Knackige Konstellation: Besser hätte das Drehbuch für den heutigen Moving Day nicht geschrieben werden können – ein Routinier und ein junger Wilder duellieren sich um die beste sonntägliche Ausgangsposition für den Gewinn ihres jeweils zweiten Majors, gejagt werden sie zuvorderst von einem einstigen Himmelsstürmer, der aus einem tiefen Loch kam und sich anschickt, in alter Form wieder neue Höhen zu erklimmen: Kurz: Louis Oosthuizen (-11), der 38-jährige Champion-Golfer von St. Andrews 2010, gegen Collin Morikawa (-9), den PGA Champion von 2020, dahinter der dreifach Majorsieger Jordan Spieth (-8). Das hat doch was!
Mit Sechs unter Par spielte Morikawa neben Spaniens Jon Rahm und dem Argentinier Emiliano Grillo nicht nur die Runde des Tages; es beeindruckte vielmehr die Art, wie der 24-jährige Kalifornier im erst zweiten Profijahr „performte“. Er war schlichtweg virtuos, sein ohnehin brillantes Eisenspiel gestern eine Eliteklasse für sich.
Smart wie er ist, hatte der Weltranglisten-Vierte allerdings auch im Vorhinein fürs entsprechende Equipment gesorgt, um auf dem trockenen und elastischen, mit Festuca-Gras überzogenen Sandboden von Royal St. George’s einen effizienten Ball-Kontakt zu gewährleisten. Er tauschte seine TaylorMade-Eisen 7, 8 und 9, etatmäßig Blades, gegen die fehlerverzeihendere MC-Version aus, „weil ich damit bei den Bodenverhältnisse besser den ,Center Spot' finde“, so Morikawa. Derart gewappnet nahm er „mit meinen Lieblingsschlägern für Annäherungen“ die Flaggenstöcke unter Beschuss und schuf sich ein ums andere Mal die Chance auf den Schlaggewinn: „Ich halte mich ungern mit Gedanken auf, ob ich den Platz mag oder nicht – schon gar nicht, seit ich Professional bin. Die Zeit und Energie nutze ich lieber, um mein Material und mein Spiel bestmöglich den Bedingungen anzupassen.“
Am Ende waren es sieben Birdies, bis er sich auf der 15 das erste und einzige Bogey leistete. In dieser Form ist Morikawa, der sich bei der Scottish Open einstimmte und nun das erst zweite Linksgolf-Turnier seiner Karriere bestreitet, ein ernsthafter Anwärter auf die Claret Jug. Er wäre der fünfte Open-Championship-Debütant nach Ben Hogan 1953, Tony Lema 1964, Tom Watson 1975 und Ben Curtis 2003, der direkt beim ersten Start das weltälteste Major gewinnt.
Freude über Jordan Spieth
Bestätigung: Gestern schon haben wir Jordan Spieth an dieser Stelle ausführlich gelobt, und der 27-jährige Texaner hat die Lorbeeren auch am zweiten Tag nicht enttäuscht. Gewohnt emotional absolvierte der dreifache Majorsieger seinen Umlauf, und es war durchaus sogar mehr drin, als der schlussendliche Ein-Schlag-Rückstand auf Collin Morikawa. Schön, dass Amerikas einstiger „Golden Boy“ bei Majors wieder ein Faktor ist, bei der von ihm besonders geliebten Open Championship zumal.
Ungewohnt gutmütiges Geläuf: 52 Spieler unter Par
Ungewohnte Open: Strahlender Sonnenschein, allenfalls leichter Wind und nur ein paar Wölkchen, dazu ein verzeihend weicher Boden und anspielbare Grüns – die Open Championship von Royal St. George’s hat so gar nichts von der befürchteten Brutalität des Waschbrett-Geläufs in tanzdielenharter Version samt widrigen Witterungsbedingungen mit peitschenden Böen oder waagerecht treibendem Regen, wie es bei mancher Auflage des weltältesten Majors der Fall war. Da verwundert es kaum, dass am Ende des zweiten Tages 52 Spieler unter Par lagen – wann hat es das bei einer Open zuvor gegeben? Die Statistiker sind noch bei der Recherche. Laut Wetterbericht werden es heute ebenfalls freundliche 20 Grad, und am Sonntag sollen gar 25 Grad und allenfalls vereinzelte Wolken die Kür des neuen Champion Golfer of the Year auch klimatisch zu einer sonnigen Sache machen.
