Es gibt viele Besonderheiten im Zusammenhang mit dem US Masters Tournament und dem Augusta National Golf Club. Und nahezu jede dieser Eigentümlichkeiten liegt die Pflege einer verschwiegenen Exklusivität zugrunde, die einen geheimnisumwitterten Mythos „Augusta“ hat entstehen lassen. Die spärlichen Informationen des Clubs führen dabei zu einer immensen Nachfrage nach mehr Berichten und daher zu unendlich vielen Spekulationen.
Wenn sich eine Institution aber derart kategorisch verschlossen hält, liegt die Vermutung nahe, dass etwas geschützt oder versteckt werden soll. Für Versuche einen Blick hinter die wunderschöne Fassade des Augusta National zu werfen, wird frechen Journalisten beizeiten und nachdrücklich auf die Finger geklopft.
Es ist wie bei den berühmten Azaleen des Clubs. Sie sehen prächtig aus und jeder darf über ihre Schönheit berichten, aber kommt man ihnen zu nahe und will das Gewächs in Gänze verstehen, wird es unangenehm. Denn Azaleen sind giftig. Alles an ihnen ist giftig: Blätter, Blüten, sogar der Nektar.
Warum Augusta faktisch weniger offenlegen muss als die anderen Clubs, die PGA-Turniere austragen, liegt zuvorderst an der Organisationsstruktur des Vereins. Während alle anderen Clubs und auch die PGA Tour selbst als Non-Profit-Organisationen firmieren, ist der Augusta National Golf Club klipp und klar als wirtschaftliche, For-Profit-Organisation gegründet worden und hat daher das Recht auf Verschwiegenheit. Und es ist das gute Recht jedes privaten Vereins zu bestimmen, wer Mitglied werden darf. Allerdings wird die „Diskretion“ weit über das rechtlich vorgesehene Maß hinaus kultiviert und dafür gibt es Gründe.
Einerseits kann man behaupten, dass die verschwiegene Exklusivität ein genialer Marketing-Coup ist, der dem Turnier und dem Club zu einer nahezu sakralen Bedeutung verholfen hat.
So gibt es etliche, mutmaßende Artikel zu Themen, die in Augusta tabu sind: die Namen der Mitglieder und die Kriterien für deren Aufnahme in den Club. Die Frage wie die Azaleen ach so wunderschön werden oder wie das Blau der Wasserhindernisse ach so blau wird. Spekuliert wird auch über die Anzahl der Küchen auf dem Gelände, den Inhalt des Weinkellers und so weiter.
Aber auch gewichtigere Dinge werden bewusst und selbstherrlich im Unklaren gelassen: der USGA wurde es bisher nie gestattet ein offizielles Course Rating vorzunehmen. Die Mitglieder spielen nach ihrem eigenen System. Auch die Bedingungen der TV-Übertragung des Masters Tournament sind nicht bekannt. Seit 1956 vergibt der Club Ein-Jahres-Verträge an CBS. Man spekuliert, dass Augusta die volle Kontrolle über die Übertragung und die gezeigten Bilder behalten möchte. Auch darüber wie die Höhe der Spendengelder zusammenkommt, lässt sich nur spekulieren. Alle anderen PGA-Tour-Turniere sind als Wohltätigkeitsveranstaltungen verpflichtet, ihren Reingewinn zu spenden. Auch Augusta spendet. Aber warum, wieviel und an wen entnehmen wir einer Pressemitteilung des Clubs oder eben auch nicht.
Eine Tradition des Schweigens
Dies alles trägt zu dem Mythos „Augusta“ bei. Einerseits. Andererseits sind die Gründe für diese verschwiegene Exklusivität im Zusammenhang mit Augusta auch im eigentlichen Wortsinn zu finden: im Gegenteil von inklusiv nämlich, in Abgrenzung und Ausschluss. Denn der Club ist nicht nur für seine Azaleen bekannt, sondern auch dafür, dass er erzkonservativ ist. Und CBS-Hauskommentator Jim Nantz trifft es ganz gut, wenn er jedes Jahr aufs Neue sagt: „Das Masters, eine Tradition wie keine andere.“ Es ist allerdings eine Tradition des Schweigens.
Nick Paumgartner schrieb 2019 für den New Yorker: „Die Heimat des Masters-Turniers ist ein vorsintflutliches Golfparadies, das gute Manieren und Südstaatenfreuden mit Ausgrenzung und Selbstgefälligkeit verbindet.“
Proteste 2002 von Martha Burk, der Vorsitzenden des National Council of Women's Organizations, und Appelle 2003 von Präsident Barak Obama, Frauen den Zugang zum Club zu ermöglichen, verhallten. Augusta verzichtete lieber auf seine Abermillionen Sponsoreneinnahmen als ihrem Druck nachzugeben. Erst seit 2012 sind Frauen als volle Mitglieder im Club erlaubt. Dazu benötigte es zwei präsidiale Wechsel im Club. Und dies bedeutete noch nicht, dass auch Damen-Turniere Einzug an der Magnolia Lane erhielten. Erst seit 2019 gibt es das Augusta National Women's Amateur, das 2022 zum dritten Mal und mit deutscher Beteiligung stattfindet.
