Kein Sport außer Spazierengehen? Für bewegungsfreudige Kinder und Jugendliche ein Graus. Im Lockdown sind Vereinstrainer besonders gefordert, ihre Schützlinge fit und bei Laune zu halten. Schließlich fehlen auch die sozialen Kontakte im Team. Also Online-Training. Katharina Böhm, 30, Proette im Golfclub München Eichenried, und Sven Lindemann, 42, Sportlicher Leiter im Hockeyverein ASV, haben sich dazu einiges einfallen lassen.
Challenges und Workout sind die Zauberwörter. Denn natürlich wollen sich die Kids messen und auspowern. Da in Corona-Zeiten sogar Turniere im Abstandssport Golf verboten waren, müssen Ersatz-Herausforderungen her. „Wir bieten nicht nur golfspezifisches Athletiktraining via Zoom an, sondern stellen auch jede Woche sportliche Aufgaben“, berichtet Katharina Böhm. „In einer Woche sollen die Mitglieder einer Mannschaft etwa 30 Minuten oder sechs Kilometer am Stück ohne Pause laufen. Für unsere Young Guns, die jüngsten Talente, steht dagegen auf dem Plan 90 Sekunden Plank, Unterarmstütz, und mindestens 25 Liegestütz sowie fünf Minuten im tiefen Ausfallschritt durch die Wohnung laufen. Außerdem lassen wir die Kinder immer gegen unsere Coaches Ken Williams und Hans-Christian Buchfelner antreten und sorgen so mit Wetten und Wettkampf für zusätzlichen Spaß.“
Blick über den Tellerrand
Die Kinder sind voll motiviert dabei und haben viel Spaß miteinander. Das ist auch die Erfahrung von Sven Lindemann: „Es ist ja eine sehr sensible Zeit gerade für die 14- bis 15-Jährigen, die keine Möglichkeit haben, sich live zu treffen. Also bieten wir über das Sporttraining hinaus einmal pro Woche auch ganz verschiedene Workshops an, bei denen sich bis zu 70 bis 80 Teilnehmer zuschalten. Wir hatten z. B. einen Vortrag von einem Sportpsychologen und Lerncoach oder ein Achtsamkeitstraining mit der Aufgabe "Blick über den Tellerrand". Da haben unsere jungen Sportler allen mitgeteilt, womit sie sich außer Hockey noch so beschäftigen. Einer hat beispielsweise alle Hauptstädte der Welt gelernt oder sich Knobel-Aufgaben ausgedacht. Das sind schöne Anregungen für die anderen.“
Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. So bieten beide Clubs Kochevents an, bei denen ein Vater oder eine Mutter live kochen und die Kids mit dem Laptop am Herd stehen und ihre Eltern mit einfachen Gerichten wie Pasta & Co. bekochen. Die finden das herrlich und sind überhaupt sehr begeistert von dem Angebot der Trainer.
„Für mich als berufstätige Mutter ist es eine enorme Entlastung, wenn meine drei Kinder voller Begeisterung auf die nächste Trainingseinheit hinfiebern“, sagt Vera Vaubel, Jugendwart des GC München Eichenried. „Ganz nebenbei spare ich mir natürlich auch die Anfahrt zum Club. Die Kinder rollen ihre Matte aus und los geht's.“
Neue Leidenschaften entdecken
Selbstverständlich fehlt allen ihr Sport. Online-Training ist nur ein Ersatz, aber ein sehr guter, um fit zu bleiben – körperlich wie geistig. „Ich sage den Kindern immer: Nutz' Deine Zeit, um für Dich Dinge herauszufinden, die Du sonst nicht machst“, sagt Sven Lindemann. Tatsächlich ist es schön zu hören, wenn eine junge Golferin sagt, ihre Lieblingsübung sei der Wandsitz, wenn die Oberschenkel das Zittern anfangen. Oder wenn eine Hockeyspielerin ihre Leidenschaft fürs Backen entdeckt. Auch Yoga und Meditation bekommen plötzlich einen ganz anderen Stellenwert. Das ist bei den Erwachsenen im Lockdown ja auch nicht anders.
„Besonders in Corona-Zeiten freuen sich alle, einen festen privaten Termin im Kalender zu haben und sich etwas auszupowern bzw. etwas für das Wohlbefinden und besonders für die kommende Golfsaison zu tun“, schildert Katharina Böhm ihre positiven Erfahrungen. „Viele schalten dann doch bei Youtube-Videos ab, wenn es anstrengend wird. Bei unserem Online-Training sind alle von Anfang bis Ende dabei, lassen sich von mir inspirieren und hören zu Glute Bridge, Beckenlift, oder den für Golf so wichtigen Rotationsübungen ihre eigene Musik. Vor dem Training haben sie am Bildschirm den Austausch mit anderen. Man bleibt einfach in Kontakt. Eine tolle Möglichkeit für Alle.“
Dieses „für Alle“ ist tatsächlich ein positives Phänomen in dieser Pandemie-Zeit: „Wir haben jedes Jahr Kinder verloren, weil sie bei uns nach den verschiedenen Sichtungen und Testspielen keine sportliche Perspektive mehr im ASV gesehen haben“, erzählt Sven Lindemann freimütig. „Letztes Jahr haben wir kein einziges Kind verloren, weil sie alle abgeholt werden. Es gibt keinen Nominierungsstress.“
Förderungswürdige Jugendarbeit
Wie wichtig engagierte Jugendarbeit gerade in Corona-Zeiten ist, weiß auch der Deutsche Golf Verband, DGV. Wiederholt zählt er den GC München Eichenried zu den 20 Clubs mit der besten und damit förderungswürdigen Jugendarbeit. Nach der abgeschlossenen Zertifizierung im Rahmen der „QM Nachwuchsförderung 2020/2021“ lobt der DGV: „Wir freuen uns, dass Sie sich trotz des schwierigen Ausnahmezustandes beteiligt haben und damit einen wertvollen Beitrag zur Entwicklung Ihrer Jugendarbeit leisten.“
Inzwischen gibt es in beiden Clubs Überlegungen, das Online-Training in der Wintersaison beizubehalten. Aber so positiv dieser neue digitale Alltag von allen Seiten gesehen wird, so sehr freuen sich alle darauf, wenn es bei wärmeren Temperaturen hoffentlich im Freien wieder los geht. Mit Abstand natürlich – aber vielleicht mit neu gewonnenen Freunden/Freundinnen und ungeahnter Super-Fitness!
(Text: Heidi Rauch)