Koepka: „Ich für mein Teil liebe meinen Driver“
Gefundenes Fressen: Während sich Bryson DeChambeau mittlerweile für die wahrlich kindische Ausfälligkeit vom Donnerstag Abend gegenüber seinem Driver („Der Schläger kotzt mich an“) und somit indirekt auch gegen Ausrüster Cobra öffentlich entschuldigt hat, hat er damit seinem ziemlich besten Feind Brooks Koepka eine perfekte Steilvorlage für einen neuen Seitenhieb gegeben. Der vierfache Majorsieger stellte sich nach seiner 66er-Runde, die ihn auf -5 und den geteilten zwölften Platz bugsierte, vor die Kameras und gab mit leicht süffisantem Grinsen zu Protokoll: „Ich liebe meinen Driver. Er funktioniert großartig!“
— patrickstargolfer (@patrickstargolf) July 16, 2021
Bereits zuvor hatte Koepka schon gegen DeChambeau ausgeteilt, der nach erneut erratischen Drives mühsam auf der Cutlinie von +1 ins Wochenende rutschte: „Du musst halt die Fähigkeit besitzen, gerade zu schlagen. Das ist der Schlüssel zum Erfolg.“
Auch Justin Thomas konnte nicht umhin, die Causa DeChambeau-Cobra zu kommentieren. Via Instagram schrieb „JT“ in triefender Ironie: „Wer hätte denn auch gedacht, dass es bei einem Schwungtempo von 135 und mehr Meilen pro Stunde schwierig sein könnte, einen geraden Schlag zu fabrizieren …“
Das Rough: Erschütterter Zalatoris muss aufgeben
Durchgeschüttelt: Das Rough von Royal St. George’s hat sein erstes echtes Opfer gefunden. Will Zalatoris musste die Open gestern morgen aufgeben, der 24-jährige Kalifornier hatte sich am Donnerstag bei einem (notwendigen) brachialen Hieb im Rough der 15 verletzt. Das Festuca-Kraut blockierte Zalatoris’ Schlag dermaßen, dass ihm die Erschütterung als Schmerz durch Hand und Arm bis in den Rücken fuhr. Auf Anraten des Arztes, den der Masters-Zweite nach der Runde konsultierte, verzichtete Zalatoris auf ein weiteres Kräftemessen mit dem Rough, um den Rücken nicht weiter zu malträtieren, sondern sich erholen zu lassen.
Waiting for confirmation but Will Zalatoris now listed as a WD from The Open. Didn't look right after hitting this shot out of the hay on 15 yesterday. pic.twitter.com/2hmgQEsvWu
— Ryan Lavner (@RyanLavnerGC) July 16, 2021
Drei Open-Golfer und ihre starken Frauen
Dynamische Duos: Hinter jedem erfolgreichen Mann steht eine starke Frau, lautet ein geflügeltes Wort. Der praktische Beweis lässt sich in Royal St. George’s wieder mal besichtigen. Daniel van Tonder (Südafrika) hat seine Frau an der Tasche und liegt nach einer guten 66er-Runde mit -6 fürs Turnier auf dem geteilten siebten Platz. Oder Lee Westwood (-3 für den Tag, -2 fürs Turnier, Rang T31): Der englische Veteran erlebt einen golferischen Frühling, seit seine Frau Helen (Storey) als Caddie fungiert (im Wechsel mit Sohn Sam):
Schließlich ist da noch die Geschichte von Westwoods englischem Landsmann Sam Forgan, einem Professional aus der Grafschaft Suffolk, der sich in Royal St. George’s den Traum der Open-Teilnahme erfüllt. Und weil geteiltes Glück doppelt so schön ist, begleitet ihn seine Frau Morgan vom ersten Moment an am Rande der Fairways – obwohl sie im achten Monat schwanger ist. Liebe kennt halt keine Distanzen. Seit gestern Abend freilich bleiben Morgan Forgan weitere anstrengende Märsche erspart: Ihr Sam verpasste mit +10 den Cut sehr deutlich.
Treuester Fan: Die Lady in der „Loge“
„Binge-Watching“: Sie war während der Einspielrunden bereits Augenzeugin der Vorbereitungen des Felds auf das letzte Major des Jahres, und auch gestern hielt die ältere Lady in ihrem Cottage am Rande von Royal St. George’s dem Turnier die Treue. Lediglich die veränderte Kleidung beweist: Sie muss ihren Logenplatz zwischenzeitlich mal verlassen haben. Einen Sonderpreis für den ausdauerndsten Fan hat sie bereits jetzt verdient.
Ein Open-Gewinner steht schon fest
Willkommene Einnahmen: Den Sieger dieser 149. Open Championship kennen wir frühestens am Sonntag Abend, aber einen Gewinner gibt es bereits jetzt – „Her Majesty's Revenue and Customs“, kurz HMRC. Die britische Steuerbehörde kassiert beim weltältesten Major kräftig mit und holt sich nicht nur von den 1,753 Millionen Dollar für den neuen Champion Golfer of the Year und allen anderen Platzierten ihren Anteil. Das Finanzamt hält auch bei denen die Hand auf, die nicht ins Geld gekommen sind, weil sie den Cut verpasst haben. Denn selbst von den Erlösen der Spieler durch Sponsoren und Ausrüster beansprucht die Staatskasse ihren Obolus, sofern die Einnahmen in Bezug zur Open stehen. Der Prozentsatz wird aufgrund des spezifischen Open-Zeitaufwands in Relation zum jährlichen Gesamtaufwand für Golfturniere berechnet. Übrigens: Für die Spiele der Fußball-Europameisterschaft im Londoner Wembley-Stadion und für die Olympischen Spiele 2012 in London hatten UEFA bzw. IOC eine Steuerbefreiung ausgehandelt.
Gäste brauchen ein Mindest-Handicap von 18,4
Wussten Sie: … dass Royal St. George’s zwar ein exklusiver privater Club ist, aber an bestimmten Tagen und zu bestimmten Zeiten durchaus Gastspieler zulässt? Die einzige Voraussetzung für eine Runde über den ruhmreichen Rasen ist ein Handicap von mindestens 18,4. Und die Entrichtung von 291 Euro Greenfee pro Person, wenn Sie zwischen März und Oktober an der Pegwell Bay abschlagen wollen. Von November bis Februar ist es mit 186 Euro etwas günstiger. Dann sind bloß die außergewöhnlich perfekten Golfbedingungen dieser 149. Open Championship unter sonnig-blauem Himmel und bei leichter Brise ganz sicher nicht mehr garantiert …