Hinzu kommen viele blinde Flecken der Vergangenheit des Clubs, die man lieber vergessen wissen will. Da passt ein Image der prinzipiellen Verschwiegenheit, auf die man sich apodiktisch zurückziehen kann, ebenso gut. Neben dem formal überwundenen sexistischen Problemfeld, stehen viele der blinden Flecken in einem rassistischen Kontext. Oder wie die New York Times 2020 titelte: „Im Augusta National wird traditionell nicht über Rassen gesprochen.“
Selbstredend bedeutet der Name „Masters“ im Englischen auch die „Meisterschaft“ im Sinne des golferischen Könnens. Aber im Kontext der Historie des Augusta National, kann man durchaus verstehen, dass die Stimmen, die sich an dem Namen als Referenz zu einem Sklavenhalter stoßen, immer lauter werden. Unter anderen ESPN-Sportjournalist Elzei Lee Granderson hat auf CNN auf die Doppeldeutigkeit des Begriffs hingewiesen.
.@LZGranderson, weighing in on the Kate Smith controversy, suggests The Masters golf tournament is a reference to owning slaves. pic.twitter.com/r9BgH5qUaB
— Tom Elliott (@tomselliott) April 23, 2019
Als Kinder ihrer Zeit haben Clubgründer Bobby Jones und Clifford Roberts ihr Südstaaten-Golfturnier, bei dem „alle Golfer weiß und alle Caddies schwarz“ (Clifford Roberts) sein sollten, zunächst „Augusta National Invitation Tournament“, später „The Masters Tournament“ genannt, wenngleich belegt ist, dass sie ausdrücklich den "Master of Golf" finden wollten und keine Verbindung zur Sklaverei intendierten.
Im großen Saal des Bon Air Hotels ließ Clifford Roberts Boxkämpfe organisieren, bei denen junge Männer aus den armen afroamerikanischen Vierteln um Preisgeld kämpften. Auch Soullegende James Brown verdingte sich dort als junger Mann.
Erst 1975 durfte der erste schwarze Golfer, Lee Elder, am Turnier teilnehmen. Er sah sich massiven Drohungen ausgesetzt und musste für das Turnier aus Sicherheitsgründen zwei Häuser mieten, zwischen denen er nach dem Zufallsprinzip wechselte.
Lee Elder als „Honory Starter“ beim US Masters Tournament 2021
Als Bernhard Langer 1985 das grüne Sakko gewann, durften „People of Color“ dem Club noch nicht beitreten. Ron Townsend, ein TV-Moderator, war 1990 der erste Afroamerikaner, der Mitglied im Augusta National wurde. Nun durfte Lee Elder 2021 als „Honorary Starter“ mit an den Abschlag gehen. Elder konnte den Schläger mit seinen 86 Jahren noch Schwingen, aber von außen besehen hätte nichts dagegen gesprochen, ihm diese Ehre zukommen zu lassen als er den Ball noch besser traf. Der Zeitpunkt ist, angesichts der Tragweite der Black-Lives-Matter-Bewegung im Golfsport, opportun.
An der Ungleichheit vor Ort hat sich seit den 1970er Jahren indes wenig geändert, meint Kenton Makin, ein Lokaljournalist, der das Turnier seit 2008 vor Ort begleitet. Er stellt immer wieder fest, dass die meisten Zuschauer weiß und die meisten Bediensteten schwarz seien.
„Ja, der Club hat einige Wurzeln, auf die nicht jeder stolz ist, denke ich“, sagte Tiger Woods der New York Times und wählte seine Worte mit Bedacht, „aber er hat sich entwickelt. Wir haben Minderheiten-Mitglieder. Er ist vielfältiger geworden.“
Was einmal Öffentlich geworden ist und politische Relevanz hat, wird im Augusta National früher oder später bearbeitet. Die Betonung liegt auf „später“, denn Veränderungen wachsen im Augusta National so langsam wie die Azaleen.
Allerdings legt man an der Magnolia Lane selbst wenig Wert auf eine aktive Aufarbeitung seiner Vergangenheit oder die Teilhabe an einer offenen amerikanischen Gesellschaft. Und so erhärtet sich der Verdacht, dass die kategorische Verschwiegenheit viel mehr als eine Marketingstrategie und das Zelebrieren der selbstverliebten Exklusivität ist. Das Schweigen ist ein Garant der hauseigenen Beständigkeit, auch oder vor allem, weil es ein Schutz vor der allzu weitgehenden Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit ist.