Europas größte Golf-Hoffnung kommt aus einem Land, das bislang wenig zum globalen Golfgeschehen beigesteuert hat: Norwegen. Vor Viktor Hovland gab es Henrik Bjørnstad, der um die 2000er-Jahre auf der European Tour spielte und sich 2006 als erster Spieler des Königreichs auf der PGA Tour versuchte. Kristoffer Ventura beispielsweise wäre noch zu nennen, Hovlands Teamkamerad aus gemeinsamen Jugendgolf-Tagen, der es 2020 in den US-Profi-Circuit schaffte. Doch sein zweieinhalb Jahre jüngerer Landsmann hatte da mit der Puerto Rico Open bereits den ersten Sieg in der Tasche.
Golfgeneration Morikawa, Wolff und Co.
Seit Anfang dieser Woche ist Viktor Hovland die Nummer fünf der Welt, Europas bester Golfer nach Ranglistenprimus Jon Rahm und mit dem amerikanischen FedEx-Cup-Gewinner Patrick Cantlay auf Platz drei der beste Spieler der Welt ohne Major – was aber wahrscheinlich eh nur eine Frage der Zeit ist. Jedenfalls: „Es ist ziemlich unglaublich, wenn man berücksichtigt, wo ich in Norwegen aufgewachsen bin und Golf gespielt habe“, wundert sich der 24-Jährige selbst: „Wenn man nur sechs Monate im Jahr Golf spielen kann, ist an eine Profi-Karriere eigentlich kaum zu denken. Aber ich bin hier und gewinne Turniere – das ist eher surreal.“
Update, 30. Januar 2022: Mit dem Gewinn der Dubai Desert Classic im Play-off gegen Richard Bland rückt Viktor Hovland auf Weltranglisten-Platz drei vor und ist damit weltbester Golfer ohne Major.
Viktor Hovland zählt zum 2019er-Profi-Jahrgang, kam mit Collin Morikawa und Matthew Wolff auf die Tour und gehört zu der neuen Golfgeneration von „fertigen“ Spielern, die nie wie Debütanten wirken, weil das Stahlbad der College-Karriere und die Erfolge als Amateure sie feuerfest gemacht haben. Morikawa, der gerade mit Hovland die 33. Auflage der Dubai Desert Classic bestreitet, hat das als PGA Champion von 2020 und amtierender Champion Golfer of the Year sowie Race-to-Dubai-Sieger bereits eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Wolff, übrigens Hovlands Kommilitone auf der Oklahoma State University (OSU), war als Vierter der PGA Championship 2020 und Zweiter hinter Bryson DeChambeau bei der US Open vor zwei Jahren ebenfalls auf dem besten Weg, ehe ihn seine mentalen Probleme aus dem Tritt brachten.
„Verkacke ständig beim Chippen“
Hovland wirkt gegen solche Risiken und Nebenwirkungen gefeit. Sein sonniges Gemüt, sein ständiges Lachen, sein aufgeräumtes und zugängliches Wesen kaschieren freilich einen akribischen Arbeiter, der sich nicht davor scheut zuzugeben, dass „ich beim Chippen ständig verkacke“, und unermüdlich an seiner Schwachstelle feilt, dem kurzen Spiel. Beim Tournament of Champions zu Jahresbeginn auf Hawaii war das jüngst wieder mal augenfällig: Der Twen wurde 30. des Gesamtklassements und rangierte in der Statistik-Kategorie „Strokes Gained: Around the Green“ auf dem letzten Platz.
Trotzdem agiert der Amateur-Weltranglistenerste von 2019 ganz entspannt nach der Devise: „Häng dich einfach rein, spiel deinen Schlag und mach dir keine Sorgen über das Ergebnis. Es funktioniert oder es funktioniert halt nicht.“ Er versuche, „einfach auf das zu vertrauen, was ich kann, anstatt mit Angst zu spielen“.
