchte zwei Abstimmungen unter den gut 800 Mitgliedern und den heilsamen Schreck der tatsächlichen Streichung durch Slumbers, bis 2017 endlich die für eine Satzungsänderung erforderliche Zweidrittel-Mehrheit beisammen war.
„Wir spielen all die Open-Bühnen der Männer“
Mittlerweile hat Muirfield 20 Ladies in seinen Reihen, fünf weitere Damen sind designiert; das Clubhaus wurde für mehrere Millionen Pfund noch mal angemessen überarbeitet. Um dem Bannstrahl des R&A zu entkommen und den Prozess zu beschleunigen, wurden sogar die üblicherweise Jahre währenden Aufnahme-Riten außer Kraft gesetzt „Das Beste an der Mitgliedschaft sind der Platz und der Suet Pudding [ein Mehlspeise mit herzhafter Füllung, Anm. d. Red.)“, sagt Lindsey Garden, die eine namhafte Amateurin war, zu den ersten Neuzugängen zählte und heuer im Turnierkomittee des Clubs für die Open sitzt. „Doch was uns wirklich überrascht hat, war die Freundlickeit und Offenheit, mit der wir aufgenommen wurden. Man hatte das Gefühl, dass wir den männlichen Mitgliedern wirklich willkommen sind.“
„Wir sind echt stolz, dass wir hier spielen dürfen – ein gewaltiger Schritt nach vorn. Dieses Turnier ist ein tolles Signal für die Richtung, die unser Sport eingeschlagen hat: Wir wachsen kontinuierlich, die Preisgelder werden höher, und das Fernsehen interessiert sich für uns, wenn wir solche außergewöhnlichen Plätze spielen. Für mich persönlich ist Muirfield eh der beste Linksplatz, auf dem ich bislang unterwegs war.“
Brooke Henderson, Gewinnerin der Evian Championship 2022 und damit zweifache Majorsiegerin
Die Ausrichtung der Women’s Open ist ein weiteres Good-Will-Zeichen der Honourable Company an die Adresse des R&A. So gesehen ist dieses 17. Major in den Annalen von Muirfield, tatsächlich in vielfacher Hinsicht ein Meilenstein: für die Honorable Company und ihren phänomenalen Parcours, vor allem jedoch für das Ansehen des Damengolf und der professionellen Protagonistinnen. „Seit ungefähr zehn Jahren spielen wir nun all die Open-Bühnen, auf denen die Männer seit mindestens 50, 60 Jahren agieren“, sagt Catriona Matthew, seit Royal Lytham and St Annes 2009 selbst Open-Championesse, und zählt weiter auf: „St. Andrews, Carnoustie, Royal Birkdale, Turnberry, jetzt hier – das erhöht den Stellenwert unseres Majors und fördert unseren Stellenwert in den Strukturen des Spiels.“