Viktor Hovland schaute Woods-Videos unter der Schulbank
Auf diese Weise hat Hovland bereits fünf Tour-Siege in den Büchern. Nach der Puerto Rico Open legte er mit der Mayakoba World Classic nach, holte sich dann im Juni 2021 die BMW International Open in München („Ein netter Bonus war, dass ich mich auf der deutschen Autobahn nicht umgebracht habe“), debütierte zwischendrin in Whistling Straits beim Ryder Cup, wo er sein Einzel ausgerechnet gegen Morikawa bestritt und das Match teilte, gewann im November 2021 die World Wide Technology Championship und zuletzt im vergangenen Dezember die Hero World Challenge seines Idols Tiger Woods, dessen Videos er sich vor nicht allzu langer Zeit noch heimlich unter der Schulbank „reingezogen“ hat.
„Er hat mich wirklich inspiriert, selbst wenn es seinerzeit ziemlich vermessen schien, irgendwann tatsächlich mal gegen diesen Typen antreten zu können“, erinnert sich der norwegische Amateur-Meister von 2013. „Das war eher ein ganz geheimer Traum.“ Der sich gleichwohl 2019 auf gewisse Weise erfüllte, als Viktor Hovland bei Woods’ Masters-Triumph mit einem geteilten 32. Platz bester Amateur war und in der Butler Cabin neben dem 15-fachen Majorsieger saß.
„Unbedingter Willen im Wettkampf“
Apropos: Internet-Tutorials gehörten ohnehin jahrelang zum Übungskonzept des heranwachsenden Talents, das im Alter von elf Jahren dank eines Junioren-Schlägersatzes mit Golf begann, den Vater Harald von einer beruflichen Gastspiel als Ingenieur in den USA mitgebracht hatte. Was will einer auch sonst machen, wenn es daheim in Oslo winters nur 6,5 Stunden Tageslicht hat und Outdoor-Training im heimischen Drobak Golf Club kaum möglich ist: Anschauen, Wichtiges und Weiterführendes herausfiltern, die Erkenntnisse am Simulator ausprobieren.
„Viktor besitzt einen hohen Golf-IQ, ist ein ziemlich intellektueller Typ und geht die Dinge mit großen Verständnis für die Mechanik des Schwungs und für Trainingsparameter an. Außerdem zeigte er im Wettkampf diesen unbedingten Willen. Ich hatte das Glück schon mit einigen großartigen Spielern zusammen gearbeitet zu haben, und er zeigte die gleichen Eigenschaften, das nahm mich sofort für ihn ein“, erzählt sein College-Coach Alan Bratton, der Hovland für die OSU entdeckt und in die USA geholt hatte, obwohl der eher pummelige Teenager damals gar nicht erste Wahl war.
„Lebe in Oklahoma und spiele bisschen Golf“
Hovland revanchierte sich als US-Amateur-Champion und NCAA-Titelträger 2018 mit dem Team der Oklahoma State Cowboys sowie als bester Amateur bei Woods’ Masters-Triumph 2019 für das in ihn gesetzte Vertrauen. Und er blieb seiner Uni bis heute treu. „Ich lebe in Oklahoma und spiele ein bisschen Golf“, erklärte der Norweger im Januar am Flughafen auf den Bahamas einer jungen Frau, die in der Schlange am Gate hinter ihm stand.
Die Golfer-Hotspots Jupiter, Palm Beach Gardens und Orlando in Florida oder Sea Island in Georgia sind Hovlands Sache nicht, er hat sich in Stillwater ein unscheinbares Häuschen gekauft, auf halbem Weg zwischen Uni-Campus und Karsten Creek, dem Golfplatz der „Cowboys“ – obwohl er dank eines satten Vertrags mit Ping schon Millionär war, als er ins Lager der Berufsspieler wechselte – und möchte seiner Alma Mater so weiterhin etwas zurückgeben.
„Bescheidenheit“ ist Viktor Hovlands zweiter Vorname
„Ich empfinde eine Art Verpflichtung und Dankesschuld gegenüber Coach Bratton und den ,Cowboys’ und will ihnen meine Erfahrungen zur Verfügung stellen, so wie es vor mir schon Charles Howell, Rickie Fowler oder Peter Uihlein getan haben“, sagt der Jungstar. „Bescheidenheit“ könnte Viktor Hovlands zweiter Vornamen sein. Wenn er jetzt noch das mit dem Kurzspiel hinkriegt …